09.04.2012 Zivilrecht

OGH: Verbandsklage gem § 28 KSchG (hier: Mobilfunkanbieter verlangt extra Entgelt für Papierrechnung)

Entgegen der Behauptungen der Beklagten ist eine (unentgeltliche) Papierrechnung durchaus noch üblich und vom Gesetzgeber gewünscht; § 100 TKG idF BGBl I Nr 102/2011 normiert nunmehr, dass die Möglichkeit des Teilnehmers, eine unentgeltliche Rechnung in Papierform zu erhalten, vertraglich nicht ausgeschlossen werden darf


Schlagworte: Konsumentenschutzrecht, Verbandsklage, Mobilfunk-AGB, kostenpflichtige Papierrechnung
Gesetze:

§ 6 Abs 3 KSchG, § 879 Abs 3 ABGB, § 28 KSchG, § 100 TKG

GZ 4 Ob 141/11f, 28.02.2012

 

Die Beklagte betreibt das Telefoniedienstleistungsgeschäft. Sie verwendet im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern im Vertragsformblatt „Kündigungsverzicht/Vertragsverlängerung“ bzw in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, gültig ab 1. 6. bzw ab 24. 7. 2010, bzw in ihren Entgeltbestimmungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zu Grunde legt, folgende Klauseln (Bezeichnung mit [a] bis [e] durch das Gericht):

 

[a] 1) Ich stimme zu, dass ich meine T***** Rechnung ausschließlich auf elektronischem Weg übermittelt erhalte. Sollte ich eine Rechnung in Papierform wünschen, kann T***** einen Umweltbeitrag verrechnen. Dieser Umweltbeitrag wird auch für schriftliche Bestätigungen verrechnet.

 

[b] 2) § 21 Zahlungsziel; Wir können Ihnen unsere Rechnungen ausschließlich auf elektronischem Wege legen. Sie werden über die Umstellung auf elektronische Rechnungslegung rechtzeitig vorab informiert. Eine SMS wird Sie monatlich über den Eingang der Rechnung informieren. Sie sind verpflichtet, den Rechnungseingang zu kontrollieren und gegebenenfalls mit uns Kontakt aufzunehmen, um eine neuerliche elektronische Zustellung zu veranlassen. Sollten Sie Interesse an einer Papierrechnung haben, können wir Ihnen einen Umweltbeitrag entsprechend den allgemeinen Entgeltbestimmungen verrechnen.

 

[c] § 21 (2) Sie sind verpflichtet, innerhalb von einer Woche ab Zustellung der Rechnung zu bezahlen. Die elektronische Rechnung gilt mit Zustellung der SMS, die Sie über die Abrufbarkeit der Rechnung informiert, als zugestellt.

 

[d] 3) § 6.20 Umweltbeitrag: Wenn Sie Auskünfte, Bestätigungen oder sonstige Informationen in Papierform zugeschickt haben möchten, die wir Ihnen auch in elektronischer Form und mündlich zur Verfügung stellen, können wir Ihnen dafür einen Umweltbeitrag verrechnen. Der Umweltbeitrag wird für die Zusendung folgender Schriftstücke verrechnet: schriftliche Bestätigungen, Ausstellung einer Papierrechnung. Ein Teil der aus den verrechneten Umweltbeiträgen erzielten Einnahmen fließt in den Umweltfonds. Mit den Mitteln dieses Umweltfonds werden Umweltschutz- Projekte und Maßnahmen anerkannter Hilfsorganisationen oder staatlicher Einrichtungen finanziert. Die Vergabe der Projektfinanzierung erfolgt durch eine anerkannte unabhängige Jury. Nähere Informationen zur Höhe und zur Verwendung der eingehobenen Umweltbeiträge finden Sie unter www.*****.

 

[e] 4) Umweltbeitrag EUR 1,89

 

 

OGH: Als „Dienstleister“ ist die Beklagte ihren Kunden gegenüber grundsätzlich zur Rechnungslegung verpflichtet. Das Leistungsentgelt von „Dienstleistern“ wird in der Regel erst mit Zumittlung der Rechnung an den Kunden fällig. Entgegen der Behauptungen der Beklagten ist eine (unentgeltliche) Papierrechnung durchaus noch üblich und vom Gesetzgeber gewünscht.

 

Die Regelung über die unentgeltliche Rechnung iSd § 100 TKG idF BGBl I Nr 102/2011 soll sicherstellen, dass der Teilnehmer nicht gegen seinen Willen mit einer bestimmten Rechnungsform konfrontiert wird. Auch § 81 ElWOG 2010 normiert, dass das Recht des Kunden auf Rechnungslegung in Papierform vertraglich nicht ausgeschlossen werden darf.

 

Für die Lösung der hier aufgeworfenen Rechtsfragen ist es irrelevant, ob 86 % oder 90 % der Kunden der Beklagten über einen Internetzugang verfügen, zumal jedenfalls ein nicht unbeträchtlicher Teil der Konsumenten das Internet nicht nutzt. Die beanstandeten Klauseln stellen im Übrigen nicht darauf ab, ob ein Kunde Zugang zum Internet hat oder nicht. Ebenso irrelevant ist die behauptete Kundenfreundlichkeit des Rechnungslegungssystems, wenn sie doch dem über keinen Internetzugang verfügenden („rückwärtsgewandten und technologiefeindlichen“) Teil der Kunden der Beklagten verschlossen bleibt. Dasselbe gilt für die behauptete Förderung öko-sozialer Ziele. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Benachteiligung eines Vertragsteils gegenüber dem anderen nicht durch „höhere, der gesamten Gesellschaft dienende Ziele“ ausgeglichen wird.

 

Im vorliegenden Fall kann auch aus dem Gesamtzusammenhang der verwendeten Klauseln - so auch nicht aus den vermeintlich „eindeutigen Überschriften“ - ausreichende Transparenz (§ 6 Abs 3 KSchG) gewonnen werden. Für den Kunden ist es nicht leicht verständlich, dass er für die Zusendung der Rechnungen jeweils „sonstige Einmalentgelte“ und nicht einfach einen entsprechenden Monatstarif zu leisten hat. Dem Argument der Beklagten, sie könne nicht wissen, welche Leistungen der Kunde in Papierform in Anspruch nehmen werde, ist entgegenzuhalten, dass kaum anzunehmen ist, ein Telefoniekunde werde zwischen der Rechnungslegung in Papierform und jener in elektronischer Form monatlich hin und her schwanken wollen. Für diejenigen Kunden, welche Papierrechnungen wünschen, stellt sich das hiefür zu leistende Entgelt daher als regelmäßig monatlich anfallendes Zusatzentgelt dar. Überraschend ist es für den Kunden auch, dass er mit dem „Umweltbeitrag“ einerseits entstandene Kosten abdecken und andererseits einen Beitrag zur Förderung von Umweltprojekten leisten soll. Die den „Umweltbeitrag“ regelnden - klagsgegenständlichen - Klauseln der Beklagten sind daher keineswegs „klar und verständlich“ und verstoßen somit gegen das Transparenzgebot gemäß § 6 Abs 3 KSchG.

 

Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung 1. Instanz bestand noch keine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung für Telefondienstanbieter, Rechnungen in Papierform auszustellen (§ 100 Abs 1 TKG aF räumte dem Kunden bloß das Recht ein, Einzelentgeltnachweise auf Verlangen entgeltfrei in Papierform zu erhalten). Sie ergibt sich aber schon daraus, dass die elektronische Rechnung - jedenfalls in der von der Beklagten praktizierten Art - nicht als adäquate Rechnungslegung zu erachten ist. Die - wenn auch noch so kundenfreundlich gestaltete - elektronisch zur Verfügung gestellte Rechnung ist kein gleichwertiges Äquivalent zur Papierrechnung. Sie wird mittels SMS (bloß) angekündigt und muss dann erst vom Kunden via Internet abgerufen werden. Dies verursacht auch demjenigen, der die Möglichkeit dazu hat (nach Auffassung der Beklagten „fast 90 % der Kunden“) Kosten und Mühe. Die Rechnung wird aber häufig uneingesehen bleiben, was eine allfällige Rechtsverfolgung erschwert (so etwa wegen des Versäumens von Einspruchsfristen).

 

Eine gröbliche Benachteiligung (§ 879 Abs 3 ABGB) der Kunden der Beklagten durch die klagsgegenständlichen Klauseln liegt auch darin, dass ihnen für die Erfüllung einer vertraglichen Nebenleistungspflicht, nämlich der Ausstellung einer Rechnung in Papierform, ein gesondertes Entgelt („Umweltbeitrag“) abverlangt wird.

 

Auch die unentgeltlichen Einzelentgeltnachweise in Papierform können nichts an der gröblichen Benachteiligung der Kunden ändern, zumal sie jeweils im Einzelfall abzufordern sind (worin eine gewisse Hürde liegt) und nicht unbedingt als Rechnungen ausgestaltet sein müssen.

 

Diese gröbliche Benachteiligung kann auch nicht mit einem „Interesse der Allgemeinheit“ gerechtfertigt werden. Entscheidend ist, dass die den Vertragspartnern der Beklagten zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zu jener der Beklagten selbst steht. Wenn aus bestimmten Anteilen der von den Kunden geleisteten Entgelte Umweltprojekte gefördert werden mögen - was unabhängig vom hier zu beurteilenden Sachverhalt grundsätzlich zu begrüßen ist -, so ändert dies nichts daran, dass die Kunden im Vertragsverhältnis zur Beklagten gröblich benachteiligt werden.

 

Im Fall einer Gesetzesänderung bei mehraktigen Schuldverhältnissen und Dauerrechtsverhältnissen, an die eine Dauerrechtsfolge geknüpft ist, sind nach der Rsp des OGH vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes endgültig und abschließend verwirklichte Sachverhalte nach der bisherigen Rechtslage zu beurteilen, der in den zeitlichen Geltungsbereich reichende Teil des Dauertatbestands fällt hingegen mangels abweichender Übergangsregelung unter das neue Gesetz.

 

Diese Grundsätze sind sinngemäß auch im hier vorliegenden Fall anzuwenden: Wurde aufgrund eines nach alter Rechtslage verwirklichten Gesetzesverstoßes ein Unterlassungstitel geschaffen, und hat während des Rechtsmittelverfahrens eine Rechtsänderung stattgefunden, ist die Berechtigung eines solchen Gebots auch am neuen Recht zu messen, weil dieses Gebot seinem Wesen nach ein in der Zukunft liegendes Verhalten erfassen soll und nur dann aufrecht bleiben kann, wenn das darin umschriebene Verhalten schon im Zeitpunkt des Verstoßes verboten war und nach neuer Rechtslage weiterhin verboten ist.

 

§ 100 TKG idF der am 21. 2. 2012 in Kraft getretenen Novelle BGBl I Nr 102/2011 normiert nunmehr, dass die Möglichkeit des Teilnehmers, eine unentgeltliche Rechnung in Papierform zu erhalten, vertraglich nicht ausgeschlossen werden darf. Der Unterlassungsanspruch des Klägers besteht daher sowohl nach alter, als auch nach neuer Rechtslage zu Recht.