28.01.2013 Zivilrecht

OGH: Zur Reichweite der ärztlichen Aufklärungspflicht (hier: über prophylaktische Maßnahmen zu Operationsrisiken)

Die ärztliche Aufklärungspflicht hat auch einen Hinweis auf adäquate prophylaktische Behandlungsschritte zur Vermeidung oder zumindest größtmöglichen Hintanhaltung an sich typischer Operationsrisiken zu beinhalten, weil dem Patienten erst dadurch eine ausreichende Grundlage für seine eigenverantwortliche Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen er ein Operationsrisiko auf sich zu nehmen bereit ist, geboten wird


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Arzthaftung, Aufklärungspflicht, prophylaktische Maßnahmen zu Operationsrisiken
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 9 Ob 52/12f, 17.12.2012

 

OGH: Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Grundlage für eine Haftung des Arztes oder des Krankenhausträgers wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch den ärztlichen Eingriff eingegriffen wird. Der Patient muss in die jeweilige konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen. Voraussetzung für eine sachgerechte Entscheidung des Patienten ist eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt. Fehlt es daran, so ist die Behandlung grundsätzlich rechtswidrig, auch wenn der Eingriff selbst medizinisch indiziert und lege artis durchgeführt worden ist.

 

Der Arzt muss nicht stets von sich aus alle theoretisch in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten oder Operationsmöglichkeiten mit dem Patienten erörtern, er muss ihn aber, um ihm eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen, über mehrere zur Wahl stehende diagnostisch oder therapeutisch adäquate Verfahren informieren und das Für und Wider mit ihm abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risiken entstehen können und der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat; eine solche Verpflichtung besteht gerade bei einem Unterschied im Risiko, in den Folgen, va aber in der Erfolgssicherheit und der Schmerzbelastung.

 

Die ärztliche Aufklärungspflicht ist bei Vorliegen einer typischen Gefahr verschärft. Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist.

 

Die Pflicht des Arztes zur Aufklärung ist umso umfassender, je weniger der Eingriff dringlich erscheint. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig.

 

Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt bzw den Krankenhausträger die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zu der ärztlichen Maßnahme erteilt hätte, geht es doch darum, dass der Arzt bzw Krankenhausträger das Vorliegen eines die Rechtswidrigkeit des Eingriffs ausschließenden Rechtfertigungsgrundes zu behaupten und zu beweisen hat.

 

Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist eine Frage des Einzelfalls.

 

Zutreffend hat das Berufungsgericht dargelegt, dass angesichts der nach diesen Grundsätzen umfassend vorzunehmenden ärztlichen Aufklärungspflicht kein Zweifel bestehen kann, dass sie auch einen Hinweis auf adäquate prophylaktische Behandlungsschritte zur Vermeidung oder zumindest größtmöglichen Hintanhaltung an sich typischer Operationsrisiken zu beinhalten hat, weil dem Patienten erst dadurch eine ausreichende Grundlage für seine eigenverantwortliche Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen er ein Operationsrisiko auf sich zu nehmen bereit ist, geboten wird. Dass die Zustimmung eines Patienten zu einer Operation in Kenntnis des Operationsrisikos nicht dahin zu verstehen ist, dass er auf eine Aufklärung über das Operationsrisiko senkende Maßnahmen verzichtet hätte, geht schon daraus hervor, dass er idR gar keine Kenntnis von solchen Maßnahmen hat. Erst dann könnte er aber auf sie verzichten. Die Erwägungen der Revision dahin, dass der Kläger die Schädigung seiner Zähne jedenfalls - sohin auch bei leichter Vermeidbarkeit (Spange) - in Kauf genommen hätte, gehen damit ins Leere.