28.01.2013 Zivilrecht

OGH: § 879 Abs 3 ABGB und Erhaltungskosten in Einkaufszentren

Eine in Vertragsformblättern betreffend Bestandverträge über Objekte in einem Einkaufszentrum enthaltene Klausel, die eine unbeschränkte Überwälzung der Erhaltungspflicht und damit der Kosten für das gesamte EKZ auf den Bestandnehmer vorsieht, ist für diesen gröblich benachteiligend


Schlagworte: Bestandrecht, Erhaltungskosten in Einkaufszentren, unbeschränkte Überwälzung der Erhaltungspflicht, gröbliche Benachteiligung
Gesetze:

§ 879 ABGB, § 3 MRG, § 1096 ABGB

GZ 7 Ob 93/12w, 28.11.2012

 

OGH: Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass die Überwälzung unbestimmter Erhaltungsarbeiten auf den Mieter als Nebenbestimmung und nicht als Hauptleistung zu qualifizieren ist. Nichts anderes kann für einen Bestandgegenstand in einem EKZ für den Fall gelten, in dem der zu leistende Beitrag zu den Erhaltungsarbeiten weder absehbar noch der Höhe nach begrenzt ist.

 

Durch die Generalklausel im letzten Absatz des Punkts VIII.2 des Bestandvertrags, nach dem alle sonstigen Kosten des EKZ im weiteren Sinn, die - auch wenn diese nicht genannt wurden - mit der Bewirtschaftung des EKZ zusammenhängen, vom Bestandnehmer zu tragen sind, ist trotz der beispielhaften Aufzählung im Punkt VIII und des Ausschlusses der Kostentragungspflicht zugunsten des Bestandnehmers in Punkt XV.1 letzter Absatz des Vertrags eine solche grundsätzlich unbestimmte Überwälzung von Instandhaltungskosten vorgesehen. Die Generalklausel unterliegt daher grundsätzlich der Überprüfung nach § 879 Abs 3 ABGB. Der Umstand, dass die Vertragspartner Kaufleute sind, steht der Beurteilung als gröblich benachteiligend nicht entgegen. Allenfalls ist im Einzelfall eine besonders gravierende Ungleichgewichtslage in den durch den Vertrag festgelegten Rechtspositionen zu fordern. Auch der geschäftstüchtige Kaufmann kann in einer von § 879 Abs 3 ABGB verpönten Situation sein.

 

Eine in AGB oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beidseitigen Hauptleistungen festlegt, ist jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt (§ 879 Abs 3 ABGB). Durch diese Bestimmung wurde ein eine objektive Äquivalenzstörung und „verdünnte Willensfreiheit“ berücksichtigendes „bewegliches System“ geschaffen. Sie wendet sich va gegen den Missbrauch der Privatautonomie durch das Aufdrängen benachteiligender vertraglicher Nebenbestimmungen durch den typischerweise überlegenen Vertragspartner bei Verwendung von AGB und Vertragsformblättern. Das Motiv des Gesetzgebers, insbesondere auf AGB und Vertragsformblätter abzustellen, liegt in der zwischen den Verwendern und deren Vertragspartnern typischerweise anzutreffenden Ungleichgewichtslage. Der mit den AGB konfrontierte Vertragspartner ist in seiner Willensbildung eingeengt, muss er sich zumeist den AGB fügen oder in Kauf nehmen, dass ihm der Verwender den Vertragsabschluss verweigert. Ein Abweichen vom dispositiven Recht wird uU schon dann eine gröbliche Benachteiligung des Vertragspartners iSd § 879 Abs 3 ABGB sein können, wenn sich für die Abweichung keine sachliche Rechtfertigung ergibt. Sie ist jedenfalls schon dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition im auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht, wenn also keine sachlich berechtigte Abweichung von der für den Durchschnittsfall vorgesehenen Norm des nachgiebigen Rechts vorliegt. Bei der Beurteilung, ob eine gröbliche Benachteiligung bewirkt wird, hat sich der Rechtsanwender daher am dispositiven Recht als dem Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs zu orientieren. Bei der Angemessenheitskontrolle ist objektiv auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen.

 

Hervorzuheben ist, dass der vorliegende Vertrag zwischen zwei Unternehmen geschlossen ist, sodass auf Konsumentenschutzbestimmungen nicht Bedacht zu nehmen ist. Streitpunkt bildet nur die Frage der Überwälzbarkeit von Erhaltungskosten (Instandhaltungs- und Reparaturkosten).

 

Vermieter und Verpächter sind verpflichtet, das Bestandstück auf eigene Kosten in brauchbarem Zustand zu übergeben und zu erhalten (§ 1096 Abs 1 ABGB). Die Verpflichtung, das Bestandobjekt in brauchbarem Zustand zu übergeben und zu erhalten, umfasst auch die allgemeinen Teile des Hauses. Die Regelung der Bestandgeberpflichten ist nachgiebiges Recht, soweit nicht die Mietrechtsgesetzgebung anderes normiert. Die Vereinbarung, wonach der Bestandnehmer die Kosten der Instandsetzung und Instandhaltung des Bestandgegenstands übernimmt, ist damit grundsätzlich zulässig, sofern dem Bestandnehmer eine angemessene Gegenleistung gewährt wird. Auch in der Entscheidung 2 Ob 73/10i hat der OGH bekräftigt, dass eine generelle Überwälzung von Erhaltungspflichten auf den Mieter in AGB und Vertragsformblättern, ohne dafür ein entsprechendes Äquivalent zu gewähren, eine sachlich nicht gerechtfertigte Abweichung vom dispositiven Recht (§ 1096 ABGB) darstellt.

 

In der Lehre wird vertreten, dass die Überwälzung der Erhaltung des gesamten Mietgegenstands (mit allem Zubehör) gröblich benachteiligend sei. Auch der BGH hat ausgesprochen, dass ein Bestandnehmer unangemessen benachteiligt wird, soweit ihm anteilig die Erhaltungslast für das gesamte EKZ auferlegt wird.

 

Der erkennende Senat vertritt ebenfalls die Ansicht, dass eine in Vertragsformblättern betreffend Bestandverträge über Objekte in einem Einkaufszentrum enthaltene Klausel, die eine unbeschränkte Überwälzung der Erhaltungspflicht und damit der Kosten für das gesamte EKZ auf den Bestandnehmer vorsieht, für diesen gröblich benachteiligend ist. Der Bestandnehmer würde sich einer völlig unabschätzbaren künftigen Kostenlast (auch wenn sie durch Nachlässigkeiten des Bestandgebers verursacht wurde) aussetzen, während dem Bestandgeber der Bestandzins und die Befreiung von jeglichem Erhaltungsaufwand für sein gesamtes Eigentum zugute käme.

 

Im vorliegenden Verfahren wird der Bestandvertrag aber nicht in einem Verbandsprozess, in dem von der kundenfeindlichsten Auslegung jeder Klausel auszugehen ist, geprüft, sondern in einem Individualprozess, in dem der Vertrag im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung des Willens der Parteien auszulegen ist. Steht nicht fest, dass die Parteien die (unstrittigen) Bestimmungen in den Vertragspunkten VIII.2 und Punkt XV.1 letzter Absatz besprochen haben und ihnen übereinstimmend eine bestimmte Bedeutung beigemessen haben, können die Bestimmungen im Zusammenhalt von einem verständigen Erklärungsempfänger objektiv nur so verstanden werden, dass sich der Bestandgeber verpflichtet, in jedem Fall die Kosten für die Erhaltung der Außenfassade, des Verputzes, des Mauerwerks, der Außenfenster, des Daches und der Außenanlagen (Parkplätze, Zu- und Abfahrtsbereich, Anlieferungsbereich) seines Gebäudes selbst zu tragen. Dadurch wird die Generalklausel in Punkt VIII.2 letzter Absatz des Vertrags um die Erhaltung der „Außenhaut“ des Gebäudes und der Außenanlagen eingeschränkt. Darauf haben weder die Parteien noch die Vorinstanzen bisher Bedacht genommen. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren diese Erwägungen mit den Parteien zu erörtern haben, insbesondere auch, welchen Erklärungswert die Parteien dieser Bestimmung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses allenfalls beigemessen haben. Soweit ein übereinstimmender Wille vorliegt, legt er den Inhalt des Vertrags fest und geht dem objektiven Erklärungswert vor. Soweit ein übereinstimmender Wille nicht bestand, ist vom Gericht die Vereinbarung ausgehend vom dargelegten objektiven Erklärungswert zu beurteilen.

 

Es ist der Beklagten auch Gelegenheit zu geben vorzubringen, worin unter Berücksichtigung der Einschränkung der Erhaltungspflicht durch Punkt XV.1 des Vertrags ihre, selbst für eine Unternehmerin, gröbliche Benachteiligung liegen soll und inwiefern sie für die Übernahme der Erhaltungspflichten für „das Innere des EKZ“ iSd Rsp kein Äquivalent erhält. Weiters ist der Beklagten Gelegenheit zu geben, ihren ersten Zwischenfeststellungsantrag allenfalls entsprechend zu modifizieren. Da das Vorbringen der Parteien zur Zeit nicht absehbar ist, sind weitere Ausführungen zur Frage, in welchem Umfang die Überwälzung von Erhaltungskosten auf die Beklagte zulässig ist, noch nicht zielführend.

 

Sollte sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass auch unter Berücksichtigung der Einschränkung der Klausel VIII.2 durch Punkt XV.1 letzter Absatz eine teilweise Sittenwidrigkeit vorliege, so ist noch Folgendes zu beachten:

 

Eine Sittenwidrigkeit hat nicht die Unwirksamkeit des ganzen Vertrags zur Folge. Ist bei einer Vertragsbestimmung eine Nichtigkeit nach § 879 Abs 3 ABGB gegeben, führt dies nicht zu ihrem gänzlichen Wegfall. Es stellt sich im Individualprozess dann die Frage der geltungserhaltenden Reduktion. Die Klausel ist nämlich nur insoweit unzulässig, als die gröbliche Benachteiligung reicht. Ist die Klausel inhaltlich zum Teil nicht zu beanstanden und entspricht sie dem hypothetischen Parteiwillen, so bleibt sie insoweit bestehen.