19.11.2012 Zivilrecht

OGH: Beachtliche Patientenverfügung – zur Frage, welcher Aufgabenkreis dem Sachwalter allenfalls mit Genehmigung des Gerichts zukommt (hier: iZm tödlichen Behandlungsabbrüchen)

Für eine gerichtliche Genehmigung des Abbruchs einer lebenserhaltenden medizinischen Behandlung besteht nach geltendem Recht keine Grundlage; insbesondere scheidet eine analoge Anwendung des § 283 Abs 2 ABGB hierfür aus; weder dem Sachwalter noch dem behandelnden Arzt kommt die alleinige Entscheidungsbefugnis zu; vielmehr haben sie unter Beachtung der beachtlichen Patientenverfügung über die weitere Vorgehensweise konsensual zu befinden; ist nur einer von ihnen für die Lebenserhaltung, hat diese Vorrang


Schlagworte: Sachwalterschaft, beachtliche Patientenverfügung, Ablehnung medizinischer Behandlung, Abbruch einer lebenserhaltenden medizinischen Behandlung, gerichtliche Genehmigung, Sachwalter / behandelnder Arzt, keine alleinige Entscheidungsbefugnis
Gesetze:

§§ 268 ff ABGB, § 271 ABGB, § 283 ABGB, § 8 PatVG, § 9 PatVG

GZ 9 Ob 68/11g, 08.10.2012

 

OGH: Bei Vorliegen einer beachtlichen Patientenverfügung gelangt § 268 Abs 2 Satz 2 ABGB, der die Bestellung eines Sachwalters ausschließt, nicht zur Anwendung.

 

Voranzustellen ist, dass es die Obsorgeverpflichtung des Sachwalters (§ 275 Abs 1 ABGB) jedenfalls gebietet, den medizinischen Status des Patienten mit einem Arzt abzuklären.

 

Der medizinische Behandlungsvertrag weist dem Arzt die Verantwortung zu, die Erforderlichkeit und die Konsequenzen einer medizinischen Behandlung zu beurteilen und lässt in Fällen der Lebensgefahr auch eine eigenmächtige Behandlung durch den Arzt zu, wenn die Zustimmung zu dieser Behandlung durch den Patienten oder seinen gesetzlichen Vertreter nicht rechtzeitig eingeholt werden kann.

 

Gem § 8 Abs 3 KAKuG ist für die Behandlung an einem Pflegling die Einwilligung oder Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Einwilligung des Pfleglings oder der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters oder mit der Bestellung eines gesetzlichen Vertreters verbundene Aufschub das Leben gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre. Über die Notwendigkeit oder Dringlichkeit einer Behandlung entscheidet in diesem Fall der ärztliche Leiter der Krankenanstalt oder der für die Leitung der betreffenden Anstaltsabteilung verantwortliche Arzt. § 49 Abs 1 erster Satz ÄrzteG ordnet an, dass der Arzt verpflichtet ist, jeden übernommenen Patienten gewissenhaft zu betreuen. § 110 Abs 2 StGB bestimmt, dass die Heilbehandlung ohne Einholung der Einwilligung des Behandelten dann nicht unter Strafe gestellt wird, wenn der Täter diese in der Annahme nicht eingeholt hat, dass durch den Aufschub der Behandlung das Leben oder die Gesundheit des Behandelten ernstlich gefährdet wäre. Nach § 12 PatVG lässt dieses Bundesgesetz die medizinische Notfallversorgung unberührt, sofern der mit der Suche nach einer Patientenverfügung verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet.

 

Es ist zu prüfen, ob die Entscheidung auf Abbruch der lebenserhaltenden medizinischen Maßnahmen durch eine von einer staatlichen Behörde bestimmte -  allenfalls wie hier die Kollisionskuratorin zur Patientin völlig fremde - Person unter Berücksichtigung des vermuteten Willens der Patientin mit den Kautelen eines gerichtlichen Verfahrens erfolgen kann.

 

Beim Abbruch einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme handelt es sich um den stärkstmöglichen Eingriff in das Grundrecht auf Leben überhaupt. Aus Gründen des Rechtsschutzes ist gerade bei eingriffsnahen Gesetzen dem aus Art 18 B-VG abzuleitenden Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit gesetzlicher Tatbestände besondere Beachtung zu schenken. In diesem Sinn ist es Rsp des VfGH, dass bei eingriffsnahen Gesetzen die Eingriffstatbestände - anders als bei weniger eingriffsnahen Gesetzen - besonders deutlich umschrieben sein müssen. Diese Anforderung hat auch das Verständnis jener Regelungen zu bestimmen, aus denen die staatliche Mitwirkung an einer auf die Lebensbeendigung eines Menschen gerichteten Maßnahme abgeleitet werden soll.

 

Als solche Regelungen kommen va § 275 Abs 2 ABGB und § 283 Abs 2 ABGB in Betracht.

 

Gem § 275 Abs 2 ABGB hat der Sachwalter in wichtigen, die Person des Pflegebefohlenen betreffenden Angelegenheiten die Genehmigung des Gerichts einzuholen. Ohne Genehmigung getroffene Maßnahmen oder Vertretungshandlungen sind unzulässig und unwirksam, sofern nicht Gefahr im Verzug vorliegt.

 

Eine Angelegenheit gilt als „wichtig“, wenn sie das materielle oder ideelle Wohl des Pflegebefohlenen in überdurchschnittlichem Ausmaß betrifft, wenn also ihre unterlassene oder fehlerhafte Besorgung das Wohl des Pflegebefohlenen auf Dauer ernstlich gefährden könnte. Dass dies auf die Einstellung einer künstlichen Ernährung zutrifft, ist unzweifelhaft.

 

Der Gesetzgeber hat allerdings für die in der Personensorge besonders sensiblen Fragen der Einwilligung zu einer medizinischen Behandlung, der Sterilisation und Forschung sowie der Wohnortbestimmung in den §§ 283, 284 und 284a ABGB Sondernormen vorgesehen, die als die spezielleren Bestimmungen einen Rückgriff auf § 275 ABGB ausschließen.

 

Für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist insbesondere die in § 283 ABGB bestehende Genehmigungsbefugnis des Gerichts für medizinische Behandlungen.

 

Die Literatur ist zur Frage der gerichtlichen Genehmigung der Entscheidung eines Sachwalters zum Behandlungsabbruch geteilter Ansicht:

 

Kopetzki meint, dass bei historischer und teleologischer Auslegung die besseren Gründe für den Fortbestand einer gerichtlichen Genehmigungskompetenz auch für Entscheidungen über Behandlungsabbrüche sprechen, zumal die auf diesem Gebiet unverzichtbare Rechtssicherheit nur durch eine rechtskraftfähige Entscheidung erzielbar sei. Der Sinn einer durch die gerichtliche Genehmigung vermittelten Prozeduralisierung liege gerade darin, diese Thematik zum Gegenstand eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens zu machen. Ein sachwalterschaftsgerichtlicher Genehmigungsvorbehalt beim Behandlungsabbruch sei nicht nur ein einfachgesetzliches, sondern ein grundrechtliches Desiderat. Er will daher „notfalls durch Analogie“ die „scheinbar begrenzte Genehmigungskompetenz“ auch auf Entscheidungen über Behandlungsabbrüche erstrecken. Gleichzeitig räumt er ein: „Welche materiellrechtlichen Kriterien das Gericht in einem solchen Fall anzuwenden hat (bzw ob ein - wenn auch durch eine Patientenverfügung determinierter - 'tödlicher' Behandlungsabbruch überhaupt einer Genehmigung zugänglich ist), steht auf einem anderen Blatt“.

 

Bernat vertritt, dass die Zustimmung des Sachwalters zu einem tödlich endenden Behandlungsabbruch „in Anknüpfung an § 275 Abs 2, § 283 Abs 2 Satz 2, § 284 Satz 3 ABGB“ der Genehmigung durch das Pflegschaftsgericht bedarf.

 

In der seit dem SWRÄG 2006 erschienenen Literatur ist auch Kletečka dieser Ansicht gefolgt, während etwa Kneihs bereits vor Inkrafttreten des SWRÄG 2006 eine Befassung des Gerichts abgelehnt hat.

 

Pesendorfer hält die Anwendung eines Verfahrens nach § 131 AußStrG oder § 283 Abs 2 ABGB de lege ferenda für überlegenswert.

 

Schütz begegnet Erwartungen, durch eine Prozeduralisierung der Entscheidungsabläufe am Lebensende ein Mehr an Rechtssicherheit zu erreichen, mit großer Skepsis.

 

Barth/Dokalik sprechen sich dezidiert gegen eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Verweigerung der Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung aus, weil für sie weder eine gesetzliche Grundlage noch eine Notwendigkeit bestehe.

 

Zuletzt hat Decker sowohl im Interesse des Betroffenen als auch in dem des behandelnden Arztes eine gerichtliche Kontrolle gefordert und dafür eine analoge Anwendung des § 283 Abs 2 ABGB vorgeschlagen, die sie im Ergebnis mit vergleichbaren Interessenlagen begründet.

 

Bedarf die Zustimmung zu einem schwerwiegenden medizinischen Eingriff unter gewissen Voraussetzungen der gerichtlichen Kontrolle, so ist die Forderung, dass dies umso mehr für den todbringenden Abbruch einer medizinischen Behandlung gelten müsste, verständlich. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass eine auf einer Fehlbeurteilung des Patientenwillens beruhende Veranlassung eines Behandlungsabbruchs auch von strafrechtlicher Relevanz sein kann. Dennoch vermag sich der erkennende Senat jenen Auffassungen nicht anzuschließen, die meinen, dass eine Sachwalterentscheidung samt gerichtlichem Genehmigungsvorbehalt bereits de lege lata auf den tödlichen Abbruch einer medizinischen Behandlung zu beziehen sei.

 

Für ein derartiges Gesetzesverständnis käme methodisch eine Gesetzesanalogie zu § 283 Abs 2 ABGB oder eine Rechtsanalogie zu den § 275 Abs 2, § 283 Abs 2 Satz 2 oder § 284 Satz 3 ABGB in Betracht.

 

Eine Gesetzesanalogie erfordert eine planwidrige Regelungslücke und die Vergleichbarkeit der geregelten mit der ungeregelten Interessenlage. Weder die eine noch die andere Voraussetzung kann bejaht werden:

 

Die Ablehnung einer schwerwiegenden medizinischen Behandlung war auch vor Inkraftreten des SWRÄG 2006 nicht Gegenstand einer expliziten gesetzlichen Normierung. § 216 Abs 2 iVm § 282 ABGB aF enthielt einen allgemein formulierten Genehmigungsvorbehalt für wichtige, die Person des Betroffenen betreffende Angelegenheiten, der in der Literatur zT auch auf die Ablehnung einer lebensverlängernden Behandlung durch den Sachwalter bezogen wurde. Dennoch hat der Gesetzgeber des SWRÄG 2006 nur die Zustimmung zu einer schwerwiegenden medizinischen Behandlung, nicht aber auch deren Ablehnung oder Abbruch in § 283 Abs 2 Satz 2 ABGB einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Bedenkt man, dass im Rahmen der Beratungen zum PatVG die gerichtliche Kontrolle von Patientenverfügungen - deren Gegenstand gerade der Verzicht auf medizinische Behandlungen ist - thematisiert wurde und noch Eingang in einen (unveröffentlichten) Ministerialentwurf gefunden hatte, dass das PatVG und das SWRÄG 2006 in unmittelbarer zeitlicher Nähe beschlossen wurden und dass das SWRÄG 2006 in seinen Erläuterungen explizit auf die Bedeutung von Patientenverfügungen Bezug nimmt, so kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber die Frage der Zulassung der Sachwalterentscheidung und deren gerichtlicher Kontrolle bei tödlichen Behandlungsabbrüchen übersehen hätte. Ebenso ist es nämlich möglich, dass er sich zur Frage, ob und wann die Einstellung lebensverlängernder medizinischer Maßnahmen der staatlichen Beiziehung und Kontrolle unterworfen sein soll, aufgrund ihrer juristisch-ethischen, aber auch klinisch-praktischen Sensibilität und ihrer möglichen Folgen (Rechtswidrigkeit eines nicht genehmigten Behandlungsabbruchs; Kriminalisierung des Sachwalters/der Ärzte) bewusst nicht äußern wollte.

 

Für das Fehlen einer Lücke spricht ein weiterer Aspekt: Mit dem SWRÄG 2006 wurde zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts psychisch kranker oder geistig behinderter Menschen in den §§ 284f - 284h ABGB das Institut der Vorsorgevollmacht geschaffen. Die Vorsorgevollmacht steht hinsichtlich der in ihr bezeichneten Angelegenheiten der Bestellung eines Sachwalters entgegen (§ 268 Abs 2 S 2 ABGB; s dazu Hopf in KBB3 § 284f Rz 1). Soll sich die Vorsorgevollmacht auf die Einwilligung in medizinische Behandlungen, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden sind (§ 283 Abs 2 ABGB), beziehen, bestehen nach § 284f Abs 3 ABGB qualifizierte Errichtungserfordernisse (Mitwirkung eines Rechtsanwalts, Notars oder Gerichts). Ausweislich der Erläuterungen zum SWRÄG 2006 kann die Vorsorgevollmacht mit einer Patientenverfügung verbunden werden, wobei explizit die Bedeutung einer beachtlichen Patientenverfügung als Orientierungshilfe für den Bevollmächtigten bei der Ermittlung des Willens des Patienten angesprochen wird. Den Bestimmungen zur Vorsorgevollmacht ist nicht zu entnehmen, dass Maßnahmen eines Vorsorgebevollmächtigten, die bei einem Sachwalter der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung bedürften, ebenso einem pflegschaftsbehördlichen Genehmigungsvorbehalt unterliegen, obwohl für beide Funktionen faktisch häufig ein ähnlicher Personenkreis in Frage kommt. Vielmehr unterliegt der Bevollmächtigte grundsätzlich keiner gerichtlichen Kontrolle (vgl Weitzenböck aaO § 284g Rz 1 ABGB). Auch dies spricht tendenziell dagegen, dass der Gesetzgeber den Abbruch einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme der Sachwalterentscheidung und deren gerichtlicher Genehmigung vorbehalten wollte.

 

Es sind aber auch die Interessenlagen bei Einleitung und Abbruch einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme nicht miteinander gleichzusetzen, werden damit doch gerade gegenteilige Ziele - Lebenserhaltung/Lebensbeendigung - verfolgt. Die Ausgestaltung des in § 283 Abs 2 ABGB vorgesehenen Verfahrens zeigt, dass es nur auf ersteres zugeschnitten ist:

 

§ 283 Abs 2 ABGB nimmt Bezug auf eine medizinische Behandlung, „die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist“. Die Erläuterungen verweisen dazu auf Eingriffe, die gewöhnlich mit der Gefahr einer schweren Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung iSd § 84 StGB verbunden sein können und führen beispielhaft aus: „Es wird sich also in erster Linie um größere operative Eingriffe, Maßnahmen, die lebenswichtige Organe betreffen, Amputationen, risikobehaftete diagnostische Maßnahmen, Chemo- und Strahlentherapien, generell also um Behandlungen handeln, die mit einem großen Risiko oder erheblichen Nebenwirkungen (zB hoch dosierte Neuroleptika und Depotbehandlungen) bzw erheblichen Schmerzen verbunden sind. Auch das Einsetzen einer 'PEG-Sonde' ist idR eine solche schwerwiegende medizinische Behandlung, da sie häufig zu einer Fixierung des (hochbetagten) Patienten führt. Eine schwere oder nachhaltige Beeinträchtigung der Persönlichkeit ist wohl etwa dann anzunehmen, wenn mit der Einnahme von Psychopharmaka oder auch anderen Medikamenten Hemmungen der geistigen oder intellektuellen Reifung, Abhängigkeitsentwicklungen oder Depressionen verbunden sein können. Über all diese Folgen hat der behandelnde Arzt den Sachwalter jedenfalls aufzuklären.“

 

Dem Gesetzgeber stand damit eindeutig ein Verfahren für die Durchführung gravierender medizinischer Maßnahmen an nicht einsichts- und urteilsfähigen Personen vor Augen. Eben weil es dabei um die Beurteilung medizinischer Fragen und Folgen geht, ist als gesetzliches Regelmodell vorgesehen, dass der Sachwalter für die Zustimmung zu einer solchen Behandlung eine zweite ärztliche Meinung benötigt. Dass die Hinzuziehung von zwei Ärzten in den Willensbildungsprozess für die Zustimmung des Sachwalters zu einem medizinischen Eingriff vom Gesetz als ausreichend erachtet wird, ist damit erklärlich, dass bei einem solchen Eingriff primär die ärztliche Prüfung und Aufklärung im Vordergrund steht, für die aus medizinischer Sicht die entscheidungswesentlichen Fakten zu liefern sind. Bei Vorliegen einer zweiten ärztlichen Meinung ist für eine gerichtliche Genehmigung der Zustimmung kein Raum. Ziel des § 283 Abs 2 ABGB ist also stets das Wohl der nicht einsichts- und urteilsfähigen Personen iSe Sicherung des Lebens vor medizinischen Risken.

 

Die Einbeziehung des Behandlungsabbruchs in den Anwendungsbereich des § 283 Abs 2 ABGB scheitert auch an der Struktur dieser Bestimmung: Die analoge Anwendung hieße, dass jene Regeln, die für die Zustimmung des Sachwalters zu einer schwerwiegenden medizinischen Behandlung vorgesehen sind, auch für den Behandlungsabbruch zu gelten hätten. Dies würde konkret bedeuten, dass primär keine gerichtliche Genehmigung zum Behandlungsabbruch einzuholen ist, wenn ein zweiter Arzt die fehlende Einsichts- und Urteilsfähigkeit der betroffenen Person sowie den Umstand bestätigt, dass der Behandlungsabbruch „zur Wahrung ihres Wohles“ erforderlich ist. Selbst wenn man die „Wahrung des Wohles“ der betroffenen Person hier in der Respektierung ihres Willens sehen wollte, so zeigt sich die Unrichtigkeit einer solchen Sichtweise schon daran, dass die Beurteilung des Patientenwillens und -wohles im Falle eines Behandlungsabbruchs dem zweiten Arzt zugewiesen wäre. Das widerspricht aber der Intention des PatVG, das die Ablehnung einer medizinischen Behandlung nur bei verbindlichen, nicht aber bei beachtlichen Patientenverfügungen allein in die ärztliche Beurteilungskompetenz stellt.

 

Die Genehmigungskompetenz des Gerichts für den Fall, dass „die behinderte Person zu erkennen gibt, dass sie die Behandlung ablehnt“, entspricht wertungsmäßig nicht dem Fall eines von der betroffenen Person in einer Patientenverfügung zum Ausdruck gebrachten Willens zu einem Behandlungsabbruch, ist hier doch von Gesetzes wegen der Fall angesprochen, dass eine medizinische Behandlung gegen den Willen der Betroffenen durchgesetzt werden soll. Rechtfertigt aber erst dieser Aspekt die gerichtliche Genehmigung, so trägt er dann, wenn eine Maßnahme von der betroffenen Person nicht abgelehnt oder sogar gewollt wird, nicht.

 

Eine analoge Anwendung im dargestellten Sinn des § 283 Abs 2 Satz 3 ABGB, wonach die fehlende Zustimmung des Sachwalters zu medizinischer Behandlung bei Gefährdung des Wohls der betroffenen Person durch die Zustimmung des Gerichts ersetzt werden kann, muss am Gesetzeszweck scheitern. Eine Analogie würde hier bedeuten, dass das Gericht, sofern es die Sachwalterschaft nicht einer anderen Person überträgt, hier ohne oder auch gegen den Willen des Sachwalters die Zustimmung zum Behandlungsabbruch selbst zu erteilen hätte. Derartiges bedürfte im Lichte des Determinierungsgebots aber eines klaren gesetzlichen Auftrags, würde doch dadurch der in der Lebenserhaltung liegende Sinn dieser Bestimmung geradezu in sein Gegenteil verkehrt. Auch wenn man die künstliche Ernährung des stabilen Koma-Patienten bei liegender PEG-Sonde als medizinische Behandlung sieht, zu deren Weiterführung der Sachwalter seine Zustimmung - mangels Ersetzung derselben mit Billigung des Gerichts - verweigert, kann ohne eindeutigen gesetzlichen Auftrag nach dem gesamten bisherigen in Gesetz und Rsp herausgebildeten Verständnis die Fortsetzung lebenserhaltender Maßnahmen nicht als Gefährdung des Patientenwohls gesehen werden.

 

Die in der Literatur angenommene Vergleichbarkeit der Interessenlagen bei Einleitung und Abbruch einer schwerwiegenden medizinischen Behandlung kann daher bei Vorliegen einer beachtlichen Patientenverfügung, nicht bejaht werden.

 

Insgesamt hat der Umstand, dass

 

- eingriffsnahe Gesetze aus prinzipiellen Gründen des Rechtsschutzes strengen Anforderungen an die gesetzliche Determinierung unterliegen,

- dem Gesetz keine planwidrige Lücke zu entnehmen ist,

- die Beurteilung der Interessenlagen bei Einleitung und Abbruch einer schwerwiegenden medizinischen Behandlung verschiedenen Wertungen folgt und

- § 283 Abs 2 ABGB nach seiner Konzeption nur auf erstere zugeschnitten ist,

 

zur Folge, dass § 283 Abs 2 ABGB nicht im Wege der Analogie auf den Abbruch einer lebensbeendenden medizinischen Maßnahme angewandt werden kann.

 

Das steht auch einer Rechtsanalogie zu den § 275 Abs 2, § 283 Abs 2 Satz 2, § 284 Satz 3 ABGB entgegen.

 

Die Regelung des § 283 ABGB stellt die speziellere Norm dar, die für die Beurteilung von medizinischen Maßnahmen konzipiert ist und auf das Zusammenspiel mit der Verantwortung des Arztes Bedacht nimmt. Da die §§ 275 Abs 2 und 284 Satz 3 ABGB die Beschränkungen des Genehmigungsvorbehalts des § 283 Abs 2 ABGB nicht kennen, die gerichtlichen Genehmigungskompetenzen sohin an unterschiedliche gesetzliche Voraussetzungen geknüpft sind, kann daraus kein allgemeiner Grundsatz abgeleitet werden, nach dem die Zulässigkeit einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung des Abbruchs einer lebenserhaltenden Maßnahme zu beurteilen wäre.

 

Als weiteres Ergebnis ist daher festzuhalten, dass weder das PatVG noch das ABGB eine hinreichend determinierte Grundlage für die gerichtliche Genehmigung eines in einer beachtlichen Patientenverfügung und vom Sachwalter gewünschten lebensbeendenden Behandlungsabbruchs vorsehen.

 

Einen ähnlichen Befund ergibt ein Vergleich mit § 1904 dBGB in der vor dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts (3. BtRÄG) geltenden Fassung, der nach seinem Wortlaut den gerichtlichen Genehmigungsvorbehalt nur auf die Einwilligung des Betreuers in einen ärztlichen Eingriff, nicht aber auf seine Verweigerung bezog. Der BGH verneinte zu dieser Bestimmung mit ähnlicher Argumentation ebenfalls, dass sie Grundlage für den Antrag eines Betreuers sein könne, die Einstellung der künstlichen Ernährung des von ihm betreuten (an einem apallischen Syndrom leidenden) Vaters vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen. Die fehlende Möglichkeit einer analogen Heranziehung der §§ 1904 bis 1907 BGB veranlasste den BGH allerdings, „im Wege einer Fortbildung des Betreuungsrechts“ eine vormundschaftsgerichtliche Prüfzuständigkeit zu eröffnen, die er im Wesentlichen mit dem Bedarf nach „rechtlich verantwortbaren Antworten“ begründete und dahin konturierte, dass das Vormundschaftsgericht unter der Voraussetzung, dass der behandelnde Arzt eine lebensverlängernde medizinische Behandlung überhaupt anbiete, deren Ablehnung durch den Betreuer auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen habe. Es treffe damit keine eigene Entscheidung gegen lebensverlängernde oder -erhaltende Maßnahmen. Ein solches Zustimmungserfordernis trage dem Schutz des Betroffenen in seinen Grundrechten auf Leben, Selbstbestimmung und Menschenwürde Rechnung, entlaste aber auch den Betreuer, dem die alleinige Last der Entscheidung gegen eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung nicht zuzumuten sei, und schütze ihn vor dem Risiko einer abweichenden strafrechtlichen ex-post-Beurteilung.

 

Eine vormundschaftliche Genehmigung wurde vom BGH daher nicht für erforderlich erachtet, wenn sich der Betreuer und der behandelnde Arzt übereinstimmend gegen eine weitere künstliche Ernährung des Betreuten entschieden haben.

 

Der deutsche Gesetzgeber hat die Thematik zwischenzeitig einer Regelung zugeführt: Nach § 1904 Abs 2 bis 4 BGB idF des am 1. 9. 2009 in Kraft getretenen 3. BtRÄG bedarf die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in einen schwerwiegenden ärztlichen Eingriff nun der Genehmigung des Betreuungsgerichts (Abs 2); dieses hat die Genehmigung zu erteilen, wenn die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht (Abs 3); eine derartige Genehmigung ist jedoch nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a BGB (Patientenverfügung) festgestellten Willen des Betreuten entspricht.

 

Der OGH kann aufgrund des Determinierungsgebots für das österreichische Recht keine ausreichende Grundlage zu einer vergleichbaren richterlichen Rechtsfortbildung erkennen. Kopetzki führt vielmehr überzeugend aus, dass bei moralisch und/oder gesellschaftspolitisch strittigen Angelegenheiten ein höheres Maß an gesetzlicher Präzision zu verlangen sei, weil und sofern die Gesetzesauslegung gerade in solchen Bereichen nicht mehr durch die ergänzende Heranziehung allgemein anerkannter Wertungskonsense konkretisiert werden könne. Die Einsicht, dass im Sachwalterrecht auf flexible Handlungsspielräume zur Bewältigung unvorhergesehener Entscheidungsnotwendigkeiten im Bereich der Personensorge nicht verzichtet werden könne, ohne die Funktionsfähigkeit des Rechtsinstituts in Frage zu stellen, entbinde den Gesetzgeber nicht davon, typische und vorhersehbare Konfliktlagen zu regeln und eine generell-abstrakte Regelbildung dort vorzunehmen, wo sie möglich sei. Nach Ansicht des erkennenden Senats steht dies einer Rechtsfortbildung in der vom BGH vorgenommenen Weise entgegen.

 

Dies führt zum Ergebnis, dass ein durch gerichtliche Verantwortung begleiteter auf Beendigung des Lebens durch die Abschaltung der lebenserhaltenden Systeme gerichteter Entscheidungsprozess im Rahmen des medizinischen Behandlungsvertrags durch die österreichische Rechtsordnung weder im dafür relevanten § 283 ABGB noch durch Rechtsanalogie zur Verfügung gestellt wird. Es bleibt daher bei den aus dem Behandlungsvertrag mangels gerichtlicher Entscheidungsbefugnis bestehenden grundsätzlich auf Erhaltung des Lebens gerichteten ärztlichen Verpflichtungen.

 

Als anerkannt gelten kann, dass der behandelnde Arzt bei der Beurteilung der von ihm vorzuschlagenden bzw durchzuführenden Maßnahmen (vgl etwa § 8 Abs 3 KAKuG) auch auf die Persönlichkeit des Patienten Bedacht zu nehmen hat. In diesem Zusammenhang wird etwa  der Befragung der Angehörigen und auch der beachtlichen Patientenverfügung Bedeutung zukommen. Diese Ausgangspunkte sind auch für die Tätigkeit des Sachwalters wichtig, wenn nach der Einschätzung des behandelnden Arztes aus medizinischer Sicht eine weitere Behandlung, nicht mehr dem Wohl des Patienten dient. Der Sachwalter des Patienten hat die beachtliche Patientenverfügung in Bezug auf die medizinische Behandlung zur Erforschung des mutmaßlichen Parteiwillens ins Kalkül zu ziehen. Der Sachwalter des Patienten ist insoweit an den in einer bloß beachtlichen Patientenverfügung verankerten mutmaßlichen Willen des Patienten als Richtschnur und Orientierungshilfe gebunden. Weder dem Sachwalter noch dem behandelnden Arzt kommt in diesem Fall die alleinige Entscheidungsbefugnis zu. Vielmehr haben sie unter Beachtung der beachtlichen Patientenverfügung über die weitere Vorgehensweise konsensual zu befinden. Ist nur einer von ihnen für die Lebenserhaltung, hat diese Vorrang. Eine Entscheidungsbefugnis des Gerichts besteht - wie dargelegt - nicht.