15.10.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Rückforderung gem § 31 KBGG – zur Unvorhersehbarkeit iSd § 1 lit a der KBGG-Härtefälle-VO

„Unvorhersehbar“ ist eine Überschreitung der Zuverdienstgrenze dann, wenn diese Überschreitung von einem Menschen mit gewöhnlichen geistigen Fähigkeiten auch unter Bedachtnahme auf die ihm zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte; eine genaue Kenntnis der Bestimmungen der §§ 25 f EStG kann bei einem Menschen mit gewöhnlichen Fähigkeiten nicht vorausgesetzt werden


Schlagworte: Kinderbetreuungsgeld, Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte, Rückforderung, Härtefall, Unvorhersehbarkeit, nichtselbständige Arbeit
Gesetze:

§ 8 KBGG, § 31 KBGG, § 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung, §§ 25 f EStG

GZ 10 ObS 8/12t, 12.04.2012

 

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, das Kriterium der (subjektiven) „Unvorhersehbarkeit“ sei nach der Rsp gegeben, wenn die Überschreitung der Zuverdienstgrenze trotz Anlegung eines zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nicht erkannt werden konnte. Die Überschreitung der Zuverdienstgrenze sei für sie nicht vorhersehbar gewesen, weil von ihr nicht verlangt werden könne, die Lohnsteuerbemessungsgrundlagen außerhalb der am Gehaltszettel befindlichen Informationen zu errechnen. Zur geringfügigen Überschreitung der Zuverdienstgrenze sei es letztlich nur deshalb gekommen, weil in die Lohnsteuerbemessungsgrundlage vom Arbeitgeber der Klägerin freiwillig geleistete Fahrtkostenzuschüsse und Teile der Reisekosten eingeflossen seien. Den der Klägerin vom Arbeitgeber übergebenen Gehaltsabrechnungen sei dies nicht zu entnehmen gewesen. Der Klägerin sei außerdem nicht bekannt gewesen, dass es sich beim Fahrtkostenzuschuss und bei Teilen der Reisekosten um freiwillige Leistungen des Arbeitgebers gehandelt habe, welche ihrerseits lohnsteuerpflichtig seien.

 

OGH: Gem § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG ist der Empfänger einer Leistung nach dem KBGG auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden aufgrund des von der Abgabenbehörde an die NÖ GKK übermittelten Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat.

 

Nach § 1 lit a der KBGG-Härtefälle-VO ist in Fällen einer geringfügigen, unvorhersehbaren Überschreitung der Zuverdienstgrenze auf die Rückforderung zu verzichten. Eine geringfügige, unvorhersehbare Überschreitung liegt nur dann vor, wenn die Grenzbeträge gem den §§ 2 Abs 1 Z 3 und 9 Abs 3 KBGG um nicht mehr als 15 % überstiegen werden.

 

Die maßgebende Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR wurde durch die gem § 8 KBGG für das Jahr 2007 ermittelten Einkünfte der Klägerin um 115,90 EUR (= 0,8 %) überschritten, sodass eine bloß geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze iSd Härtefalltatbestands des § 1 lit a KBGG-Härtefälle-VO vorliegt. Es ist daher im vorliegenden Fall nur noch zu prüfen, ob diese bloß geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze „unvorhersehbar“ war.

 

Es wurde in der Rsp bereits dargelegt, dass die beiden für das Bestehen eines Härtefalls erforderlichen Voraussetzungen auf das Vorliegen unterschiedlicher Kriterien abstellen, nämlich einerseits auf die objektive Höhe der Überschreitung der Grenzbeträge und andererseits auf die subjektive Vorhersehbarkeit bzw Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Grenzbeträge für den Leistungsempfänger. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Verordnungsgeber nicht den Begriff „unvorhergesehen“, der die konkreten subjektiven Verhältnisse des Leistungsempfängers ansprechen würde, sondern den Begriff „unvorhersehbar“, der auf objektive Gesichtspunkte abstellt, verwendet hat. Das Kriterium der „Unvorhersehbarkeit“ ist daher dann gegeben, wenn die Überschreitung der Zuverdienstgrenze trotz Anlegung eines (objektiv) zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nicht erkannt werden konnte. Als „unvorhersehbar“ wurden daher in der Rsp beispielsweise nicht zu erwartende Einkünfte, wie etwa die Entlohnung für Supplierstunden, die von einer Lehrerin überraschend gehalten werden mussten, oder Überstunden, die wegen der Kündigung einer Arbeitskollegin überraschend geleistet werden mussten und nicht wie üblich durch Zeitausgleich abgegolten wurden, beurteilt. Hingegen wurde die Argumentation, die Überschreitung der Zuverdienstgrenze sei subjektiv unverschuldet erfolgt, weil die Leistungsempfängerin auf eine unrichtige oder missverstandene Rechtsauskunft der beklagten GKK oder eines Steuerberaters vertraut habe, unter Hinweis auf die verschuldensunabhängige Rückzahlungsverpflichtung nach § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG nicht anerkannt.

 

„Unvorhersehbar“ ist eine Überschreitung der Zuverdienstgrenze daher dann, wenn diese Überschreitung von einem Menschen mit gewöhnlichen geistigen Fähigkeiten auch unter Bedachtnahme auf die ihm zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass den Leistungsbezieher eine Überprüfungspflicht hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Einkünfte trifft und der Gesetzgeber die Möglichkeit eines Verzichts auf den Bezug von Kinderbetreuungsgeld für bestimmte Zeiträume (§ 5 Abs 6 KBGG) geschaffen hat.

 

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die zu erwartenden Einkünfte aus ihrer unselbständigen Erwerbstätigkeit geprüft und grundsätzlich auch richtig kalkuliert. Der Umstand, dass die der Klägerin gewährten monatlichen Fahrtkostenzuschüsse lohnsteuerpflichtig sind und daher zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören, war aus den Gehaltsabrechnungen objektiv nicht erkennbar. Es wäre dafür eine genaue Kenntnis der Bestimmungen der §§ 25 f EStG erforderlich gewesen, die aber bei einem Menschen mit gewöhnlichen Fähigkeiten nicht vorausgesetzt werden kann. Auch der Hinweis des Berufungsgerichts, die Klägerin hätte den Gesamtbetrag der maßgeblichen Einkünfte aus den auch auf den Gehaltszetteln angegebenen Lohnsteuerbemessungsgrundlagen errechnen können, vermag ohne eine entsprechende Belehrung, welche von der beklagten Partei gar nicht behauptet wurde, keine Verletzung des objektiven durchschnittlichen Sorgfaltsmaßstabs durch die Klägerin zu rechtfertigen.

 

Da bereits eine Nichtberücksichtigung der von der Klägerin im Zeitraum ihres Kinderbetreuungsgeldbezugs erhaltenen Fahrtkostenzuschüsse zu dem Ergebnis führt, dass eine Überschreitung der Zuverdienstgrenze in diesem Fall nicht vorliegt, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Klägerin bezüglich der von ihr in diesem Zeitraum auch bezogenen Reisekosten. Die Überschreitung der Zuverdienstgrenze durch die Klägerin war daher nach zutreffender Rechtsansicht des Erstgerichts nicht vorhersehbar, sodass vom Vorliegen eines Härtefalls iSd § 1 lit a der KBGG-Härtefälle-VO auszugehen ist.