06.03.2012 Zivilrecht

OGH: Verbandsklage gem § 28 KSchG iZm Kraftfahrzeug-Kaskoversicherung

Ausführungen zu Klauseln iZm Schriftformgebot, Totalschadenabrechnung und Leistungsfreiheit des Versicherers bei Obliegenheitsverletzungen


Schlagworte: Konsumentenschutzrecht, Versicherungsrecht, Kraftfahrzeug-Kaskoversicherung, Schriftformgebot, Totalschadenabrechnung, Wiederbeschaffungswert, Wrackwert, Restwert, Leistungsfreiheit des Versicherers bei Obliegenheitsverletzungen
Gesetze:

§ 6 KSchG, § 879 ABGB, § 864a ABGB

GZ 7 Ob 216/11g, 21.12.2011

 

Die Beklagte betreibt das Versicherungsgeschäft. Sie schließt als Unternehmerin mit Verbrauchern laufend Versicherungsverträge ab, denen sie ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), insbesondere ihre Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Kaskoversicherung (AKKB 2008/A; im Folgenden AKKB) zugrunde legt.

 

Art 17 AKKB lautet:

„Alle Mitteilungen und Erklärungen des Versicherungsnehmers und sonstiger anspruchsberechtigter Personen bedürfen zu ihrer Verbindlichkeit der Schriftform.“

 

OGH: Wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, hält sich die Klausel in dem von § 6 Abs 1 Z 4 KSchG vorgegebenen Rahmen. Verpönt ist nach dieser Gesetzesstelle nur eine dem Verbraucher abverlangte „strengere Form als die Schriftform“. Dass der Versicherer zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten und Missverständnissen ein sachlich begründetes Interesse daran hat, vom Versicherungsnehmer schriftlich informiert und verständigt zu werden, ist unbestreitbar. Es trifft zwar zu, dass in bestimmten Fällen nach Treu und Glauben auch die formlose Erfüllung einer Aufklärungs- oder Mitteilungspflicht seitens des Versicherungsnehmers ungeachtet des Schriftformgebots wirksam sein kann. Dies ist in Ausnahmefällen - eben weil es Treu und Glauben erfordern - einem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers erkennbar. Dass es diese Ausnahmefälle gibt, erfordert aber entgegen der Meinung des Klägers nicht, das sachlich berechtigte Schriftformgebot dahin aufzuweichen, dass grundsätzlich jede formlose Mitteilung des Versicherungsnehmer genügen und der Versicherer lediglich berechtigt sein solle, eine schriftliche Bestätigung der Nachricht einzufordern. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Klausel den Verbraucher/Versicherungsnehmer nicht gröblich benachteilige (§ 879 Abs 3 ABGB), ist daher zu billigen.

 

 

Art 5 Abs 1 AKKB lautet:

„Ein Totalschaden liegt vor, wenn infolge eines unter die Versicherung fallenden Ereignisses […]

- die voraussichtlichen Kosten der Wiederherstellung zuzüglich der Restwerte den sich gemäß Punkt 1.2. ergebenden Betrag [d.i. der Wiederbeschaffungswert] übersteigen.“

 

OGH: Es trifft zwar zu, dass die Klausel ungeachtet ihrer Branchenüblichkeit unwirksam wäre, wenn sie den Verbraucher/Versicherungsnehmer tatsächlich iSd § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteiligte. Dies ist aber aus den vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen zu verneinen. § 52 VersVG räumt ausdrücklich die Möglichkeit ein, den Versicherungswert den Umständen entsprechend abweichend vom Sachwert zu definieren. Dies trifft für die beanstandete Klausel allerdings - auch wenn sie hinsichtlich der Reparaturwürdigkeit beschädigter Fahrzeuge von den in erster Linie auf Naturalrestitution abstellenden Regelungen des allgemeinen Schadenersatzrechts (§§ 1295 ff ABGB) abweicht - ohnehin nicht, jedenfalls aber nur in einem vertretbaren Ausmaß zu. Die Definition des Totalschadens schränkt zwar insbesondere bei älteren und daher bereits deutlich wertgeminderten Fahrzeugen den Anspruch auf Ersatz von Reparaturkosten insofern ein, als diese nur ersetzt werden, wenn sie zusammen mit dem durch den Versicherungsfall verringerten Wert des versicherten Fahrzeugs dessen Zeitwert in unbeschädigtem Zustand (Wiederbeschaffungswert) nicht übersteigen. Diese den Wrackwert berücksichtigende Einschränkung der Versicherungsleistung ist aber sachgerecht, da es dem Versicherungsnehmer damit zumindest rechnerisch möglich ist, ein gleichwertiges Fahrzeug zu erwerben. Auch wenn man die bei älteren Fahrzeugen auftretende Problematik, ein entsprechendes Fahrzeug zu finden, ins Kalkül zieht, ist diese eine günstigere Prämienkalkulation möglich machende Regelung aus der Sicht der Gemeinschaft der Versicherten vertretbar.

 

Die vom Revisionswerber geäußerte Kritik daran, dass die Versicherungsprämien bei älteren Fahrzeugen ungeachtet deutlicher Wertminderungen gleich bleiben, ist - ebenso wie die vom Kläger angesprochene Problematik der sog Wrackbörse (eine Internetplattform, über die beschädigte Fahrzeuge von betroffenen Versicherern angeboten werden) - kein durch die Klausel bewirktes Phänomen. Da die Klausel dafür an sich nicht verantwortlich ist, muss die Behauptung, sie sei (auch) aus diesen Gründen gröblich benachteiligend, ins Leere gehen.

 

Schließlich kommt auch dem Einwand der Intransparenz nach § 6 Abs 3 KSchG keine Berechtigung zu. Die Verwendung gewisser Fachtermini in Versicherungsbedingungen ist unumgänglich. Der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer erkennt unschwer, dass unter dem Begriff „Restwert“ in der beanstandeten Klausel nur der Zeitwert des versicherten Fahrzeugs im total beschädigten Zustand, also der - vom Versicherungsnehmer bei zumutbaren Bemühungen erzielbare - Wrackwert gemeint sein kann. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch erkannt, dass es einer näheren Bestimmung des Restwerts nicht bedarf; mangels weiterer Vorgaben kann darunter nichts anderes als der Verkaufswert des Autowracks und damit der „ordentliche  Preis“ nach § 305 ABGB zu verstehen sein. Das Detailproblem, ob für die Ermittlung des Wrackwerts nach dieser Gesetzesstelle nur Angebote aus der Region des Wohnorts des Versicherungsnehmers, nicht aber ausländische Angebote aus der Wrackbörse zu berücksichtigen sind, kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben. Wesentlich ist, dass auch eine für den Konsumenten ungünstigste Auslegung der Klausel entgegen der Ansicht des Klägers insofern zu keiner Abweichung von den allgemeinen Regelungen des Zivilrechts führt.

 

 

Art 7 Abs 3 AKKB lautet:

„Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs 3 VersVG), werden bestimmt,

 

3.1. dem Versicherer längstens innerhalb einer Woche ab Kenntnis

- den Versicherungsfall unter möglichst genauer Angabe des Sachverhalts sowie

- die Einleitung eines damit im Zusammenhang stehenden verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens

schrifltich mitzuteilen;

 

3.2. nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen;

 

3.3. dass der Versicherungsnehmer vor Beginn der Wiederinstandsetzung bzw. vor Verfügung über das beschädigte Fahrzeug die Zustimmung des Versicherers einzuholen hat, soweit ihm dies billiger Weise zugemutet werden kann;

 

3.4. dass ein Schaden, der durch Berührung durch ein unbekanntes Kraftfahrzeug (Parkschaden), durch mut- oder böswillige Handlungen betriebsfremder Personen, durch Diebstahl, Einbruchsdiebstahl, Raub, unbefugten Gebrauch durch betriebsfremde Personen, Brand, Explosion, Haar-, Federwild oder Haustiere entsteht, vom Versicherungsnehmer oder Lenker bei der nächsten Polizeidienststelle unverzüglich anzuzeigen ist.“

 

OGH: Bei lebensnaher Betrachtung kann nicht davon ausgegangen werden, der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer werde jeweils das gesamte Regelwerk durchlesen, damit auch auf den im Anhang abgedruckten Text des § 6 Abs 3 KSchG stoßen und die dort normierten Ausnahmen von der Leistungspflicht des Versicherers erkennen können. Wie der OGH etwa in der Entscheidung 6 Ob 16/01y erläutert hat, kann es an der Verständlichkeit einer Klausel auch dann fehlen, wenn zusammenhängende Bestimmungen und ihre nachteiligen Folgen deshalb nicht erkennbar sind, weil sie sich an unterschiedlichen Stellen eines Bedingungswerks befinden. Der bloße Verweis auf den, einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht geläufigen, § 6 Abs 3 KSchG lässt nach dem Klauselwortlaut nicht erkennen, dass dort Ausnahmen von der aufgrund von Obliegenheitsverletzungen gegebenen Leistungsfreiheit des Versicherers statuiert sind. Der Ansicht des Berufungsgerichts, die Klausel verschleiere, dass Leistungsfreiheit des Versicherers nur nach Maßgabe des § 6 Abs 3 VersVG eintrete, ist daher zuzustimmen.