02.04.2012 Zivilrecht

OGH: Auflösung des Bestandvertrags wegen erheblich nachteiligem Gebrauch nach § 1118 erster Fall ABGB – zur Zurechnung fremden Verschuldens im Rahmen des § 1118 ABGB

§ 1313a ABGB ist bei der Beurteilung eines behaupteten Auflösungsgrundes nach § 1118 ABGB nicht heranzuziehen; für das Fehlverhalten eines vom Mieter zur Durchführung von Arbeiten herangezogenen Fachmannes wird der Mieter im Rahmen des § 1118 ABGB nur dann einzustehen haben, wenn er die Unfähigkeit oder die Fehlleistung des Fachmannes erkennen hätte müssen; selbst ein einzelner Vorfall kann einen Auflösungsgrund bieten, wenn er derart schwerwiegend ist, dass er das Maß des Zumutbaren überschreitet und objektiv geeignet erscheint, auch nur einem Mitbewohner das Zusammenleben zu verleiden (hier: besonders rücksichtslose Sanierung)


Schlagworte: Bestandrecht, Auflösung, erheblich nachteiliger Gebrauch, Zurechnung fremden Verschuldens, Fachmann, unleidliches Verhalten, besonders rücksichtslose Sanierung
Gesetze:

§ 1118 ABGB, § 1313a ABGB, § 1315 ABGB, § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG

GZ 2 Ob 164/11y, 08.03.2012

 

OGH: Ein erheblich nachteiliger Gebrauch vom Mietgegenstand iSd § 1118 erster Fall ABGB (wie des gleichlautenden Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG) liegt vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgte oder auch nur droht, oder wenn durch das nachteilige Verhalten des Mieters wichtige wirtschaftliche oder persönliche Interessen des Vermieters oder der anderen Mieter gefährdet werden.

 

Die Vornahme von baulichen Veränderungen durch den Mieter ohne Zustimmung des Bestandgebers rechtfertigt die Auflösung des Bestandvertrags gem § 1118 erster Fall ABGB dann, wenn die vom Mieter vorgenommenen Veränderungen für die Bestandsache erheblich nachteilig sind. Als nachteilig wird eine Bauführung verstanden, die eine erhebliche Substanzschädigung des Bestandgegenstands zumindest befürchten lässt. Sachgemäß durchgeführte Vorkehrungen zur Verbesserung bzw Modernisierung des Bestandgegenstands können den Auflösungstatbestand grundsätzlich nicht erfüllen. Derartige bauliche Veränderungen, die den Intentionen des Bestandgebers zuwiderlaufen, könnten nur dann einen erheblich nachteiligen Gebrauch des Bestandgegenstands bewirken, wenn dadurch wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Bestandgebers verletzt wurden oder wenn die Gefahr der Verletzung solcher Interessen droht.

 

§ 1118 erster Fall ABGB soll die Möglichkeit für die Auflösung des Bestandverhältnisses bieten, weil das für sein Weiterbestehen erforderliche Vertrauen weggefallen ist. Grundlage für einen Auflösungsanspruch ist immer ein vertragswidriges Verhalten. Der Mieter muss sich also so verhalten haben, dass er nicht mehr vertrauenswürdig ist. Ein Verschulden des Mieters ist dazu nicht erforderlich; es genügt, dass sich der Mieter des nachteiligen Verhaltens bewusst war oder bewusst sein musste, wobei der Maßstab eines durchschnittlichen Mieters zugrunde zu legen ist.

 

Damit im Zusammenhang steht auch die Rsp des OGH, wonach der Mieter im Rahmen des § 1118 erster Fall ABGB für das Fehlverhalten eines von ihm zur Durchführung von Arbeiten herangezogenen Fachmanns nur dann einzustehen hat, wenn er die Unfähigkeit oder die Fehlleistung des Fachmanns erkennen hätte müssen (5 Ob 658/89). In der soeben zitierten Entscheidung wurde die analoge Anwendung der schadenersatzrechtlichen Bestimmung des § 1313a ABGB bei der Prüfung eines auf § 1118 erster Fall ABGB gestützten Anspruchs im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dass sich ein durchschnittlich vertrauenswürdiger Mieter zur Durchführung solcher Arbeiten eines entsprechenden Fachmanns bedienen werde und ihm das ausnahmsweise Fehlen der erforderlichen Kenntnisse und der notwendigen Aufmerksamkeit bei diesem Fachmann nicht vorgeworfen werden könne. Im Sinne dieser Rsp wird auch in aktuellen Entscheidungen stets darauf abgestellt, ob Umbauarbeiten von Fachleuten durchgeführt worden sind.

 

Die Entscheidung GZ 1 Ob 2315/96i, auf die sich der Revisionswerber zur Darlegung der von ihm behaupteten uneinheitlichen Rsp beruft, enthält zwar die Formulierung, dass dem Missbrauch des Bestandnehmers der eines Unterbestandnehmers und aller anderen Personen gleich stehe, „für die jener haftet“. Damit wurde aber nur auf den unter § 1111 ABGB fallenden Personenkreis abgestellt, ohne dass ein Anlass (und die erkennbare Absicht) bestand, sich von der früher ergangenen Entscheidung GZ 5 Ob 658/89 zu distanzieren.

 

Ein Widerspruch ist aber auch nicht darin zu erblicken, dass der Mieter im Rahmen des § 1118 erster Fall ABGB in der Regel für das Verhalten seiner Hausgenossen (auch Gäste) und des Unterbestandnehmers einzustehen hat, für das Verhalten eines von ihm bestellten Fachmanns aber nicht. Wird doch in Ansehung des von § 1111 ABGB erfassten Personenkreises die Verantwortung des Mieters ebenfalls auf jene Fälle beschränkt, in denen ihm - gemessen am Maßstab eines durchschnittlichen Mieters - die Nachteiligkeit des Verhaltens des Dritten bewusst war oder zumindest bewusst sein musste. Die im Rechtsmittel zitierte Entscheidung GZ 2 Ob 390/97k betraf hingegen einen Schadenersatzanspruch des Vermieters, sodass aus ihr für die hier vorzunehmende Beurteilung nach § 1118 erster Fall ABGB keine entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu gewinnen sind.

 

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der geltendgemachte Auflösungsgrund verwirklicht wird, ist der Zugang der Auflösungserklärung, somit die Zustellung der Räumungsklage, wenn die Auflösungserklärung in ihr abgegeben worden ist. Nachträgliche Änderungen, etwa eine spätere Besserung des Verhaltens des Mieters, sind daher bedeutungslos.

 

Die Räumungsklage wurde der Beklagten am 8. 8. 2006 zugestellt. Beide Streitteile gehen im vorliegenden Rechtsstreit übereinstimmend davon aus, dass das Bestandverhältnis bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgelöst war. Bei Zugang der Auflösungserklärung waren die Umbauarbeiten an sich bereits abgeschlossen. Obwohl keine Feststellungen über den Vorzustand getroffen wurden, deuten Art und Umfang der Sanierungsmaßnahmen darauf hin, dass grundsätzlich eine Verbesserung und Modernisierung des Bestandobjekts erreicht worden ist. Den Feststellungen lässt sich aber auch entnehmen, dass die durch die unsachgemäße Montage des Fangsystems und die dadurch verursachten Schäden (Durchfeuchtung des Mauerwerks und Kaminversottung) bewirkte Gefährdung der Bausubstanz noch vorhanden gewesen sind. Dazu kamen der im unsachgemäßen Aufbau der Fußbodenkonstruktion (fehlende Trittschalldämmung) zu erblickende Mangel sowie weitere Schäden, wie kaputte Dachziegel, Wandrisse und Stemmlöcher, die teilweise noch immer nicht beseitigt sind.

 

Die Beklagte hat sich zur Durchführung der Umbauarbeiten eines konzessionierten Bauunternehmers als Generalunternehmer bedient, der seinerseits Subunternehmer, so auch das Installationsunternehmen, beauftragte. Die vom Kläger in Frage gestellte Meinung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte weder aus der vorübergehenden Baueinstellung oder der einstweiligen Vorkehrung des Bezirksgerichts Fünfhaus, noch aus dem vom Rauchfangkehrer erlassenen Heizverbot auf die „Unfähigkeit“ des Generalunternehmers schließen und einen anderen Bauunternehmer beauftragen hätte müssen, weshalb ihr Fehlleistungen ihres Vertragspartners im Rahmen des § 1118 erster Fall ABGB nicht zuzurechnen seien, kann hier aber auf sich beruhen. Für den Prozessstandpunkt der Beklagten wäre aus den folgenden Gründen nämlich auch dann nichts gewonnen, wenn eine solche Zurechnung zu verneinen ist:

 

Erheblich nachteiliger Gebrauch gem § 1118 erster Fall ABGB umfasst nach stRsp auch den Tatbestand des unleidlichen Verhaltens iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG. Die Auflösung des Bestandverhältnisses wegen unleidlichen Verhaltens setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Entscheidend ist das Gesamtverhalten. Selbst ein einzelner Vorfall kann einen Auflösungsgrund bieten, wenn er derart schwerwiegend ist, dass er das Maß des Zumutbaren überschreitet und objektiv geeignet erscheint, auch nur einem Mitbewohner das Zusammenleben zu verleiden, wobei zu den „Mitbewohnern“ nach der weiten Auslegung dieses Begriffs durch die Rsp auch der nicht im Haus wohnende Hauseigentümer zählt.

 

Im vorliegenden Fall fällt dabei ins Gewicht, dass die Beklagte ihre Sanierungspläne auf besonders rücksichtslose Art und Weise gegenüber dem Vermieter und ihren sonstigen Mitbewohnern durchgesetzt hat, mag der Vermieter auch nachträglich mit Sachbeschluss zur Duldung der meisten baulichen Veränderungen verpflichtet worden sein.

 

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zeugen von der Rücksichtlosigkeit der Beklagten schon die Feststellungen über die in ihrer Wohnung zum Einsatz gelangenden Mischmaschinen und Hiltihämmer, die dadurch in anderen Mietobjekten verursachten Bauschäden, sowie die monatelange Lärm-, Staub- und Schmutzbeeinträchtigung der übrigen Mieter, was schließlich auch dazu führte, dass die oberhalb der Beklagten wohnende Mieterin nach Kündigung ihres Mietverhältnisses ausgezogen ist. Die diesbezügliche Feststellung („Da sich die Wohnqualität infolge der Umbauarbeiten der Beklagten […] verschlechterte, zog die Mieterin […] aus ihrer Wohnung aus.“) ist eindeutig (vgl auch Urteil Seite 28: „[...] wegen der Umbauarbeiten und der daraus folgenden Unannehmlichkeiten [...]“) und bedarf schon deshalb nicht der in der Revisionsbeantwortung geforderten Ergänzungen (Streit mit den Hausmeistern; Feuchtigkeitsschäden im Badezimmer; Kündigung erst nach Abschluss der wesentlichen staub- und lärmintensiven Arbeiten), weil diese an der festgestellten Ursächlichkeit der Umbauarbeiten für den Auszug der Mieterin nichts ändern würden.

 

Bedeutsam ist darüber hinaus aber va, dass die Beklagte das mit der einstweiligen Vorkehrung des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 29. 8. 2003 erlassene Verbot, weitere nicht bloß geringfügige Arbeiten am Bestandgegenstand und an allgemeinen Teilen des Hauses durchzuführen, schlichtweg ignorierte und die Umbauarbeiten „trotzdem fortgesetzt“ hat. Dass es sich dabei auch bloß um „Wiederherstellungsarbeiten“ gehandelt haben könnte, wie das Berufungsgericht zu bedenken gibt, widerspricht dem klaren Sinngehalt der getroffenen Feststellung. Ebenso wenig vermag die Beklagte ihr Verhalten dadurch in ein besseres Licht zu rücken, dass sie in ihrer Revisionsbeantwortung die Vollendung der Arbeiten am Fußboden als „Wiederherstellung des vorigen Zustands“ interpretiert.

 

Schließlich können bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens der Beklagten die mit den Endbeschlüssen des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 4. 3. 2004 (Anbringung zweier Schaltkästen und einer Funkantenne am Gartenzaun), 24. 9. 2004 (Abstellen einer Yuccapalme und anderer Kübelpflanzen am allgemeinen Gang) und 16. 11. 2004 (Durchschneiden von Wasserleitungen und Abflussrohren im allgemeinen Kellerbereich) festgestellten Störungen des ruhigen Sachbesitzes des Klägers nicht unberücksichtigt bleiben. In den beiden zuletzt genannten Fällen war der Kläger sogar zur Exekutionsführung genötigt, da die Beklagte neuerlich den allgemeinen Gang zur Lagerung eines Gegenstands verwendet hatte (Exekutionsbewilligung am 20. 6. 2006, also noch vor Zustellung der Räumungsklage) und die Wiederherstellung der Wasserleitung und der Abflussrohre unterließ (dieses Exekutionsverfahren wurde erst am 1. 8. 2007 eingestellt).

 

Unter all diesen Umständen zeichnet sich zum Stichtag des Zugangs der Auflösungserklärung ein Gesamtbild, das den Tatbestand des unleidlichen Verhaltens der Beklagten iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG erfüllt.

 

Es ist aber auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger auf sein Auflösungsrecht nach § 1118 erster Fall ABGB verzichtet hätte, weil die Räumungsklage mehr als zwei Jahre nach Abschluss der Umbauarbeiten eingebracht worden ist. Es gilt zwar der Grundsatz, dass Auflösungs- und Kündigungsgründe ohne unnötigen Aufschub geltend zu machen sind. Der schlüssige Verzicht auf einen Auflösungs- oder Kündigungsgrund hat aber zur Voraussetzung, dass das Zuwarten des Vermieters mit der Aufkündigung oder der Räumungsklage uU erfolgt, aus denen mit Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln übrig bleibt, dass der Vermieter den ihm bekannten Sachverhalt nicht mehr als Auflösungs- oder Kündigungsgrund geltend machen will. Es ist daher erforderlich, dass der Mieter weiß oder aus dem Verhalten des Vermieters doch mit Recht ableiten kann, dass dieser den vollen Sachverhalt, der die Auflösung oder die Kündigung rechtfertigt, kennt und dem Mieter keine Umstände bekannt sind, die ein Zuwarten des Vermieters mit der Kündigung oder einer Räumungsklage aus einem anderen Grund als dem eines Verzichts auf das Auflösungs- bzw Kündigungsrecht erklärlich erscheinen lassen.

 

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Beklagte weist in ihrer Revisionsbeantwortung selbst darauf hin, dass die vom Kläger geltend gemachten Auflösungsgründe auch Gegenstand des zwischen den Streitteilen seit dem Jahr 2004 anhängigen Kündigungsverfahrens sind. Damit konnte im Zeitpunkt der Zustellung der Räumungsklage für die Beklagte aber nicht zweifelhaft sein, dass der Kläger weiterhin die Auflösung des Bestandvertrags aus diesen Gründen anstrebt und er auf deren Geltendmachung nicht verzichtet hat.

 

Diese Erwägungen führen zu der Beurteilung, dass der Kläger gem § 1118 erster Fall ABGB zur vorzeitigen Auflösung des Bestandverhältnisses berechtigt war.