27.08.2012 Zivilrecht

OGH: Feststellung der Nichtabstammung vom Ehemann der Mutter – Befristung der Anfechtung nach § 158 Abs 2 ABGB

Die Kenntnis von Umständen, die für die Unehelichkeit eines Kindes sprechen, ist grundsätzlich nicht schon anzunehmen, wenn dem Ehemann nur einzelne Verdachtsumstände zur Kenntnis gekommen sind; die Umstände müssen von so großer Beweiskraft sein, dass der Ehemann die Unehelichkeit des Kindes als höchst wahrscheinlich ansehen und erwarten kann, seiner Beweispflicht im Bestreitungsprozess nachkommen zu können; zweifelhafte Verdachtsgründe, zB Gerüchte, reichen noch nicht aus


Schlagworte: Familienrecht, Feststellung der Nichtabstammung vom Ehemann der Mutter, Frist, Kenntnis, Verdacht
Gesetze:

§ 156 ABGB, § 158 ABGB

GZ 8 Ob 120/11x, 26.07.2012

 

OGH: Ob bei Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls eine die Anfechtungsfrist auslösende hohe Wahrscheinlichkeit der unehelichen Vaterschaft vorliegt, bildet - von im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifender Fehlbeurteilung abgesehen - keine erhebliche Rechtsfrage.

 

Die Kenntnis von Umständen, die für die Unehelichkeit eines Kindes sprechen, ist grundsätzlich nicht schon anzunehmen, wenn dem Ehemann nur einzelne Verdachtsumstände zur Kenntnis gekommen sind; die Umstände müssen von so großer Beweiskraft sein, dass der Ehemann die Unehelichkeit des Kindes als höchst wahrscheinlich ansehen und erwarten kann, seiner Beweispflicht im Bestreitungsprozess nachkommen zu können. Zweifelhafte Verdachtsgründe, zB Gerüchte, reichen noch nicht aus.

 

Ist der bestreitungsberechtigte Ehemann jedoch einmal in Kenntnis solcher Umstände, die einen vernünftigen, an der Klärung familienrechtlicher Verhältnisse Interessierten seine Vaterschaft unwahrscheinlich erscheinen lassen müssen, obliegt ihm auch die Sammlung der Beweismittel zur Widerlegung der Vaterschaftsvermutung. In diesem Fall beginnt die Anfechtungsfrist bereits mit der objektiven Möglichkeit einer eindeutigen Klärung der Abstammung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, insbesondere einer DNA-Analyse. Ein bewusstes Unterlassen von Schritten, die zur völligen Aufklärung geeignet wären, schiebt den Fristbeginn nicht mehr hinaus.

 

Die Ansicht, ein ernstlich an der Klärung der familienrechtlichen Verhältnisse interessierter Mann hätte an Stelle des Antragstellers spätestens ab Bekanntwerden des vorbehaltslosen, nicht nur von Verdacht sprechenden Eingeständnisses der Mutter gegenüber der Erstantragsgegnerin im Jahr 2000 eine endgültige Klärung in die Wege geleitet, kann jedenfalls nicht als völlig unvertretbar beurteilt werden.

 

Die materiellrechtliche Ausschlussfrist des § 158 Abs 2 ABGB verfolgt das Ziel, die Anfechtungsberechtigten im Interesse des Rechtsfriedens, der Rechtssicherheit in den Familienbeziehungen und im Interesse des Kindes an der Bestandkraft seines familienrechtlichen Status zu zwingen, innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden, ob sie von ihrem Anfechtungsrecht Gebrauch machen wollen.

 

Ein späterer Wegfall jener familiären Nahebeziehungen, die den Giltvater zunächst vom Gebrauch seines Rechts abgehalten haben, zB infolge Scheidung der Eltern oder Verschlechterung des persönlichen Verhältnisses zum Kind, kann im Lichte der wesentlichen Zielsetzung, Rechtssicherheit zu schaffen, keine Rolle spielen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb das Interesse an der Bestandkraft des familienrechtlichen Status mit dem Erreichen der Volljährigkeit des Kindes wegfallen sollte. Auch eine (in der Zielrichtung ähnliche) Adoption könnte nicht Jahre später vom Annehmenden mit der Begründung rückgängig gemacht werden, das Kind sei biologisch fremd und wolle keinen persönlichen Kontakt mehr.

 

Der im Revisionsrekurs zitierten Entscheidung 1 Ob 236/05w (erster Rechtsgang) lag der gerade konträre Fall eines außerehelichen biologischen Vaters zu Grunde, der eine Bestreitung der ehelichen Abstammung gegen den Willen der rechtlichen Eltern durchsetzen wollte. Der OGH erachtete im zweiten Rechtsgang dieses Verfahrens die dem Begehren entgegenstehende, dem vorrangigen Schutz des Familienlebens verpflichtete Rechtslage für verfassungsrechtlich unbedenklich (1 Ob 98/07d).

 

Eine zeitliche Beschränkung der Möglichkeit, die eheliche Vaterschaft anzufechten, steht unter Würdigung der damit verfolgten familienrechtlichen Zielsetzung nach der Rsp des EGMR nicht mit Art 8 und Art 14 iVm Art 6 EMRK in Widerspruch (EGMR 28. 11. 1984 Rasmussen/Dänemark, EGMRE 2, 46 = NJW 86, 2176). Gegen die in dieser Entscheidung zu beurteilende, nach dänischem Recht geltende Frist von drei Jahren fand der Gerichtshof keine Bedenken.

 

Auch der in § 158 Abs 1 ABGB normierte kürzere Zeitraum von zwei Jahren ab der positiven Kenntnis der Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft kann aber nicht als völlig unangemessene Überlegungsfrist angesehen werden. Der Vermeidung von Härtefällen wird durch den gesetzlichen Interpretationsspielraum und durch die Regelung des § 158 Abs 2 ABGB Rechnung getragen.