15.05.2017 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob das Eigeneinkommen eines unterhaltsberechtigten Kindes auf dessen Unterhaltsanspruch anzurechnen ist, wenn sich die Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit aus der Tatsache ergibt, dass der Unterhaltsschuldner seiner Verpflichtung nicht nachkommt

Das Eigeneinkommen eines unterhaltsberechtigten Kindes ist auf dessen Unterhaltsanspruch nicht anzurechnen, wenn sich die Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit aus der Tatsache ergibt, dass der Unterhaltsschuldner seiner Verpflichtung nicht nachkommt und sich das Kind auf diesen Umstand beruft; muss aber der Unterhaltspflichtige trotz Eigeneinkommens des Kindes diesem den vollen Unterhalt bezahlen, so bedeutet dies umgekehrt, dass sich das Kind dann nicht darauf berufen kann, es könne wegen der Nebenbeschäftigung neben dem Studium länger als die Studiendurchschnittsdauer ohne Verlust des Unterhaltsanspruchs studieren; ließe man dies zu, würde dies zu einer ungerechtfertigten Mehrbelastung des Unterhaltspflichtigen bzw zu einer „Doppelbegünstigung“ des Kindes führen; im Ergebnis wird der Unterhaltsberechtigte die restliche Studiendauer dann wohl aus der Nachzahlung finanzieren können


Schlagworte: Familienrecht, Kindesunterhalt, nicht Nachkommen der Verpflichtung, Eigeneinkommen des Kindes, Anrechnung, längere Studiendauer, Finanzierung aus Nachzahlung, Ehegattenunterhalt
Gesetze:

 

§ 231 ABGB, § 94 ABGB

 

GZ 6 Ob 8/17w, 27.02.2017

 

OGH: Das Gesetz schreibt nirgends die Erzielung eines eigenen Einkommens durch das unterhaltsberechtigte Kind vor Beendigung der Ausbildung vor.

 

Der Anspruch auf Unterhalt mindert sich insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist (§ 231 Abs 3 ABGB).

 

Eigeneinkommen des Kindes vermindert grundsätzlich seinen gesamten Unterhaltsanspruch.

 

Da der verringerte (veränderte) Bedarf nur einer der Bemessungsfaktoren für den Unterhaltsanspruch ist, mindern eigene Einkünfte aber nicht immer auch zwingend den Unterhaltsanspruch; dies va dann nicht, wenn der Unterhaltspflichtige wegen seiner geringen Leistungsfähigkeit bisher nur einen Bruchteil des Bedarfs des Unterhaltsberechtigten decken konnte.

 

Angesichts der festgestellten (relativ hohen) Einkünfte des Antragsgegners liegt dieser Fall hier nicht vor.

 

Das Eigeneinkommen des Kindes mindert den Unterhaltsanspruch soweit nicht, als es dazu dient, die Differenz zwischen dem konkreten Unterhaltsbedarf und dem tatsächlich geleisteten Unterhalt auszugleichen.

 

Dieser Fall liegt hier insofern nicht vor, als – aus einer ex-post-Betrachtung – der Antragsgegner angesichts der Höhe seines Einkommens auch für die Zeiten, in denen die Antragstellerin eigene Einkünfte hatte, dazu verurteilt werden kann, den ganzen konkreten Unterhaltsbedarf der Antragstellerin zu decken.

 

Nach zweitinstanzlicher Judikatur erlischt der Unterhaltsanspruch eines studierenden Kindes zwar, wenn die durchschnittliche Studiendauer erreicht wird, nicht jedoch, wenn besondere Gründe vorliegen, die ein längeres Studium gerechtfertigt erscheinen lassen, wie etwa Krankheit. Aus gerechtfertigten Gründen ist also eine geringfügige Überschreitung der Studiendurchschnittsdauer zu tolerieren, wobei insbesondere auch zu berücksichtigen ist, ob das Kind gezwungen ist, neben dem Studium eine Nebenbeschäftigung auszuüben. Soweit zu sehen, ging es bei diesen Entscheidungen um den Einwand des Unterhaltspflichtigen, das unterhaltsberechtigte Kind habe die Studiendurchschnittsdauer (erheblich) überschritten, weshalb der Unterhaltsanspruch erloschen sei.

 

Für den Ehegattenunterhalt während aufrechter Ehe gem § 94 ABGB gilt nach der Rsp Folgendes:

 

Ist die Frau, um nicht zugrundezugehen, dazu gezwungen, eine Beschäftigung anzunehmen, dann soll damit nicht der Unterhaltsschuldner entlastet werden. Dadurch, dass die unterhaltsberechtigte Frau versucht hat, aus eigener Kraft der vom Mann verschuldeten prekären finanziellen Situation entgegenzuwirken, indem sie ewa als Hausgehilfin tätig war, darf sie bei der Unterhaltsbemessung nicht schlechter gestellt werden, als wäre sie keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Eigenes Einkommen, das ein Eheteil nur aufgrund der durch die Unterhaltsverletzung des anderen entstandenen Not erwirbt, ist außer Betracht zu lassen, weil es ja im Falle der Unterhaltsleistung wieder wegfällt. Aus der Entscheidung 1 Ob 108/01s ergibt sich, dass dies für den Unterhaltsanspruch nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Zukunft gilt.

 

Es existiert bisher keine oberstgerichtliche Rsp dazu, ob die Grundsätze der soeben dargestellten Judikatur zum Ehegattenunterhalt auch beim Kindesunterhalt nach § 231 ABGB (§ 140 ABGB alt) anzuwenden sind.

 

Soweit zu sehen, gibt es dazu auch keine Stellungnahmen in der Lehre.

 

Zwischen dem Ehegattenunterhalt und dem Kindesunterhalt bestehen hier nach Ansicht des erkennenden Senats wertungsmäßig keine Unterschiede: Es wäre nicht einzusehen, warum sich der Ehegatte, der aus der vom Unterhaltspflichtigen infolge seiner Nichtleistung verursachten Not einem Erwerb nachgehen muss, das daraus erzielte Einkommen nicht anrechnen lassen muss, während dies beim unterhaltsberechtigten Kind nicht der Fall sein sollte.

 

Es ist daher festzuhalten: Das Eigeneinkommen eines unterhaltsberechtigten Kindes ist auf dessen Unterhaltsanspruch nicht anzurechnen, wenn sich die Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit aus der Tatsache ergibt, dass der Unterhaltsschuldner seiner Verpflichtung nicht nachkommt und sich das Kind auf diesen Umstand beruft.

 

Muss aber der Unterhaltspflichtige trotz Eigeneinkommens des Kindes diesem den vollen Unterhalt bezahlen, so bedeutet dies umgekehrt, dass sich das Kind dann nicht darauf berufen kann, es könne wegen der Nebenbeschäftigung neben dem Studium länger als die Studiendurchschnittsdauer ohne Verlust des Unterhaltsanspruchs studieren. Ließe man dies zu, würde dies zu einer ungerechtfertigten Mehrbelastung des Unterhaltspflichtigen bzw zu einer „Doppelbegünstigung“ des Kindes führen. Im Ergebnis wird der Unterhaltsberechtigte die restliche Studiendauer dann wohl aus der Nachzahlung finanzieren können.