10.12.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Wirksame Reaktionen gegen Mobbing – Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Arbeitgeber bei Mobbing durch Kollegen

Wenn dem Arbeitgeber Gefährdungen zur Kenntnis gelangen, hat er unverzüglich auf angemessene Weise Abhilfe zu schaffen; der Arbeitgeber ist in Bezug auf die Wahl der Mittel gegen ein bekannt gewordenes Mobbinggeschehen grundsätzlich frei; wird den Beteiligten bei einem gemeinsamen Gespräch eine entschlossene Haltung des Arbeitgebers vermittelt, Mobbinghandlungen unter keinen Umständen zu tolerieren und notfalls alle zur Verfügung stehenden arbeitsrechtlichen Mittel auszuschöpfen, dann kann dies in bestimmten Fällen ausreichen; auch die Beiziehung eines Mediators kann noch im Rahmen der Wahlfreiheit des Arbeitgebers bezüglich zu ergreifender Mittel, um ein Mobbinggeschehen zu unterbinden, als in Betracht kommende Maßnahme angesehen werden


Schlagworte: Mobbing, Fürsorgepflichten, Abhilfe, gemeinsames Gespräch mit Beteiligten, Mediator, Schadenersatzrecht
Gesetze:

§ 1157 ABGB, § 18 AngG, §§ 1295 ff ABGB

GZ 9 ObA 131/11x, 26.11.2012

 

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem Jahr 2001 beschäftigt. Sein Arbeitsplatz befand sich in einem Rehabilitationszentrum der Beklagten, in dem der Kläger seit 2005 als Hausarbeiter bzw als Portier zum Einsatz kam. Das Arbeitsverhältnis wurde vom Kläger durch vorzeitigen Austritt zum 29. 12. 2009 beendet. Von der Beklagten wird nicht bestritten, dass dieser vorzeitige Austritt gerechtfertigt war.

 

OGH: Bei „Mobbing“ handelt es sich um eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen und Kolleginnen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet. Für Mobbing ist das systematische, ausgrenzende und prozesshafte Geschehen über einen längeren Zeitraum typisch, etwa durch systematische Verweigerung jeder Anerkennung, Isolation, Zurückhaltung von Informationen, Rufschädigung etc. Die große Bandbreite möglicher Mobbinghandlungen entzieht sich einer vollständigen Aufzählung. Einzelne (Teil-)Aspekte, die bei Mobbing eine Rolle spielen, finden sich in anderen gesetzlichen Tatbeständen wieder (siehe zur Beeinträchtigung der Würde und zu einschüchternder, feindseliger oder demütigender Arbeitsumwelt die Belästigungstatbestände nach den §§ 6, 7, 21 GlBG; siehe auch die Erwähnung von „Mobbing“ in RV 307 BlgNR 22. GP 5, 12).

 

Zur eigenständigen Anspruchsgrundlage wurde Mobbing bisher - anders als die Belästigungstatbestände des Gleichbehandlungsrechts (siehe etwa §§ 6, 7 iVm § 12 Abs 11 GlBG; § 7d iVm § 7i BEinstG etc) - noch nicht erhoben. Das Kalkül „Mobbing“ gibt einem Fall somit zwar eine bestimmte Prägung; für die Begründung (oder Abwehr) von Schadenersatzansprüchen sind aber noch andere Überlegungen zu beachten.

 

Auch wenn „Mobbing“ keine eigenständige Anspruchsgrundlage ist, vermittelt der Begriff den Rechtsanwendern ein bestimmtes Bild von einem Geschehen und hilft, die über einen mehr oder weniger langen Zeitraum meist umfangreiche Abfolge von die Menschenwürde beeinträchtigenden Handlungen und Unterlassungen, denen ein Arbeitnehmer am Arbeitsplatz ausgesetzt war, unter einer Bezeichnung zusammenzufassen. Wenn es aber um konkrete Ansprüche geht, führt kein Weg an der Auseinandersetzung mit den konkreten Rechtsgutverletzungen, die im „Mobbingsachverhalt“ stecken, vorbei. In diesem Sinn hat der OGH auch bereits klargestellt, dass die rechtliche Würdigung eines als „Mobbing am Arbeitsplatz“ bezeichneten Sachverhalts va unter dem Blickwinkel zu erfolgen hat, ob von den beteiligten Akteuren arbeitsrechtliche Pflichten verletzt wurden. Der Kläger stützt sich nun darauf, dass die Beklagte als Arbeitgeber die sie treffende Fürsorgepflicht verletzt habe, weil sie gegen das von anderen Arbeitnehmern ausgehende und gegen ihn gerichtete Verhalten nicht eingeschritten sei. Durch die dauernde Belastung aufgrund der nicht unterbundenen Mobbinghandlungen habe der Kläger eine psychische Erkrankung erlitten, für deren Folgen die Beklagte einzustehen habe.

 

Die geltend gemachten Schadenersatzansprüche drehen sich um die vom Kläger im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten erlittene und über die Beendigung hinaus fortwirkende psychische Erkrankung. Dass es sich dabei um einen Arbeitsunfall oder um eine Berufskrankheit des Klägers handle, macht niemand geltend. Der Kläger behauptet auch nicht, dass die Organe der Beklagten oder von diesen mit der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht betraute Personen unmittelbar Mobbinghandlungen gesetzt haben. Die erlittenen Schäden sollen der Beklagten deshalb zurechenbar sein, weil sie ihre Fürsorgepflicht verletzt habe. Die Fürsorgepflicht (§ 1157 ABGB; § 18 AngG) verpflichtet den Arbeitgeber nicht nur dazu, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass das Leben und die Gesundheit der Arbeitnehmer möglichst geschützt und auch andere immaterielle und materielle Interessen der Arbeitnehmer gewahrt werden, sondern auch dazu, die notwendigen Maßnahmen gegen das Betriebsklima gröblich beeinträchtigende Mitarbeiter zu ergreifen, insbesondere wenn deren Verhalten so weit geht, dass die Arbeitsbedingungen für andere Arbeitnehmer nahezu unzumutbar werden. Wenn dem Arbeitgeber Gefährdungen zur Kenntnis gelangen, hat er daher unverzüglich auf angemessene Weise Abhilfe zu schaffen.

 

Nach dem festgestellten Sachverhalt war die Beklagte jedenfalls ab dem E-Mail des Klägers vom 7. 9. 2008 an den Verwaltungsleiter des Rehabilitationszentrums und der nachfolgenden Besprechung vom 25. 9. 2008 in Kenntnis von fortgesetzten Beschimpfungen und Schikanen gegen den Kläger durch andere Mitarbeiter. Dass der Verwaltungsleiter die Beklagte als juristische Person bei der Wahrung der Fürsorgepflicht im Rehabilitationszentrum vertrat, ist in diesem Zusammenhang nicht strittig. Allenfalls könnte bereits ab den Beschwerden des Klägers bei dem für ihn zuständigen Werkmeister im Spätsommer 2008 von einer der Beklagten zurechenbaren Kenntnis von Beschimpfungen und Schikanen gegen den Kläger ausgegangen werden. Eine eindeutige Beurteilung dieses Aspekts ist jedoch mangels Erörterung in erster Instanz nicht möglich. Die mögliche Kenntnis der Beklagten „ab Spätsommer 2008“ fällt hier aber aufgrund der geringen zeitlichen Differenz gegenüber der unstrittigen Kenntnis jedenfalls ab 7. 9. 2008 nicht ins Gewicht.

 

Zutreffend gingen die Vorinstanzen davon aus, dass der Arbeitgeber in Bezug auf die Wahl der Mittel gegen ein bekannt gewordenes Mobbinggeschehen grundsätzlich frei ist. Der beleidigte Arbeitnehmer hat keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Beleidiger beendet. Er hat jedoch ein Recht darauf, dass der Arbeitgeber aktiv wird und die erforderlichen Mittel ergreift, um ihn vor weiteren Angriffen zu schützen. Dabei haben die Maßnahmen des Arbeitgebers unverzüglich zu erfolgen. Nun wird nicht verkannt, dass voreilige Reaktionen des Arbeitgebers auf behauptete Verfehlungen eines Arbeitnehmers für den Arbeitgeber riskant sind. Die Reaktionen des Arbeitgebers wollen daher gut überlegt sein. Untätigkeit führt aber bei Mobbing selten zum Erfolg, sondern wird häufig als „Freibrief“ missverstanden. An einem Tätigwerden des Arbeitgebers führt daher idR kein Weg vorbei. Für die Mobbingbetroffenen ist echter Schutz gefordert.

 

Nach den Feststellungen wurde der Kläger über einen längeren Zeitraum wiederholt von anderen Arbeitnehmern der Beklagten beschimpft und schikaniert, sodass er sich immer mehr dem Punkt näherte, nicht mehr für die Beklagte am bisherigen Arbeitsplatz arbeiten zu können. Sobald dies der Beklagten bekannt wurde, war im Rahmen der sie treffenden Fürsorgepflicht ein rasches Einschreiten gefordert. Wie bereits erwähnt, ist der Arbeitgeber in der Wahl seiner Mittel, ein Mobbinggeschehen auf angemessene, aber wirksame Weise zu unterbinden, frei. Entschied sich der Verwaltungsleiter für Gespräche mit den Beteiligten, dann war dies jedenfalls zunächst ein grundsätzlich zulässiger Ansatz. Wird den Beteiligten bei solchen Gesprächen eine entschlossene Haltung des Arbeitgebers vermittelt, Mobbinghandlungen unter keinen Umständen zu tolerieren und notfalls alle zur Verfügung stehenden arbeitsrechtlichen Mittel auszuschöpfen, dann kann dies in bestimmten Fällen ausreichen.

 

Bis zur zweiten Besprechung vom 7. 11. 2008 ist der Beklagten zugutezuhalten, dass sie durch entsprechende Diensteinteilungen versuchte, den Kläger aus Konflikten mit den von ihm benannten Kollegen herauszuhalten, und gleichzeitig versuchte, durch Kontrollen das vom Kläger benannte Alkoholproblem im Dienst zu unterbinden. Spätestens aber bei der Besprechung vom 7. 11. 2008 erkannte der Verwaltungsleiter der Beklagten aufgrund der wechselseitig erhobenen Vorwürfe, dass er die Situation zwischen den Hausarbeitern nicht mehr selbst lösen könne. Er kündigte daher an, einen Mediator beizuziehen. Auch das kann noch im Rahmen der Wahlfreiheit des Arbeitgebers bezüglich zu ergreifender Mittel, um ein Mobbinggeschehen zu unterbinden, als in Betracht kommende Maßnahme angesehen werden. Gegenteiliges wurde jedenfalls nicht behauptet. Nach der Lage des Falls war aber zwingend rasches Handeln gefordert. Tatsächlich ist aber nichts mehr geschehen, um den Kläger ausreichend zu schützen. Plausible Gründe für das nur mehr halbherzige Agieren vermochte die Beklagte nicht aufzuzeigen. Allfällige Terminschwierigkeiten des von der Beklagten in Aussicht genommenen Mediators, der bis zum Jahresende nicht mehr zur Verfügung gestanden sein soll, reichen nicht aus, zumal er auch danach nicht bestellt wurde. Die Verhinderung des Mediators wäre ein Grund für die Beiziehung eines anderen Mediators oder für andere Initiativen der Beklagten zum Schutz des Klägers gewesen. Andere Maßnahmen wurden aber nicht ergriffen, weshalb die gegen den Kläger gerichteten Beschimpfungen und Schikanen bis zu seinem Dauerkrankenstand ab 5. 1. 2009 weiter gingen. Nach der Lage des Falls ist daher ab dem 7. 11. 2008 von einer Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Beklagte auszugehen, weil sie trotz bekannt gewordener ernster Probleme des Klägers und dem Erkennen, dass bloße Gespräche nicht ausreichen, nur mehr halbherzig reagiert hat und nicht unverzüglich für ausreichende Abhilfe gesorgt hat.