22.12.2009 Zivilrecht

OGH: Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts

Die Sittenwidrigkeit eines Unterhaltsverzichts kann nur bejaht werden, wenn der Unterhaltsberechtigte in existenzbedrohende Not gerät, bei einem hypothetisch nachzuvollziehenden Scheidungsverfahren zumindest ein gleichteiliges (oder überwiegendes oder Allein-)Verschulden des anderen Ehegatten festgestellt worden wäre und wenn krasse Einkommensunterschiede bestehen


Schlagworte: Familienrecht, Scheidungsfolgenvereinbarung, Unterhaltsverzicht, Sittenwidrigkeit, Billigkeitsunterhalt
Gesetze:

§ 55a EheG, § 69 Abs 3 EheG, § 69a Abs 2 EheG, § 71 EheG

GZ 6 Ob 212/08g, 16.10.2009

Sowohl die Klägerin als auch der Beklagte haben im Rahmen ihrer einvernehmlichen Scheidung auf jedwede gegenseitige Unterhaltsansprüche - auch für den Fall geänderter Verhältnisse, geänderter Rechtslage, Krankheit oder unverschuldeter Not - verzichtet. Nunmehr begehrt die Klägerin Unterhalt.

OGH: Das Beharren auf den Unterhaltsverzicht (Verzicht auf die Umstandsklausel) kann aus besonderen Gründen sittenwidrig sein. Die Frage, ob Sittenwidrigkeit vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Um zu verhindern, dass der an sich zulässige Ausschluss der Umstandsklausel im Nachhinein ohne zwingenden Grund aufgehoben wird, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Sittenwidrigkeit kann nur bejaht werden, wenn der Unterhaltsberechtigte in existenzbedrohende Not gerät, bei einem hypothetisch nachzuvollziehenden Scheidungsverfahren zumindest ein gleichteiliges (oder überwiegendes oder Allein-)Verschulden des anderen Ehegatten festgestellt worden wäre und wenn krasse Einkommensunterschiede bestehen.

Ist eine Unterhaltsvereinbarung nach § 55a EheG wegen Sittenwidrigkeit unwirksam, steht nur der Billigkeitsunterhalt nach § 69a Abs 2 EheG zu, der identisch ist mit demjenigen nach § 69 Abs 3 EheG. Der Unterhaltsanspruch nach § 69 Abs 3 EheG ist sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach von Billigkeitsüberlegungen abhängig, in deren Rahmen die Bedürfnisse und Vermögensverhältnisse und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten und der nach § 71 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen sind. Da der Unterhalt nach Billigkeit zu bemessen ist, hängt die Entscheidung ganz von den Umständen des Einzelfalls ab.

Der Anspruch auf Unterhalt nach Billigkeit gegen den geschiedenen Ehegatten steht nur insoweit zu, als keine unterhaltspflichtigen Verwandten vorhanden sind oder diese den Unterhalt überhaupt nicht oder nur unter Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhalts gewähren könnten. Der Grundsatz der Subsidiarität der Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehegatten gilt dann nicht, wenn er nicht der Billigkeit entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn der geschiedene Ehegatte über ein derart hohes Einkommen verfügt, das jenes der primär unterhaltspflichtigen Kinder um ein Vielfaches übersteigt. Ob die Subsidiarität der Billigkeit entspricht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.