07.02.2012 Zivilrecht

OGH: Lügenvorwurf eines Rechtsanwalts gegenüber Verfahrensgegner – öffentliche ehrenbeleidigende Behauptungen iSd § 1330 ABGB?

Pressekonferenzen wie überhaupt mediale Ereignisse sind regelmäßig kein geeignetes Forum, Rechtsstandpunkte gegenüber einem Verfahrensgegner durchzusetzen; im Zuge einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung muss es möglich sein, die Behauptungen der Gegenseite als unrichtig zu bezeichnen; ein im Wege des § 1330 ABGB zu ahnender Lügenvorwurf ist darin in aller Regel nicht zu erblicken


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Ehrenbeleidigung, Kreditschädigung, Werturteil, Tatsachen, Verdächtigungen, Rechtsanwalt, Lügenvorwurf, Pressekonferenzen, Medien
Gesetze:

§ 1330 ABGB

GZ 6 Ob 258/11a, 12.01.2012

 

OGH: Hält sich ein Rechtsanwalt im Rahmen des § 9 RAO, so besteht für seine Vorgangsweise ein Rechtfertigungsgrund. Ehrenrührige unrichtige Tatsachenbehauptungen, die ein Rechtsanwalt über einen Prozessgegner seines Mandanten in einer Pressekonferenz aufstellt, unterliegen jedoch diesem Rechtfertigungsgrund nicht. Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass Pressekonferenzen wie überhaupt mediale Ereignisse regelmäßig kein geeignetes Forum sind, Rechtsstandpunkte gegenüber einem Verfahrensgegner durchzusetzen. Öffentliche ehrenbeleidigende Behauptungen über den Gegner können nur zu einer unsachlichen Emotionalisierung führen, die der ordnungsgemäßen Rechtspflege nicht nur nicht dienlich, sondern abträglich sind. Während dem Gegner vor Gericht rechtliches Gehör zu gewähren ist, hat der Betroffene, dessen Ehre anlässlich medialer Ereignisse angegriffen wird, in den meisten Fällen keine Möglichkeit, den Angriffen auf dieselbe Art und Weise entgegenzutreten. Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Äußerung auf einer Pressekonferenz oder im Rahmen eines Zeitungsinterviews abgegeben wurde.

 

Die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung in ihrem Gesamtzusammenhang, die Frage, ob Tatsachen verbreitet wurden oder eine wertende Äußerung vorliegt, sowie ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist sowie ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar gewesen wäre, stellt jeweils eine Frage des Einzelfalls dar. Nach stRsp hat die Auslegung des Bedeutungsinhalts einer Äußerung nach dem Verständnis eines durchschnittlich qualifizierten Erklärungsempfängers zu erfolgen.

 

Unter den Begriff der Verbreitung von Tatsachen iSd § 1330 Abs 2 ABGB fallen nach der Rsp auch bloße Verdächtigungen, weil die Bestimmung bei anderer Auslegung gegen geschickte Formulierungen wirkungslos wäre. Ob ein Ausdruck den Tatbestand des § 1330 Abs 1 ABGB erfüllt, kann nur aus dem Zusammenhang, in dem er gebraucht wurde, beurteilt werden. Unter „Tatsachen“ sind Umstände, Ereignisse oder Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm anhand bestimmter oder doch zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit überprüfbaren Inhalt zu verstehen. Darin liegt der Unterschied gegenüber bloßen Werturteilen, die erst aufgrund einer Denktätigkeit gewonnen werden können und die eine rein subjektive Meinung des Erklärenden wiedergeben. Auch Werturteile sind nur dann auf das Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt, wenn sie auf ein im Kern wahres Tatsachensubstrat zurückgeführt werden können und die Äußerung nicht exzessiv ist. Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein. Selbst überspitzte Formulierungen und massive Kritik sind hinzunehmen, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt.

 

Die Behauptung, dass jemand gelogen habe, ist eine Tatsachenbehauptung, kann doch überprüft werden, ob sie richtig ist, der der Lüge Beschuldigte also tatsächlich gelogen hat. Der auf keinem rechtfertigenden Sachverhalt beruhende Lügenvorwurf ist ein ehrverletzendes Werturteil, das als Beschimpfung dem Tatbild des § 1330 Abs 1 ABGB unterliegt.

 

Im vorliegenden Fall wird der vom Berufungsgericht ermittelte Bedeutungsgehalt der inkriminierten Aussage als „Lügenvorwurf“, welcher ein ehrverletzendes Werturteil und eine rufschädigende Tatsachenbehauptung darstelle, jedoch dem Bezugszusammenhang, in dem die Aussagen des Zweitbeklagten stehen, nicht ausreichend gerecht. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Äußerungen iZm einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung um die Berechtigung des Finderlohnanspruchs des Klägers und die Unverzüglichkeit der Rückgabe stehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit eines Rechtsanwalts nur in Ausnahmefällen iSd Art 10 EMRK als notwendig angesehen werden können.

 

Vor diesem Hintergrund ist die Äußerung des Zweitbeklagten aber als wertende Kritik am Verhalten des Klägers zu qualifizieren. Dem Zweitbeklagten lag es va daran, den Rechtsstandpunkt seiner Mandantin zu untermauern. Dabei brachte der Zweitbeklagte durch die Wortwahl „aus unserer Sicht“ auch klar zum Ausdruck, dass es sich dabei um eine subjektive Einschätzung und den Prozessstandpunkt seiner Mandantin handle.

 

Im Zuge einer derartigen Auseinandersetzung muss es möglich sein, die Behauptungen der Gegenseite als unrichtig zu bezeichnen. Ein im Wege des § 1330 ABGB zu ahnender Lügenvorwurf ist darin in aller Regel nicht zu erblicken. Die Wortwahl des Zweitbeklagten („Unfug“ bzw „lächerlich“ iZm dem Vorbringen des Klägers, er hätte nicht erkannt, dass es sich um einen wertvollen Ring handle) vermag daran nichts zu ändern. Im Übrigen ist, wenngleich die Tatsachenversion des Klägers im Prozess für erwiesen angesehen wurde, darauf hinzuweisen, dass der äußere Sachverhalt, wonach ein wertvolles Schmuckstück erst zwei Wochen nach seinem Fund vom Kläger der Polizei übergeben wurde, jedenfalls aus damaliger Sicht Zweifel an der Richtigkeit des Prozessstandpunkts des Klägers nahe legte.

 

Damit liegt im vorliegenden Fall trotz der teilweisen drastischen Wortwahl weder eine ehrverletzende Tatsachenbehauptung noch eine Beschimpfung iSd § 1330 Abs 1 ABGB vor.