21.01.2013 Zivilrecht

OGH: Bei Glatteis auf Bundesstraße langsam bergwärts bewegendes Sattelkraftfahrzeug – außergewöhnliche Betriebsgefahr iSd § 9 Abs 2 EKHG?

Bei einem mehrere Minuten lang nur mit einer Geschwindigkeit von weniger als 6,5 km/h fortbewegendem Sattelkraftfahrzeug wird einer der beiden Fahrstreifen durch ein (nahezu) statisches Hindernis von beträchtlicher Masse und Größe zur Gänze blockiert; trotz eingeschalteter Warnblinkanlage entsteht dadurch eine besonders gefährliche Situation, zumal im Freilandgebiet grundsätzlich auch mit höheren Geschwindigkeiten gefahren werden darf


Schlagworte: Schadenersatzrecht, EKHG, außergewöhnliche Betriebsgefahr, Glatteis, Bundesstraße, langsam bergwärts bewegendes Sattelkraftfahrzeug
Gesetze:

§ 9 EKHG

GZ 2 Ob 181/11y, 07.08.2012

 

OGH: Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ist bei einer besonderen Gefahrensituation anzunehmen, die nicht bereits regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb verbunden ist, sondern durch das Hinzutreten besonderer, nicht schon im normalen Bereich liegender Umstände vergrößert wurde. Ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls eine außergewöhnliche Betriebsgefahr als unmittelbare Unfallursache zu bejahen, macht es für die Haftung grundsätzlich keinen Unterschied, ob sie durch einen Dritten, ein Tier oder sogar durch höhere Gewalt ausgelöst wurde.

 

In der Rsp des OGH wird bei einem im Stillstand befindlichen Kfz das Vorliegen außergewöhnlicher (manchmal auch „besonderer“) Betriebsgefahr im Allgemeinen bejaht, wenn Umstände vorhanden sind, die eine besonders gefährliche Situation herbeiführen. Das trifft wegen der dort zulässigen hohen Geschwindigkeiten va bei einem nicht bloß durch die Verkehrslage bedingten Stillstand auf Autobahnen zu (2 Ob 54/92 [Autobahntunnel]; 2 Ob 57/98s [bei Dunkelheit querstehendes Fahrzeug] mwN; 2 Ob 35/01p [querstehender Pkw]; 2 Ob 359/99d und 2 Ob 314/00s [auf dem Pannenstreifen abgestellte, jedoch in den Fahrstreifen ragende Fahrzeuge]; 2 Ob 229/01t [auf einem Fahrstreifen abgestelltes Sattelkraftfahrzeug]; anders hingegen 2 Ob 143/83 bei einer Geschwindigkeits- beschränkung auf 80 km/h). Abseits von Autobahnen kamen bei stillstehenden Kraftfahrzeugen auch andere gefahrenerhöhende Umstände in Betracht (vgl etwa 2 Ob 162/72 = ZVR 1974/81 [Versperren eines Fahrstreifens durch schräg stehenden Pkw bei Dunkelheit, Schneetreiben und geringer Sichtweite]; 2 Ob 7/81 = ZVR 1982/231 [Blockieren der Gegenfahrbahn]).

 

In der Entscheidung 2 Ob 151/03z wurde die zweitinstanzliche Rechtsansicht gebilligt, wonach auch bei einem mit einer Geschwindigkeit von unter 10 km/h und mit 2 m seiner Breite auf einem Fahrstreifen einer Schnellstraße fahrenden Lkw-Zug eine außergewöhnliche Betriebsgefahr zu bejahen sei; auch in einem solchen Fall sei ein Fahrstreifen im Wesentlichen blockiert und es bestehe eine fast genauso große Geschwindigkeitsdifferenz zu nachfolgenden Fahrzeugen wie bei einem Stillstand (anders gelagert 2 Ob 151/89 [von 30 km/h aus beschleunigend in eine Autobahn einfahrender Lkw-Zug]). In 2 Ob 28/62 = SZ 35/16 reichte schon die schwere Manövrierbarkeit eines auf eisiger Fahrbahn im Schritttempo bergwärts fahrenden Lkw-Zugs zur Mithaftung gegenüber einer entgegenkommenden Fahrzeuglenkerin aus, die beim Ausweichen von der Fahrbahn abkam.

 

Ausgehend von den in diesen Entscheidungen zum Ausdruck gebrachten Wertungen ist nach Auffassung des erkennenden Senats im gegenständlichen Fall das Vorliegen einer - durch höhere Gewalt (Glatteis) ausgelösten - außergewöhnlichen Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zu bejahen. Dieses war bei Dunkelheit und auf eisiger Fahrbahn auf einer Steigung „hängen geblieben“, sodass es sich mehrere Minuten lang nur mit einer Geschwindigkeit von weniger als 6,5 km/h fortbewegen konnte. Dabei machte es für einen nachfolgenden Fahrzeuglenker keinen nennenswerten Unterschied, ob sich das Beklagtenfahrzeug zur Gänze im Stillstand oder in dieser langsamen Vorwärtsbewegung befand; in beiden Varianten wurde einer der beiden Fahrstreifen durch ein (nahezu) statisches Hindernis von beträchtlicher Masse und Größe zur Gänze blockiert. Trotz eingeschalteter Warnblinkanlage entstand dadurch eine besonders gefährliche Situation, zumal im Freilandgebiet grundsätzlich auch mit höheren Geschwindigkeiten gefahren werden durfte. Dass sich der verunglückte Pkw-Lenker dem für ihn erkennbaren Hindernis nicht mit der gebotenen Vorsicht näherte und sich die von ihm bei seinem Fahrstreifenwechsel gewählte Geschwindigkeit in Anbetracht der Fahrbahn- und wohl auch der Sichtverhältnisse als (relativ) überhöht erwies, begründet zwar sein Verschulden, ändert aber nichts an der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden außergewöhnlichen Betriebsgefahr.

 

Auch die Haftung wegen außergewöhnlicher Betriebsgefahr bezieht sich nur auf Schäden, die durch diese kausal herbeigeführt worden sind. Es muss eine Kausalitätskette zwischen außergewöhnlicher Betriebsgefahr, Unfall und Schaden bestehen.

 

Dies hat auch das Berufungsgericht an sich richtig erkannt; es hat aber die Kausalität der außergewöhnlichen Betriebsgefahr für den Schaden zu Unrecht verneint. Wie die Klägerinnen zutreffend betonen, wurde der Entschluss des Pkw-Lenkers zur Durchführung eines Überholmanövers durch die geringe Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs ausgelöst. Erst infolge des den Überholvorgang einleitenden Fahrstreifenwechsels wurde das Klagsfahrzeug instabil. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Pkw sei ohne Zusammenhang mit der Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs ins Schleudern geraten, trifft daher nicht zu. Dass es auch bei höherer Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs zu einem Unfall mit Todesfolge gekommen wäre, haben die beklagten Parteien nicht behauptet.