16.04.2012 Zivilrecht

OGH: Unterhaltsverwirkung nach § 94 Abs 2 ABGB

Der OGH sieht in stRsp den Unterhaltsanspruch unter der wesentlichen Voraussetzung als verwirkt an, dass das dem unterhaltsberechtigten Ehepartner vorgeworfene Verhalten auf einen völligen Verlust oder eine ihm nahekommende Verflüchtigung des Ehewillens schließen lässt und darauf hinweist, dass der den Unterhalt begehrende Teil nicht nur einzelne aus dem ehelichen Verhältnis entspringende Verpflichtungen missachtet, sondern sich schlichtweg über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinwegzusetzen bereit ist, aber dennoch vom anderen Partner die Erfüllung der ehelichen Verpflichtungen begehrt


Schlagworte: Familienrecht, Unterhalt, Verwirkung, Rechtsmissbrauch, Betreuung des pflegebedürftigen Vaters, Belastung
Gesetze:

§ 94 Abs 2 ABGB

GZ 5 Ob 249/11w, 20.03.2012

 

OGH: Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass ursprünglich die Klägerin iSd § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB den Haushalt geführt hat. § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB bestimmt nun, dass der Unterhaltsanspruch des den gemeinsamen Haushalt führenden Ehegatten auch nach Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft bestehen bleibt, sofern nicht seine Geltendmachung, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre. Der OGH sieht in stRsp den Unterhaltsanspruch unter der wesentlichen Voraussetzung als verwirkt an, dass das dem unterhaltsberechtigten Ehepartner vorgeworfene Verhalten auf einen völligen Verlust oder eine ihm nahekommende Verflüchtigung des Ehewillens schließen lässt und darauf hinweist, dass der den Unterhalt begehrende Teil nicht nur einzelne aus dem ehelichen Verhältnis entspringende Verpflichtungen missachtet, sondern sich schlichtweg über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinwegzusetzen bereit ist, aber dennoch vom anderen Partner die Erfüllung der ehelichen Verpflichtungen begehrt. Entscheidend ist demnach, ob der den Unterhalt fordernde Teil selbst und aus eigenem Verschulden den Ehewillen (weitgehend) aufgegeben hat und insoweit ein Dauerzustand eingetreten ist. Nur besonders krasse Fälle, in welchen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erscheinen würde, rechtfertigen die Annahme einer Unterhaltsverwirkung. Die Frage, ob bei der Berücksichtigung dieser Grundsätze die Geltendmachung von Unterhalt bei aufrechter Ehe einen Missbrauch des Rechts nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB darstellt, ist jeweils nach den besonderen Umständen des konkret zu beurteilenden Falls zu beantworten.

 

Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat hier der Beklagte die erste Eheverfehlung gesetzt, indem er im März 2008 eine Zeitungsannonce aufgab, mit welcher er „eine erotische Frau“ suchte. Im Februar 2008 hatte dann der Beklagte seinen Vater in den (ehelichen) Haushalt aufgenommen, worüber die Klägerin „nicht sehr erbaut“ war, dies aber auch nicht gänzlich ablehnte. Wiewohl der Beklagte geplant hatte, dass sein Vater nicht ständig im Haus bleiben werde, war dies dann doch jedenfalls bis zur Wegweisung der Klägerin im August 2009 der Fall. Auch wenn die Betreuung des Vaters als beachtliches persönliches Engagement des Beklagten anzuerkennen sein mag, ist doch nicht zu verkennen, dass daraus auch eine lang dauernde Belastung des ehelichen Lebens resultierte und zwar in einer Zeit, in welcher auch die Klägerin gewissen Erschwernissen (Verkehrsunfall; schwierige Arbeitssituation) ausgesetzt war. Dass sich die Klägerin in dieser Situation bis Juli 2008 zu diversen, vom Erstgericht näher beschriebenen verbalen Entgleisungen hat hinreißen lassen, ist unentschuldbar, vermag aber unter den beschriebenen Umständen nicht die Unterhaltsverwirkung zu begründen. Immerhin hat die Klägerin auch ihren Ehewillen bekundet, indem sie dem Beklagten - erfolglos - vorschlug, einen Psychologen oder eine Familienberatung aufzusuchen. Die Auseinandersetzung am 14. 7. 2008 kann ebenfalls nicht allein der Klägerin angelastet werden, ist doch damals auch der Beklagte vergleichbar vehement gegen die Klägerin vorgegangen. Anschließend hat dann - vom Berufungsgericht nicht gewürdigt - der Beklagte nach einem Besuch der Klägerin bei deren Eltern im August 2008 die Ehescheidungsklage eingebracht und damit wohl selbst bekundet, nicht mehr an der Ehe festhalten zu wollen. In diesem Lichte sind auch die weiteren Auseinandersetzungen der Parteien zunächst die nicht ungewöhnlichen „Begleiterscheinungen“ einer weitgehend zerrütteten Ehe. Es steht auch nicht fest, dass die von der Klägerin gegen den Beklagten erstatteten Anzeigen inhaltlich unrichtig gewesen wären.

 

Eine andere Dimension erreichte das Verhalten der Klägerin dann allerdings um den 24. 8. 2009. Abgesehen von Beschädigungen von Einrichtungsgegenständen hat sich die Klägerin direkt gegenüber dem Vater des Beklagten - einem alten, schwerkranken Mann - extrem beleidigend und herabsetzend verhalten, damit offensichtlich auch die dramatische Verschlechterung von dessen Lebensverhältnissen in Kauf genommen und sinngemäß die Weiterführung dieses Verhaltens angekündigt. Ein derartiges Vorgehen ist auch im Rahmen einer bestehenden, von beiden Ehepartnern mitverursachten Ehekrise so unerträglich, dass dies ab dem genannten Zeitpunkt zur Unterhaltsverwirkung führen muss.