17.12.2012 Zivilrecht

OGH: Erheblicher Aufwand der Adaptierung einer angebotenen Standardsoftware –Warnpflicht des Werkunternehmers und Mitwirkungspflicht des Bestellers bei Softwareverträgen

Darauf, dass in den Softwarebedingungen, die dem Vertrag zugrunde lagen, dem Besteller die Auswahl der Software und die Erteilung der notwendigen Informationen oblag, kann sich die Klägerin gegenüber der Beklagten, die erkennbar keine Fachkenntnisse besaß, nicht berufen; sie hätte in Erfüllung vorvertraglicher Verpflichtungen schon vor Auftragserteilung die Beklagte darüber aufklären müssen, dass ohne eine Detailspezifikation vor Beginn der Softwareanpassung bzw Entwicklung - wie in den Softwarebedingungen auch vorgesehen - eine Erarbeitung der von der Beklagten für ihren speziellen Betrieb benötigten Lösungen nicht zu verwirklichen sei


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Werkvertragsrecht, Softwareverträge, Warnpflicht, Mitwirkungspflicht, Standardsoftware, erheblicher Aufwand der Adaptierung
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, §§ 1165 ff ABGB, § 1168a ABGB, §§ 1053 ff ABGB

GZ 5 Ob 111/12b, 23.10.2012

 

OGH: Zur Qualifikation des Vertrags über den Erwerb von Computer-Software liegt bereits ausreichend Rsp des OGH vor. Während die dauerhafte Überlassung einer auf Datenträgern verkörperten Standardsoftware gegen einmaliges Entgelt als Kaufvertrag qualifiziert wird, ist die Lieferung von Individualsoftware, also einer solchen, die speziell auf die besonderen Bedürfnisse und individuellen Umstände und Wünsche eines Bestellers ausgerichtet ist, als Werkvertrag zu beurteilen. Da die von der Klägerin angebotene Standardsoftware als klassische Warenwirtschaftssoftware (für Ein- und Verkauf von Waren, Lagerhaltung etc) für die Bedürfnisse der Beklagten als Büro für sicherheitstechnische und medizintechnische Überprüfungen nicht geeignet war, sondern es eines erheblichen Aufwands bedurft hätte, sie für die Bedürfnisse der Beklagten und die besonderen Anforderungen ihres Betriebs zu entwickeln, wobei ihr die Klägerin auch einen entsprechenden Erfolg zusagte, ist die Beurteilung - auch wenn zwischen den Parteien nicht die Herstellung einer Spezialsoftware vereinbart war - nach den Regeln des Werkvertragsrechts vorzunehmen, weil aus einem bereits bestehenden Softwareprodukt mit erheblichem Aufwand durch Anpassungen und Erweiterungen eine in dieser Form bisher nicht existierende, auf die besonderen Bedürfnisse der Erwerberin zugeschnittene Individualsoftware herzustellen war.

 

Da dieses „Werk“ zum Zeitpunkt des „Rücktritts“ tatsächlich noch bei weitem nicht fertiggestellt war - waren doch für die Beklagte wesentliche Funktionen und Lösungen noch lange nicht erreicht bzw erreichbar, hätte es doch hiezu feststellungskonform auch noch eines erheblichen (beiderseitigen) Aufwands bedurft, um die erforderlichen Anpassungen zu bewirken -, ist weder von einer Ablieferung iSd § 377 UGB noch einer Über- bzw Abnahme des Werks auszugehen, sodass weder die Verletzung einer Rügeobliegenheit noch Gewährleistungsansprüche zu beurteilen sind.

 

Im vorliegend zu beurteilenden Fall unterblieb die Herstellung des geschuldeten Erfolgs, weil es seitens der Klägerin vor Auftragserteilung unterlassen wurde, die für die zu liefernde Software maßgeblichen Anforderungen verbindlich zu definieren, ein sog Pflichtenheft zu erstellen (nach den zugrunde gelegten AGB [Softwarebedingungen, Punkt 3.] war ein solches schriftlich zu vereinbaren), um eine Klärung des in Auftrag zu gebenden Werks iSe Detailspezifikation zur Erstellung der Software zu ermöglichen. Dazu wäre ein erheblicher Aufwand erforderlich gewesen, um die von der Klägerin im Rahmen des Werkvertrags zu lösenden Aufgaben iSd gewünschten Funktionalität und der Qualitätseigenschaften auch nur annähernd zu definieren.

 

Der Klägerin musste aufgrund ihrer besonderen Sachkenntnis bewusst sein, dass die Erbringung des Werks bei ihrem Informationsstand in hohem Maß gefährdet, wenn nicht unmöglich war. Darauf, dass in den Softwarebedingungen, die dem Vertrag zugrunde lagen, dem Besteller die Auswahl der Software und die Erteilung der notwendigen Informationen oblag, kann sich die Klägerin gegenüber der Beklagten, die erkennbar keine Fachkenntnisse besaß, nicht berufen. Sie hätte in Erfüllung vorvertraglicher Verpflichtungen schon vor Auftragserteilung die Beklagte darüber aufklären müssen, dass ohne eine Detailspezifikation vor Beginn der Softwareanpassung bzw Entwicklung - wie in den Softwarebedingungen auch vorgesehen - eine Erarbeitung der von der Beklagten für ihren speziellen Betrieb benötigten Lösungen nicht zu verwirklichen sei.

 

(Erst) Im Schreiben vom 21. 7. 2009, das dem Vertragsrücktritt der Beklagen unmittelbar voranging und diesen offensichtlich auslöste, hat die Klägerin auf die übliche Vorgangsweise hingewiesen und festgehalten, welche Schritte aus ihrer Sicht im Laufe der Einführung und ständigen Anpassung und Verbesserung der Software einzuhalten sind. Dass sie diese Informationen der Beklagten bereits vor Vertragsabschluss erteilt und die Zustimmung der Beklagten zu einem erheblichen gemeinsamen Zeit- und Mehrkostenaufwand erzielt hätte, steht nicht fest. Wenn sich die Klägerin darauf beruft, dass die Beklagte als Bestellerin eine für das Gelingen des Werks erforderliche Mitwirkung unterlassen hat, ist ihr abermals entgegenzuhalten, dass es bei der von der Klägerin (einseitig) gewählten Vorgangsweise, nämlich der Entgegennahme des Auftrags ohne sachgemäß erforderliche Definition des zu erbringenden Werks, einer spezifischen Aufklärung über das Erfordernis der gemeinsamen Erarbeitung und die besondere Bedeutung zeitintensiver Mitwirkung der Beklagten an der Werkerstellung und wohl auch eines Mehrkostenaufwands bedurft hätte. Damit liegt aber die Ursache für das Fehlschlagen des Werks in der Verletzung eigener vorvertraglicher Aufklärungspflichten der Klägerin.

 

Da die Klägerin erstmals mit ihrem Schreiben vom 21. 7. 2009 die (umfangreiche) Mitwirkung der Beklagten bei der Softwareanpassung und -erweiterung in detaillierter Form einforderte, statt rechtzeitig vor Auftragsvergabe darauf entsprechend hinzuweisen, durfte Letztere diese ablehnen. Die in diesem Schreiben vorgeschlagene Vorgangsweise stellte nämlich keine rechtzeitige Erfüllung einer (nach dem Vorgesagten bereits vorvertraglich entstandenen) Aufklärungspflicht durch die Klägerin mehr dar, sondern zielte im Ergebnis auf die Durchsetzung einer eigenmächtig gewählten und damit einseitigen Vertrags-(um-)gestaltung ab. Die Beklagte durfte daher die bis zu diesem Zeitpunkt nicht vertragsgemäß erbrachte Leistung durch ihren „Vertragsrücktritt“ (richtig: Abbestellung) endgültig zurückweisen. Die fehlende Bereitschaft der Beklagten zu weiteren Schulungen fällt damit - mangels Zumutbarkeit - nicht ins Gewicht.

 

Das führt aber, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, zum Verlust des (restlichen) Entgeltanspruchs der Klägerin.