04.02.2013 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob der Patient zum Kreis der Begünstigten aus einem Mietvertrag über Ordinationsräume zählt

Ein nur kurzfristiger Aufenthalt im Bestandobjekt reicht nicht aus, um die geforderte Nähe zur vertraglich geschuldeten Hauptleistung des Vermieters herzustellen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Bestandrecht, vertragliche Haftung des Vermieters, Schneeräumpflicht, Ordination, Arzt, Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter, Patient
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 881 ABGB, §§ 1090 ff ABGB, § 93 StVO

GZ 2 Ob 70/12a, 29.11.2012

 

Der Kläger kam am auf einer schneeglatten Stelle im Innenhof des Hauses ***** in St. Pölten zu Sturz. Er war auf dem Weg zu seinem Internisten, der im 2. Stock des Hauses in gemieteten Räumen eine Ordination betreibt. Eigentümerin des Hauses und Vermieterin ist die Beklagte.

 

Die Beklagte macht geltend, die Unterscheidung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung wäre aufgehoben, würde man die Patienten von Mietern in die vertragliche Haftpflicht des Vermieters einbeziehen. In diesem Fall wären etwa die Klienten von Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Notaren ebenso zu schützen wie die Kunden von Fußpflegern, Friseuren etc, was zu einer völlig unüberschaubaren Ausdehnung der Anspruchsberechtigten führen würde. Der Kläger sei auch deshalb nicht schutzbedürftig, weil er direkte Ansprüche gegen seinen Vertragspartner geltend machen könne. Schließlich fehle es an einem fahrlässigen Fehlverhalten der Hausbesorgerin. Es könne nicht verlangt werden, dass sie bei grundsätzlich trockenem Wetter ununterbrochen an Ort und Stelle aufhältig sei.

 

OGH: Zur vertraglichen Haftung:

 

In LuRsp ist heute allgemein anerkannt, dass Schutz- und Sorgfaltspflichten aus einem Vertragsverhältnis nicht nur zwischen den Vertragsparteien, sondern auch gegenüber bestimmten dritten Personen bestehen, die durch die Vertragserfüllung erkennbar in erhöhtem Maße gefährdet werden und der Interessensphäre eines Vertragspartners angehören. In diesem Fall erwirbt der Dritte unmittelbare vertragliche Ansprüche gegen den Schuldner, der dann auch gem § 1313a ABGB für das Verschulden jener Personen haftet, deren er sich zur Erfüllung bediente. Begünstigte Personen in diesem Sinne sind Dritte, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung beim Vertragsabschluss vorhersehbar war und die der Vertragspartner entweder erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigte oder an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat, oder denen er selbst offensichtlich rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist („Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter“). Der begünstigte Personenkreis ist aufgrund einer objektiven Auslegung des Vertrags zu bestimmen. In diesem Zusammenhang hat der OGH stets betont, dass zur Hintanhaltung einer uferlosen Ausweitung der Vertragshaftung der Kreis der geschützten Personen eng zu halten ist.

 

Bei einem Bestandvertrag besteht gem § 1096 Abs 1 Satz 1 ABGB die Hauptleistungspflicht des Bestandgebers darin, dem Bestandnehmer den bedungenen Gebrauch der Bestandsache zu gewähren und sie in brauchbarem Zustand zu erhalten. Die Instandhaltungspflicht des Vermieters umfasst nicht nur das eigentliche Bestandobjekt oder mitgemietete, außerhalb davon gelegene Räumlichkeiten oder Flächen, sondern auch die allgemeinen Teile des Hauses, die der Mieter nach Vertrag oder Verkehrsübung benützen darf.

 

Neben diesen Hauptleistungspflichten treffen den Vermieter als vertragliche Nebenpflichten gegenüber dem Mieter Schutz- und Sorgfaltspflichten, va, wenn es um Gefahrenquellen geht, die mit der Beschaffenheit des Bestandobjekts im Zusammenhang stehen. Der Vermieter hat dafür zu sorgen, dass der Mieter durch Gefahrenquellen, die mit dem Bestandobjekt, seiner Beschaffenheit bzw der Art des Gebrauchs zusammenhängen, nicht geschädigt wird. Dies umfasst jedenfalls die Verpflichtung des Vermieters, eine Schädigung des Mieters durch unterlassene Erhaltungs- und Betreuungsmaßnahmen - wozu in weiterem Sinn auch die Schneeräumung und Streupflicht gehören - an allgemeinen Teilen der Liegenschaft zu verhindern. Diese Säuberungs- und Streupflicht wird als vertragliche Nebenpflicht aus § 1096 ABGB abgeleitet. Die vertragliche Haftung des Vermieters erstreckt sich daher auf Unfälle des Mieters, die sich auf nicht ordnungsgemäß geräumten oder gestreuten allgemeinen Teilen des Hauses ereigneten, wie zB in Innenhöfen. Eine vertragliche Verkehrssicherungspflicht trifft den Vermieter auch insoweit, als er den Zugang zu einem vermieteten Objekt während der gesamten Bestandzeit in einem sicheren Zustand zu erhalten hat.

 

Der OGH vertritt seit der Entscheidung 2 Ob 335/97x in stRsp die Auffassung, dass sich die Nebenpflichten des Vermieters aus dem Bestandvertrag auch auf die zur Hausgemeinschaft des Mieters gehörenden Personen erstrecken, nicht aber auf Personen, die sich in den Mieträumen nur kurzfristig aufhalten, wie Gäste, Lieferanten und Handwerker oder bloße Besucher und zu Besuch weilende Angehörige des Mieters. Die gegenteilige Lehrmeinung von F. Bydlinski wurde ausdrücklich abgelehnt.

 

Diese Rsp wurde zuletzt in der Entscheidung 4 Ob 223/10p (obiter) in Frage gestellt. Die Auffassung, dass bloße Besucher von den Schutzwirkungen eines Mietvertrags nicht umfasst seien, stehe in einem „gewissen Spannungsverhältnis“ zum Grundsatz, wonach die Schutzwirkungen eines Vertrags im Allgemeinen solche dritte Personen erfassen, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung bei Vertragsabschluss vorhersehbar war und an denen der eigentliche Vertragspartner ein sichtbares eigenes Interesse hat oder gegenüber denen er offenkundig selbst zur Fürsorge verpflichtet ist. Das scheine auch bei (bloßen) Besuchern zuzutreffen.

 

In der Entscheidung 2 Ob 137/11b musste auf die vom 4. Senat geäußerten Zweifel nicht näher eingegangen werden, weil in dem zu beurteilenden Anlassfall die Eigenschaft des Geschädigten als „Besucher“ mit vertretbarer Begründung verneint worden war. Es könne - so der 2. Senat - daher auf sich beruhen, ob das Konstrukt des Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter immer weitere Personenkreise (für deren Rechtsschutz im Fall des Winterdienstes die gesetzlichen Regelungen gem § 1319a ABGB und § 93 StVO vorgesehen sind) erfassen soll.

 

Im Falle der Miete von Geschäftsräumlichkeiten sind nach der Rsp des OGH jedenfalls alle Arbeitnehmer geschützt, die dort ihren Dienst verrichten. Ob dies auch auf die Kunden, Klienten oder Patienten eines Geschäftsraummieters zutrifft, musste bisher noch nicht entschieden werden. Es wurde aber bereits angedeutet, dass die Kurzfristigkeit des Aufenthalts dieser Personen im Bestandobjekt dagegen sprechen könnte.

 

Die bisherige Rsp lässt sich somit jedenfalls dahin zusammenfassen, dass nur solche Dritte von den Schutzwirkungen eines Bestandvertrags erfasst sein sollen, die das Bestandobjekt in ähnlicher Intensität und Häufigkeit nutzen, wie der Mieter selbst. In ihr kommt ferner zum Ausdruck, dass ein nur kurzfristiger Aufenthalt im Bestandobjekt nicht ausreicht, um die geforderte Nähe zur vertraglich geschuldeten Hauptleistung des Vermieters herzustellen. Daran ist festzuhalten, ist doch zu bedenken, dass die Hauptleistung in der Gewährung des ungestörten Gebrauchs des Bestandobjekts zu Wohn- oder Geschäftszwecken liegt. Es entspricht dem Wesen des Bestandvertrags als Dauerschuldverhältnis, dass das Kriterium der Vertragsnähe nicht nur ein räumliches, sondern auch ein zeitliches Element enthält.

 

Die diesen Aspekt offenbar nicht berücksichtigenden Bedenken, die der 4. Senat in der Entscheidung 4 Ob 223/10p in den Raum gestellt hat, werden vom erkennenden Senat nicht geteilt. Da die obigen Erwägungen für Wohnungs- und Geschäftsraummiete gleichermaßen zu gelten haben, bedeutet dies, dass die Kunden, Klienten und Patienten von Geschäftsraummietern ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zur Interessensphäre des Mieters und dessen allfälligen Fürsorgepflicht den kurzfristigen Besuchern von Wohnungsmietern gleichzuhalten sind. Eine andere Beurteilung würde zu einer uferlosen Ausweitung der Vertragshaftung beitragen. Abhilfe ist nicht in der Erfindung immer neuer Anwendungsfälle des erwähnten Konstrukts, sondern in einer gesetzlichen Neuregelung der Gehilfenhaftung zu suchen.

 

Demnach kann auch der Kläger die vertragliche Haftung der Beklagten nicht in Anspruch nehmen.