22.10.2012 Wirtschaftsrecht

OGH: Aggressive Geschäftspraktiken – Werbung gegenüber Kindern iSd Z 28 des Anhangs zum UWG

Minderjährige unter vierzehn Jahren fallen jedenfalls unter Nr 28 Anh RL-UGP und damit auch unter die richtlinienkonform auszulegenden Bestimmungen der jeweiligen Umsetzungsgesetze; strittig ist nur, ob auch ältere Minderjährige erfasst sein könnten; die Verwendung des Imperativs („Hol' dir das Buch dazu“) weist jedenfalls eine für die Anwendung von Nr 28 Anh RL-UGP (Z 28 Anh UWG) ausreichende Nachdrücklichkeit auf


Schlagworte: Wettbewerbsrecht, aggressive Geschäftspraktiken, Werbung gegenüber Kindern, direkte Aufforderung
Gesetze:

§ 1 UWG, § 1a UWG, Z 28 des Anhangs zum UWG

GZ 4 Ob 110/12y, 18.09.2012

 

OGH: Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Begriff „Kinder“ sei iSd früheren Definition des § 21 ABGB (idF vor dem KindRÄG 2001, BGBl I 135/2000) zu verstehen. Z 28 Anh UWG erfasse daher nur Minderjährige unter sieben Jahren, die, des Lesens unkundig, von der hier beanstandeten Werbung nicht angesprochen worden seien.

 

Z 28 Anh UWG beruht allerdings auf der gleichlautenden Nr 28 RL-UGP und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Begriffe des Unionsrechts sind wiederum - außer bei Vorliegen eines ausdrücklichen Verweises auf nationales Recht - autonom auszulegen. Das gilt nach praktisch einhelliger Lehre auch für den Begriff „Kinder“ in Nr 28 Anh UWG. Ausreichende Gründe für einen Rückgriff auf - noch dazu nicht mehr geltendes - nationales Recht zeigt die Beklagte nicht auf.

 

Als Ergebnis dieser autonomen Auslegung ist - dem Schutzzweck der Bestimmung entsprechend - ebenfalls völlig unbestritten, dass jedenfalls Minderjährige unter vierzehn Jahren unter Nr 28 Anh RL-UGP und damit auch unter die richtlinienkonform auszulegenden Bestimmungen der jeweiligen Umsetzungsgesetze fallen. Strittig ist nur, ob auch ältere Minderjährige erfasst sein könnten. An der Richtigkeit der Auslegung durch die Vorinstanzen bestehen daher keine vernünftigen Zweifel.

 

Zur „Aufforderung“ an Kinder:

 

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass eine „direkte Aufforderung“ iSv Z 28 Anh UWG (Nr 28 Anh RL-UGP) nur vorliege, wenn sie mit besonderer Nachdrücklichkeit erfolge. Sie leitet das aus der englischen und französischen Fassung der Richtlinienbestimmung ab. Die deutsche Fassung von Nr 28 Anh RL-UGP verwende den in Art 2 Abs 1 lit i RL-UGP definierten Begriff der „Aufforderung“, während die englische und französische Fassung von Nr 28 Anh RL-UGP mit „exhortation“ bzw „inciter“ mehr verlangten als eine bloße „invitation“ iSv Art 2 Abs 1 lit i RL-UGP.

 

Zwar ist es wegen der Unterschiede in den Sprachfassungen wohl nicht möglich, die Legaldefinition des Art 2 Abs 1 lit i RL-UGP (§ 1 Abs 4 Z 5 UWG) auch für die Auslegung von Nr 28 RL-UGP (Z 28 Anh RL-UGP) heranzuziehen. Darauf kommt es hier aber nicht an, weil die Verwendung des Imperativs („Hol' dir das Buch dazu“) jedenfalls eine für die Anwendung von Nr 28 Anh RL-UGP (Z 28 Anh UWG) ausreichende Nachdrücklichkeit aufweist. Das ist nicht nur im deutschsprachigen Schrifttum völlig unbestritten, sondern wird auch von der Europäischen Kommission in einem Leitfaden zur RL-UGP vertreten. Als Beispiel für eine „direkte Aufforderung“ werden dort (S 25) folgende Formulierungen genannt: „Komm kauf das Buch“; “Go buy the book!”; „Achète ce livre!“ Auch der Senat hat sich - wenngleich obiter - dieser Auffassung angeschlossen (4 Ob 57/08y). Ein Vorabentscheidungsersuchen hielt er nur für Aussagen erforderlich, die nicht unter den so verstandenen Begriffskern der „direkten Aufforderung“ fallen.

 

Auf dieser Grundlage bestehen keine vernünftigen Zweifel, dass die hier beanstandete Formulierung „Hol' dir hier das Buch dazu. Stickersammelbuch zum Sensationspreis € 1,99“ unter Nr 28 Anh RL-UGP (Z 28 Anh UWG) fällt.