22.10.2012 Verfahrensrecht

OGH: Nebenintervention – zur Frage, ob die Bindungswirkung auch gegenüber demjenigen besteht, der zwar seinen Beitritt erklärte, in der Folge aber die Zurückweisung seines Beitritts unbekämpft lässt

Der Auffassung, dass eine Streitverkündung auch dann Bindungswirkung entfaltet, wenn der Beitritt des Nebenintervenienten zu Unrecht zurückgewiesen wird, ist der Vorzug zu geben; diesen trifft daher die Obliegenheit, eine zu Unrecht erfolgte Zurückweisung seines Beitritts mit den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln zu bekämpfen; erst die rechtskräftige Zurückweisung der Nebenintervention nach ordnungsgemäßer Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ließe die Bindungswirkung entfallen


Schlagworte: Nebenintervention, Bindungswirkung, Zurückweisung des Beitritts, Bekämpfung, rechtliches Interesse
Gesetze:

§§ 17 ff ZPO

GZ 6 Ob 140/12z, 13.09.2012

 

OGH: Seit der Aufhebung des § 18 Abs 4 ZPO durch die ZVN 2009 ist die Entscheidung über die Zulassung des Nebenintervenienten abgesondert anfechtbar. Die frühere gegenteilige Judikatur ist damit überholt.

 

Ob ein Nebenintervenient das erforderliche rechtliche Interesse an einem Beitritt hat, kann grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO.

 

Entgegen dem - den OGH nicht bindenden - Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs im vorliegenden Fall jedoch zulässig, weil die bisherige Judikatur zur Bindungswirkung der Streitverkündung im Fall einer Zurückweisung des Beitritts als Nebenintervenient sowie zu den Anforderungen an die Darlegung des rechtlichen Interesses als Voraussetzung für den Beitritt als Nebenintervenient zu präzisieren ist.

 

Die Grundsätze des Umfangs der Bindungswirkung einer Entscheidung gegenüber dem Nebenintervenienten sind durch die Rsp des OGH geklärt. Demnach erstrecken sich die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils so weit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses im Widerspruch stehen. In diesem Rahmen sind sie daher an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren so weit unbeschränktes rechtliches Gehör zustand. Dies gilt jedoch nicht auch für denjenigen, der sich am Vorprozess nicht beteiligte, dem aber auch gar nicht der Streit verkündet war. An dieser Auffassung des verstärkten Senats hat der OGH in der Folge festgehalten (6 Ob 324/97h). Nach dieser Entscheidung umfasst die Interventionswirkung der Streitverkündung nicht nur Regressansprüche, sondern auch materiell-rechtliche Alternativverhältnisse.

 

Eine Bindungswirkung ist allerdings nur eine mögliche Folge einer Nebenintervention bzw der Streitverkündung, nicht aber Voraussetzung für die Zulässigkeit der Nebenintervention.

 

Ein rechtliches Interesse hat der Nebenintervenient dann, wenn die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt. Das rechtliche Interesse muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse hinausgeht.

 

Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt. Im Allgemeinen wird ein rechtliches Interesse dann gegeben sein, wenn durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird.

 

Dies ist nach der Rsp etwa dann der Fall, wenn dem Dritten in einem Folgeprozess Regressansprüche als Folge des Prozessverlusts der Partei im Hauptprozess drohen. Das bloße Interesse an einer bestimmten Beweislage und an der Lösung von Rechtsfragen in einem Musterprozess berührt demgegenüber nur wirtschaftliche Interessen und rechtfertigt daher nicht eine Nebenintervention.

 

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so kann der Auffassung des Rekursgerichts nicht beigetreten werden. Die denkbaren rechtlichen Schritte in einem drohenden Regressprozess sind vom Nebenintervenienten nicht im Einzelnen konkret darzustellen. Vielmehr reicht es aus, wenn der Nebenintervenient einen zu befürchtenden Rückgriff plausibel darstellen kann. Eine detaillierte Vorwegprüfung möglicher Regressansprüche im Streit um die Zulässigkeit des Beitritts als Nebenintervenient hat demgegenüber nicht zu erfolgen. Die beklagte Partei hat im vorliegenden Fall ausdrücklich angekündigt, sich bei der Nebenintervenientin im Fall ihres Unterliegens regressieren zu wollen. Ausdrücklich hat sie auch angekündigt, den mit der Nebenintervenientin abgeschlossenen Vergleich wegen List und Irrtums anzufechten.

 

Damit kann der Nebenintervenientin aber ein rechtliches Interesse am Beitritt nicht abgesprochen werden. Schon die Gefahr der künftigen Inanspruchnahme im Wege eines Regressprozesses oder einer Anfechtung des Vergleichs bildet ein ausreichendes rechtliches Interesse für den Beitritt als Nebenintervenient. Im Hinblick auf die ausdrückliche Ankündigung der beklagten Partei muss die Nebenintervenientin jedenfalls mit der ernsthaften Möglichkeit ihrer künftigen Inanspruchnahme rechnen. Hingegen kann von einem Beitretenden nicht erwartet werden, dass er in seinem Beitrittsschriftsatz auch die rechtlichen Grundlagen für die Geltendmachung von Regressansprüchen gegen ihn substantiiert darlegt. Es genügt die ernsthafte Möglichkeit, dass solche Ansprüche erhoben werden. Daran kann aber im Hinblick auf die mehrfachen diesbezüglichen Ankündigungen der beklagten Partei kein Zweifel bestehen.

 

Nach der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 2123/96d entfaltet der Vorprozess auch gegenüber derjenigen Partei Bindungswirkung, der der Streit verkündet wurde, die sich aber am Verfahren nicht beteiligte. Dabei hatte der verstärkte Senat nicht die Frage zu beantworten, ob diese Bindungswirkung auch gegenüber demjenigen besteht, der zwar seinen Beitritt erklärte, in der Folge aber die Zurückweisung seines Beitritts unbekämpft lässt. Auch im Schrifttum ist diese Frage zwar angesprochen, aber nicht abschließend beantwortet worden.

 

Könnte der Adressat einer Streitverkündung eine Bindungswirkung bereits durch einen in der Folge zurückgewiesenen Beitritt vermeiden, so wäre das Institut der Streitverkündung als Schutz der Interessen der streitverkündenden Partei deutlich entwertet. Auch der Gedanke der Prozessökonomie spricht gegen diese Lösung: Ohne Bindungswirkung wäre der bisherige Prozessaufwand verloren und könnte für den Folgeprozess nicht fruchtbar gemacht werden. Auch bestünde die Gefahr, dass der Adressat der Streitverkündung auf den Beitrittsschriftsatz und die Darlegung seines Beitrittsinteresses nur geringe Sorgfalt aufwendet, wenn ohnedies jede Zurückweisung des Beitritts zum Entfall der Bindungswirkung führte. Dies würde zu einer Reihe von Abgrenzungsproblemen führen, ob der Adressat der Streitverkündung mit der konkreten Formulierung einer Beitrittserklärung seinen diesbezüglichen Obliegenheiten Genüge getan hat oder nicht.