31.01.2012 Zivilrecht

OGH: § 1295 Abs 2 ABGB – Haftung für aus Verfahrensverzögerung resultierende Vermögensnachteile

Das Recht, bei Meinungsverschiedenheiten die Hilfe des Gerichts in Anspruch zu nehmen, darf nicht schrankenlos ausgeübt werden, sondern findet seine Grenze dort, wo verfahrensrechtliche Möglichkeiten zur Schädigung des Prozessgegners missbraucht werden oder zumindest ohne Rücksicht auf diesen und trotz Erkennbarkeit fehlender Erfolgsaussichten wahrgenommen werden und zugleich billigend in Kauf genommen wird, dass der Gegner dadurch Vermögensnachteile erleidet


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Rechtsmissbrauch, Verfahrensverzögerung, Vermögensnachteile
Gesetze:

§ 1295 Abs 2 ABGB

GZ 1 Ob 227/11f, 22.12.2011

 

OGH: Es entspricht der Judikatur zu § 1295 Abs 2 ABGB, dass derjenige schadenersatzrechtlich haftet, der Verfahrenshandlungen setzt, obwohl er weiß, dass dadurch sein Vertragspartner [und Prozessgegner] vermögensmäßige Nachteile erleiden kann, wenn er bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass sein im Verfahren vertretener Standpunkt aussichtslos ist. Auch bei Verzögerung eines Prozesses kommt eine Schadenersatzpflicht der Partei in Betracht, wenn sie ungeachtet ihres Wissens oder Wissenmüssens um den unhaltbaren Rechtsstandpunkt Prozess führt. Die Einräumung bestimmter Verfahrensrechte an die Prozessparteien soll ja zweifellos nur den als gerechtfertigt anzusehenden Verfahrenszwecken dienen, nicht aber eine Partei in die Lage versetzen, ohne Rücksicht auf die erkennbar fehlende Berechtigung von Anträgen dem Prozessgegner Verzögerungsschäden zuzufügen.

 

Richtig ist, dass grundsätzlich dem Kläger die Behauptungs- und Beweislast dafür obliegt, dass dem Beklagten sein qualifiziertes prozessuales Fehlverhalten auch subjektiv im dargelegten Sinn vorwerfbar ist. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die konkrete Motivation des potentiellen Schädigers für den Kläger regelmäßig nicht direkt beweisbar ist, sondern typischerweise nur aus den Umständen erschlossen werden kann. Es muss daher im Regelfall hinreichen, dass der Kläger einen äußeren Geschehnisablauf nachweist, der unter Berücksichtigung allgemeiner Lebenserfahrung die Vermutung der Schädigungsabsicht begründet oder zumindest als Grundlage für die Annahme ausreicht, der Beklagte habe bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen müssen, dass der in den betreffenden Prozessanträgen vertretene Standpunkt aussichtslos ist. Dann ist es Sache des Beklagten einen gerechtfertigten Beweggrund für sein Verhalten zu behaupten und zu beweisen.