01.10.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob - gegebenenfalls mit welchem Verkehrsunternehmen und mit welcher Reichweite - durch den Erwerb einer Monatsfahrkarte im Vorverkauf im Falle mehrerer zu einer Tarifgemeinschaft zusammengeschlossenen Verkehrsunternehmen ein Beförderungsvertrag entsteht

Der Beförderungsvertrag kommt bereits mit dem Erwerb von Zeitkarten (Monatskarte, Jahreskarte) zustande; die Frage, mit wem der Beförderungsvertrag zustande kam, ist nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen zu lösen


Schlagworte: Beförderungsvertrag, Werkvertrag, Schadenersatzrecht, Haftung, Zeitkarte, zu einer Tarifgemeinschaft zusammengeschlossene Verkehrsunternehmen
Gesetze:

§§ 1165 ff ABGB, §§ 1295 ff ABGB

GZ 2 Ob 206/11z, 30.08.2012

 

OGH: Beförderungsvertrag - Nebenpflichten:

 

Beförderungsverträge sind ihrer Rechtsnatur nach Werkverträge iSd §§ 1165 ff ABGB. Nach stRsp entsteht mit dem Abschluss von Beförderungsverträgen die vertragliche Nebenpflicht der Verkehrsunternehmen, die Sicherheit ihrer Fahrgäste zu gewährleisten und deren körperliches Wohlbefinden nicht zu verletzen. Zu dieser Pflicht gehört es, die Zu- bzw Abgänge zu bzw von den Verkehrsmitteln in einem Zustand zu erhalten, der das gefahrlose Ein- und Aussteigen der Fahrgäste gewährleistet. Dies gilt insbesondere für jene Teile einer Straße, von denen aus die Fahrgäste die Verkehrsmittel betreten bzw auf die sie beim Aussteigen gelangen. Aus der die Verkehrsunternehmen treffenden Verkehrssicherungspflicht resultiert somit auch die Aufgabe, bei Auftreten von Glatteis im Bereich von Haltestellen entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung der daraus für die Fahrgäste erwachsenden Gefahren zu treffen. Diese Verpflichtung tritt nicht an die Stelle, sondern neben die Verpflichtung des Anliegers bzw des Wegehalters, den im Bereich der Haltestelle befindlichen Gehsteig bzw Weg bei winterlicher Glätte zu streuen. Dabei gilt der bei allgemeiner Verkehrssicherheit geltende Grundsatz, dass der Verkehrssicherungspflichtige nicht dadurch von seiner Pflicht befreit wird, dass ein anderer die Gefahr verursacht. Sind mehrere Verpflichtete nebeneinander verhalten, darf sich keiner auf die Einhaltung der Verpflichtung durch den anderen verlassen, weil dann oftmals keiner rechtzeitig tätig wird.

 

Zustandekommen eines Beförderungsvertrags:

 

Bei öffentlichen Verkehrsmitteln wird allgemein davon ausgegangen, dass der Beförderungsvertrag „schon“ mit dem Einsteigen in das Verkehrsmittel zustande kommt. All diesen Fällen liegt jedoch das Tatbestandselement zugrunde, dass der Fahrgast beim Einsteigen noch nicht im Besitz eines gültigen Fahrausweises ist.

 

Anders ist die Rechtslage, wenn sich der Fahrgast beim Einsteigen in das Verkehrsmittel bereits im Besitz eines gültigen Fahrausweises befindet, weil er ihn im Vorverkauf erworben hat. In diesen Fällen kommt der Beförderungsvertrag grundsätzlich bereits mit dem Erwerb des Fahrausweises zustande (vgl Stefula).

 

Nach Ansicht des erwähnten Autors gäben die Fahrgäste mit dem Einsteigen in das Verkehrsmittel keine Willenserklärung mehr ab, die auf den Abschluss eines Beförderungsvertrags gerichtet wäre. Vielmehr erfolge das Einsteigen schon im Rahmen des Erfüllungsstadiums eines zuvor geschlossenen Vertrags. Die Fahrgäste nähmen daher durch das Einsteigen bloß ihr aus dem zuvor geschlossenen Vertrag erfließendes Recht auf Beförderung tatsächlich in Anspruch; sie riefen ihren Anspruch quasi ab. Laute die bereits vor Fahrtantritt gelöste Fahrkarte nicht auf eine bestimmte Strecke oder Zeit, stelle das Einsteigen jedoch zusätzlich einen besonderen Akt der Konkretisierung des Schuldverhältnisses iSe Gläubigerwahlrechts nach § 906 ABGB dar.

 

Der erkennende Senat schließt sich den überzeugenden Argumenten Stefulas an, die jedenfalls für den Erwerb von Zeitkarten (Monatskarte, Jahreskarte) zu gelten haben. Bereits in der über eine Verbandsklage ergangenen Entscheidung 2 Ob 190/01g wurde die dort vertretene Rechtsansicht der hier erstbeklagten Partei abgelehnt, beim Erwerb einer Jahreskarte handle es sich um keinen Beförderungs- sondern lediglich um einen Rahmenvertrag.

 

Der Begründung eines Beförderungsvertrags durch den Erwerb einer Zeitkarte steht auch deren allfällige Übertragbarkeit nicht entgegen. Bringt doch der Aussteller einer nicht auf den Namen eines bestimmten Gläubigers lautenden Zeitkarte mit deren Begebung regelmäßig seinen Willen zum Ausdruck, die Leistung an jeden berechtigten Inhaber der Urkunde erbringen zu wollen. Auch im Hinblick auf die Person des Berechtigten wird das bereits bestehende Schuldverhältnis erst durch die Inanspruchnahme eines bestimmten Verkehrsmittels konkretisiert.

 

Aus den dargelegten Erwägungen ist somit der Rechtsansicht der Vorinstanzen zu widersprechen, wonach mit dem Erwerb einer Monatskarte noch kein Beförderungsvertrag begründet worden sei.

 

Vertragspartner:

 

Die beklagten Parteien beriefen sich darauf, dass die erstbeklagte Partei lediglich eines von mehreren im Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) zu einem Tarifverbund zusammengeschlossenen Verkehrsunternehmen sei, von denen jedes eigene Beförderungsleistungen erbringe. Zu dem Verkehrsverbund gehöre auch die Nebenintervenientin. Diese Behauptungen sind unstrittig. Ebenso ist unstrittig, dass die Klägerin mit der von ihr erworbenen Monatskarte alle öffentlichen Verkehrsmittel in der sogenannten Kernzone (100) benützen durfte. Das Erstgericht hat überdies festgestellt, dass die Linie 94A von der Nebenintervenientin betrieben werde und dass dies anhand der Gestaltung der Haltestelle und eines Aushangs an der Haltestelle erkennbar sei.

 

Dies beruht auf folgender Gesetzeslage:

Das Bundesgesetz über die Ordnung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs (ÖPNRV-G) 1999 regelt ua Struktur und Aufgaben von Verkehrsverbünden. Gem § 4 leg cit handelt es sich dabei um Kooperationsformen von Verkehrsunternehmen zur Optimierung des Gesamtangebots des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs im Interesse der Sicherstellung der Benutzung unterschiedlicher öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund eines Gemeinschaftstarifs. Nähere Regelungen enthalten die §§ 14 bis 19 leg cit. Zu den in § 15 leg cit umschriebenen Zielsetzungen der Verkehrsverbünde zählen eine bundesweit einheitliche Tarifierungssystematik (Z 2) sowie die Kompatibilität im Bereich der Abfertigungssysteme und Fahrkartengattungen (Z 3). Auch soll die Möglichkeit der Benützung der Verkehrsmittel mit Verkehrsverbundfahrausweisen möglich sein (Z 4 iVm § 31 Z 7).

 

Grundlage für die gewerblichen Aspekte des Personennahverkehrs mit Kraftfahrlinien ist das Kraftfahrliniengesetz (KflG) das in seinen §§ 22 bis 38 auch Bestimmungen über den Betrieb von Kraftfahrlinien enthält. § 34 Abs 2 KflG regelt die Haltestellenzeichen. Abs 2 dieser Bestimmung legt fest, dass neben der Haltestellenbezeichnung außer der Bezeichnung des Berechtigungsinhabers auch eine Haltestellennummer und zusätzliche Hinweise auf Verbünde, deren Zonen sowie auf die Bedienung durch Rufbusse oder Anrufsammeltaxis angebracht werden können. Haltestellen und die diese anzeigenden Haltestellenzeichen dienen in erster Linie der fahrplanmäßigen Abwicklung des Kraftfahrlinienverkehrs.

 

Die Frage, mit wem der Beförderungsvertrag zustande kam, ist nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen zu lösen. Die Klägerin hat die Monatskarte bei einer Vorverkaufsstelle der erstbeklagten Partei, also einem Mitglied des Verkehrsverbunds Ost-Region, gekauft. Nach den Umständen war für die Klägerin daher ohne Weiteres erkennbar, dass die mit ihr das Rechtsgeschäft abwickelnde Person - jedenfalls auch - im Namen der erstbeklagten Partei tätig wurde. Ob sie auch von einem Tätigwerden für andere Verkehrsunternehmen ausgehen musste, kann hier dahingestellt bleiben. Es muss insbesondere nicht erörtert werden, ob auch mit der Nebenintervenientin ein Vertragsverhältnis begründet wurde. Ebenso erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit den Grundsätzen der Entscheidung 4 Ob 251/06z („Kartenverbund“ zweier Liftgesellschaften).

 

Ergebnis:

Die Vorinstanzen haben die passive Klagslegitimation der beklagten Parteien zu Unrecht verneint. Ihre auf die Erörterung dieser Rechtsfrage beschränkten Entscheidungen sind daher aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren werden die Ansprüche der Klägerin dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen sein.