26.11.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Arbeitsunfall iSd § 175 ASVG – zur Frage, ob bei einer Dienstreise der aus privaten Gründen um mehrere Stunden verspätete Antritt der Rückfahrt den Versicherungsschutz endgültig zum Erlöschen bringt

Der OGH orientiert sich in seiner Rsp grob an der Zwei-Stunden-Grenze, hält aber grundsätzlich fest, dass bei der Beurteilung der Unterbrechung die Umstände des Einzelfalls, insbesondere Art und Dauer der Verrichtung maßgeblich sind; wesentlich ist, ob die private Verrichtung nach Arbeitsschluss so bestimmend war, dass der Weg nach ihrer Beendigung als Weg von dieser Verrichtung und nicht mehr von der Arbeitsstätte iSd § 175 Abs 2 ASVG anzusehen ist; abgesehen von der Art der Verrichtung kommt es dabei aber nicht nur auf die absolute Dauer der Unterbrechung an, sondern ist auch das Verhältnis zur üblichen Dauer des Heimwegs ins Kalkül zu ziehen


Schlagworte: Unfallversicherung, Arbeitsunfall, Arbeitswege, Betriebswege, Unterbrechung aus privaten Gründen
Gesetze:

§ 175 ASVG

GZ 10 ObS 139/12g, 02.10.2012

 

OGH: Arbeitswege sind nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG versicherte, mit der Beschäftigung zusammenhängende Wege zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte, die der Arbeitstätigkeit oder der Ausbildung vorangehen oder nachfolgen.

 

Wege außerhalb der Arbeitsstätte, die in Ausübung der die Versicherung begründenden Beschäftigung zurückgelegt werden (etwa eine Geschäfts- oder Dienstreise aufgrund eines dienstlichen Auftrags) werden hingegen als Betriebswege bezeichnet. Diese stehen nach § 175 Abs 1 ASVG unter Versicherungsschutz.

 

Betriebswege sind somit ein Teil der versicherten Beschäftigung, wodurch sie sich von den nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG versicherten Wegen zur oder von der Arbeitsstätte unterscheiden.

 

Die Qualifikation als Arbeitsweg kann dadurch verloren gehen, dass der Arbeitsweg unterbrochen wird, indem der Versicherte durch längere Zeit eigenwirtschaftliche Verrichtungen ausführt:

 

Bei dem der Arbeitstätigkeit nachfolgenden Arbeitsweg nach Hause besteht nach stRsp für den Weg nach der Unterbrechung dann kein Versicherungsschutz mehr, wenn aus Dauer und Art der Unterbrechung auf eine endgültige Lösung des Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg geschlossen werden kann. Obwohl der Unfallversicherungsschutz mit der Wiederaufnahme des Weges eigentlich wieder aufleben würde, tritt diese Folge ausnahmsweise nicht ein, wenn der weitere Weg im Hinblick auf die Umstände der Unterbrechung nach allgemeiner Anschauung nicht mehr als Weg von der Arbeitsstätte, sondern als Weg von der während der Unterbrechung verrichteten eigenwirtschaftlichen Tätigkeit angesehen werden muss. Eine solche Beendigung wurde etwa angenommen, wenn aus privaten Gründen die Heimfahrt durch zwei Aufenthalte im Park und im Gasthaus von zusammen dreieinhalb Stunden unterbrochen wurde. Das deutsche Bundessozialgericht hat sich in seiner Judikatur seit dem Jahr 1976 darauf festgelegt, dass idR bei Unterbrechungen bis zu zwei Stunden der Versicherungsschutz auf dem weiteren Weg vom Ort der Tätigkeit wieder auflebt, und zwar auch dann, wenn ein Versicherter den Heimweg für eine Dauer unterbrochen hat, die ein Mehrfaches der für die Heimfahrt üblicherweise benötigten Zeit betragen hat. Auch der OGH orientiert sich in seiner Rsp grob an dieser Zwei-Stunden-Grenze, hält aber grundsätzlich fest, dass bei der Beurteilung der Unterbrechung die Umstände des Einzelfalls, insbesondere Art und Dauer der Verrichtung maßgeblich sind. Wesentlich ist, ob die private Verrichtung nach Arbeitsschluss so bestimmend war, dass der Weg nach ihrer Beendigung als Weg von dieser Verrichtung und nicht mehr von der Arbeitsstätte iSd § 175 Abs 2 ASVG anzusehen ist. Abgesehen von der Art der Verrichtung kommt es dabei aber nicht nur auf die absolute Dauer der Unterbrechung an, sondern ist auch das Verhältnis zur üblichen Dauer des Heimwegs ins Kalkül zu ziehen. In diesem Sinn wurde etwa ein Zusammenhang mit dem kurzen Heimweg und der fehlenden Notwendigkeit einer langen „Ruhepause“ hergestellt. Dagegen wurde bei einem Schüler trotz sechsstündiger Unterbrechung der Unfallversicherungsschutz als erhalten angesehen, weil während dieser Unterbrechung keine privaten Angelegenheiten, sondern nur solche verrichtet wurden, die mit der versicherten Tätigkeit zusammenhingen.

 

Durch die rechtliche Gleichstellung des geschützten Wegs mit der eigentlich versicherten Tätigkeit hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass an Unfällen auf Wegen ganz allgemein keine strengeren Anforderungen als an betriebliche Unfälle gestellt werden dürfen.

 

Der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung, im Falle der Fortsetzung eines unterbrochenen Betriebswegs gehe der Versicherungsschutz weniger leicht verloren als bei der Fortsetzung eines Arbeitswegs, weil beim Betriebsweg doch die Betriebstätigkeit wieder aufgenommen werde, beim Arbeitsweg dagegen „nur“ die Weiterbewegung zur Arbeits- oder Wohnstätte, wird nicht allgemein gefolgt, sondern wird auch vertreten, dass für den Betriebs- und den Arbeitsweg die gleichen Grundsätze gelten müssen. Es braucht hier nicht abschließend darauf eingegangen werden, ob diese Wertung derart verallgemeinbar ist. Ob der Versicherungsschutz durch eine private Tätigkeit unterbrochen wird, hängt zweifellos von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab.

 

Im vorliegenden Fall hat der Kläger eine Betriebsfahrt (Rückfahrt) verzögert angetreten: Nach den Feststellungen trat er die Dienstreise zeitig in der Früh an, und begab sich nicht schon nach Beendigung seiner geschäftlichen Tätigkeit um 13:30 Uhr, sondern erst gegen 22:30 Uhr auf die Rückfahrt nach Tirol. Dadurch hat er die Risikosphäre, für die die Unfallversicherung einzustehen hat, eklatant in zeitlicher Hinsicht verschoben, ohne dass berücksichtigungswürdige Gründe vorlägen.

 

Für das Vorliegen unvermeidbarer oder betriebsbedingter Gegebenheiten oder dafür, dass der Kläger den Antritt der Rückfahrt hinausschieben wollte, um ein Unfallrisiko zu vermeiden, bestehen keine Anhaltspunkte. Von einer nur geringfügigen zeitlichen Verschiebung der Rückreise kann bei einem um insgesamt neun Stunden verzögertem Antritt nicht die Rede sein; dies auch, wenn man die Dauer der bevorstehenden Fahrt von Wien nach Tirol berücksichtigt. Läge eine Unterbrechung eines bereits begonnen Arbeitswegs vor, wären bei der nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmenden Betrachtung dem rein privaten Charakter des Treffens mit der Freundin sowie der erheblichen Überschreitung der Zwei-Stunden-Grenze maßgebliche Bedeutung zuzumessen. Nichts anderes kann für den verspäteten Antritt der Rückreise gelten. Der Unfall des Klägers stand angesichts der rein privaten Art der Verrichtung, die sich über eine besonders lange Zeitspanne erstreckte nicht mehr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. War die Risikosphäre aus rein privaten Gründen in einem derart erheblichen Ausmaß zeitlich verschoben, ist von einer endgültigen Lösung des Zusammenhangs mit der versicherten Tätigkeit auszugehen. Die Fahrt kann daher nach allgemeiner Anschauung nicht mehr als Betriebsfahrt angesehen werden, sondern als Heimweg von einem privaten Interessen dienenden, ca neun Stunden dauernden, Aufenthalt in Wien.