25.03.2013 Zivilrecht

OGH: Verbandsklage iZm Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung 2010 (ARB) – Unzulässigkeit von fünf Klauseln

Ausführungen zu den einzelnen Klauseln


Schlagworte: Konsumentenschutzrecht, Versicherungsrecht, Rechtsschutz-Versicherung, Verbandsklage
Gesetze:

ARB 2010, §§ 158j ff VersVG, § 28 KSchG, § 879 ABGB, § 864a ABGB, § 6 KSchG, § 12 VersVG, § 33 VersVG, § 158n VersVG, § 158l VersVG, § 68 VersVG, § 68a VersVG

GZ 7 Ob 201/12b, 23.01.2013

Klausel 1:

„Art 3.3.:

Wird der Deckungsanspruch vom Versicherungsnehmer später als zwei Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrags für das betreffende Risiko geltend gemacht, besteht, unabhängig davon, wann der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Eintritt eines Versicherungsfalles erlangt, kein Versicherungsschutz.“

 

OGH: Die Vorinstanzen haben zutreffend ausgeführt, dass der OGH bereits zu 7 Ob 22/10a (zu einer Rechtsschutzversicherung) und 7 Ob 250/01t (zu einer Unfallversicherung) über vergleichbare Klauseln entschieden hat. Nach ständiger Rsp des OGH bedeutet eine kürzere Ausschlussfrist in Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) als die in § 12 VersVG normierte Verjährungsfrist grundsätzlich noch keine Gesetzwidrigkeit. Der richtige Ansatz für die Kontrolle von Risikoabgrenzungen durch Ausschlussfristen sind nicht Verjährungsvorschriften, sondern die Inhalts-, Geltungs- und Transparenzkontrolle. Wird eine Ausschlussfrist versäumt, so erlischt der Entschädigungsanspruch. Dieser Rechtsverlust tritt grundsätzlich auch dann ein, wenn die Geltendmachung des Rechts während der Laufzeit unverschuldet unterblieben ist. Die Berufung auf den Ablauf einer Ausschlussfrist kann gegen Treu und Glauben verstoßen, insbesondere dann, wenn der Versicherer ein Verhalten gesetzt hat, durch das der Versicherungsnehmer veranlasst wurde, seine Forderungen nicht fristgerecht geltend zu machen. Eine Ausschlussfrist ist nicht objektiv ungewöhnlich. Sie ist zur Risikoabgrenzung sowohl in Österreich als auch in Deutschland üblich. Eine Bedingung aber, die eine Ausschlussfrist regelt und allein auf einen objektiven fristauslösenden Zeitpunkt abstellt, ist iZm § 33 Abs 1 VersVG, wonach der Versicherungsnehmer den Eintritt des Versicherungsfalls, nachdem er von ihm Kenntnis erlangt hat, unverzüglich dem Versicherer anzuzeigen hat, ungewöhnlich, weil dadurch der Anspruch erlischt, auch wenn unverzüglich nach Kenntnis vom Versicherungsfall eine Schadensanzeige erstattet wurde. Hat der Versicherungsnehmer vor Ablauf der Ausschlussfrist keine wie immer gearteten Hinweise darauf, dass sich ein Versicherungsfall während der Vertragszeit ereignet haben könnte, so ist der Anspruchsverlust auch im Fall der unverzüglichen Meldung nach § 33 Abs 1 VersVG als objektiv und subjektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB zu beurteilen. Die Vertragsbestimmung ist insoweit nichtig.

 

 

Klausel 2:

„Art 6.1.:

Der Versicherer übernimmt die ab dem Zeitpunkt der Bestätigung des Versicherungsschutzes (Art 9) entstehenden Kosten gemäß Pkt 6, soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind.

 

Art 6.2.:

Kosten, die bis zu 6 Wochen vor diesem Zeitpunkt entstanden sind, sind vom Versicherungsschutz dann umfasst, wenn diese durch Maßnahmen des Gegners, eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde oder durch unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des Versicherungsnehmers ausgelöst worden sind.“

 

OGH: Der Versicherer hat binnen zweier Wochen ab Geltendmachung des Deckungsanspruchs dem Versicherungsnehmer in geschriebener Form den Versicherungsschutz grundsätzlich zu bestätigen oder abzulehnen; die Ablehnung ist zumindest mit der Anführung einer ihr derzeit zu Grunde gelegten Tatsache und gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmung zu begründen. Der Versicherer ist berechtigt, binnen dieser Frist deren Verlängerung um höchstens zwei weitere Wochen zu verlangen (§ 158n Abs 1 VersVG). Kann der Versicherer die rechtzeitige Erfüllung der in § 158n Abs 1 VersVG genannten Verpflichtungen nicht beweisen, so ist er jedenfalls zur Deckung all jener Kosten verpflichtet, die zwischen dem Zeitpunkt, in dem er zum Deckungsanspruch hätte Stellung nehmen müssen, und der verspäteten, im Übrigen jedoch dem § 158n Abs 1 VersVG entsprechenden Ablehnung des Deckungsanspruchs aufgelaufen sind. Dies gilt jedoch nicht für die Deckung solcher Kosten, die nach der vertraglichen Risikoumschreibung nicht vom Versicherungsschutz umfasst sind (§ 158n Abs 3 VersVG).

 

In Art 6 ARB wird auf Art 9 ARB verwiesen. Dieser enthält in dessen Z 1 - allerdings ohne den Hinweis auf die nötige Form der Ablehnung - zwar den Text von § 158n Abs 1 VersVG. Sowohl in Art 6 als auch in Art 9 ARB fehlt aber die Sanktion des § 158n Abs 3 VersVG. Der Hinweis der Beklagten, sie behandle geltend gemachte Deckungsansprüche umgehend, kann ihr nichts nützen, weil eben die Sanktion für jene Fälle, in denen sie dies nicht tut, fehlt. Nach den Klauseln steht es ihr frei, den Zeitpunkt der Bestätigung des Versicherungsschutzes selbst zu wählen und damit zu bestimmen, welche Kosten gedeckt werden. Dafür gibt es keine sachliche Rechtfertigung.

 

Im Übrigen ist noch Folgendes zu bedenken:

 

In dem der Entscheidung 7 Ob 41/04m zu Grunde liegenden Verfahren hatte der OGH eine Klausel zu beurteilen, nach der der Versicherer im Falle einer Leistungspflicht die ab dem Zeitpunkt der Geltendmachung des Deckungsanspruchs entstehenden Kosten, soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig seien, übernehme. Die Klausel wurde nicht als zeitliche Risikobeschränkung, sondern als verhüllte Obliegenheit beurteilt. Nach Sinn und Zweck der Klausel hat nämlich der Versicherer nur ein Interesse an einem bestimmten Verhalten des Versicherungsnehmers, und zwar ihn vom Versicherungsfall entsprechend rechtzeitig in Kenntnis zu setzen. Auch wenn sich der Wortlaut der Klausel (möglicherweise auch von den Verfassern bezweckt) wie eine Risikobeschränkung liest, wird darin dennoch inhaltlich für den Versicherungsnehmer nur eine Obliegenheit statuiert, den Versicherer von einem Versicherungsfall, für den Deckung gewährt werden soll, unverzüglich zu informieren und den Deckungsanspruch geltend zu machen. Wenn sich der Versicherer nicht innerhalb der vierzehntägigen Frist äußert, kann er etwa die Klagseinbringung entsprechend dem übermittelten Entwurf nicht als Obliegenheitsverletzung geltend machen.

 

Die Klausel, die sich auch hier wie eine Risikobeschränkung liest, aber nur eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers bestimmt, bei deren Verletzung der Kausalitätsgegenbeweis zulässig ist, ist auch intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG, weil der Versicherungsnehmer über seine Rechte im Unklaren ist.

 

 

Klausel 3:

„Art 9.5.

Verlangt der Versicherungsnehmer die Durchführung eines Schiedsgutachterverfahrens, so muss er innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt der (Teil-)Ablehnung des Versicherers unter gleichzeitiger Benennung eines Rechtsanwalts die Einleitung des Schiedsgutachterverfahrens schriftlich beantragen.“

 

OGH: Es ist der Revision zuzugeben, dass § 158l Abs 3 VersVG keine Frist für die Beantragung eines Schiedsgutachterverfahrens vorsieht, sondern nur auf die im Versicherungsvertrag vereinbarte Frist verweist. Die Rechtsansicht der Beklagten, dass in diesem Fall jede Frist zulässig sei, ist aber nicht zu teilen. Versäumt der Versicherungsnehmer die Frist, dann kann er das schiedsgutachterliche Verfahren nicht mehr in Anspruch nehmen. Die Frist muss damit - vergleichbar wie bei Verfallsklauseln - so bemessen werden, dass dem Verbraucher die Rechtsverfolgung im Schiedsgutachterverfahren nicht unnötig erschwert oder unmöglich gemacht wird.

 

Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, dass eine Frist von 14 Tagen für einen Verbraucher, der im täglichen Leben überwiegend nicht mit dieser Art von Rechtsfragen konfrontiert ist, zu kurz bemessen ist. Der Einwand, die Frist sei ohnehin paritätisch, überzeugt nicht. Die Position des Versicherers ist mit jener des Versicherungsnehmers nicht vergleichbar. Der Versicherer ist mit Rechtsfällen täglich konfrontiert und hat die geeignete Unternehmensstruktur geschaffen, um bei Bedarf umgehend ein Schiedsgutachterverfahren einzuleiten. Der durchschnittliche Verbraucher hingegen wird regelmäßig keinen Rechtsanwalt seines Vertrauens bei der Hand haben. Er bedarf einer umfassenden Beratung und braucht Zeit, um die Sach- und Rechtslage zu erwägen. Die von der Klausel vorgegebene kurze Frist behindert den Versicherungsnehmer unnötig, ohne dass dem ein (auch gar nicht behauptetes) berücksichtigungswürdiges Interesse des Versicherers gegenüber steht. Die Klausel benachteiligt den Verbraucher durch die kurze Frist gröblich nach § 879 Abs 3 ABGB.

 

 

Klausel 4:

„Art 15.2. …

Dem Versicherer gebührt die Prämie, die er hätte einheben können, wenn die Versicherung von vornherein nur bis zu diesem Zeitpunkt beantragt worden wäre, zu dem der Versicherer Kenntnis vom Risikowegfall erlangt. Der Versicherer ist berechtigt, die für die längere Vertragsdauer eingeräumten Prämiennachlässe (Dauerrabatt) nachzuverrechnen.“

 

OGH: Fällt das versicherte Interesse nach dem Beginn der Versicherung weg, so gebührt dem Versicherer die Prämie, die er hätte erheben können, wenn die Versicherung nur bis zu dem Zeitpunkt beantragt worden wäre, in welchem der Versicherer vom Wegfall des Interesses Kenntnis erlangt hat (§ 68 Abs 2 VersVG). Auf eine Vereinbarung, die zum Nachteil des Versicherungsnehmers von dieser Bestimmung abweicht, kann sich der Versicherer nicht berufen (§ 68a VersVG).

 

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 68 Abs 2 VersVG soll der Versicherer die Prämie erhalten, die er erzielt hätte, wenn der Versicherungsvertrag von vornherein nur für den Zeitraum vom Abschluss des Vertrags bis zur Kenntnis vom Wegfall des versicherten Risikos abgeschlossen worden wäre. Dies bedeutet, dass dem Versicherungsnehmer nur ein Prämiennachlass zugute kommen kann, der dem entspricht, den der Versicherer gewährt hätte, wäre von vornherein ein Versicherungsvertrag nur für die genannte kürzere Dauer abgeschlossen worden. Ergibt sich eine Differenz zwischen dem schon gewährten Nachlass und dem nach der tatsächlichen Vertragsdauer zustehenden zu Lasten des Versicherers, ist der Versicherer berechtigt, diese Differenz vom Versicherungsnehmer zurückzufordern.

 

Strittig ist im Revisionsverfahren nur mehr die Auslegung des Texts der Klausel. Der erste Satz entspricht § 68 Abs 2 VersVG. Es ist dem Berufungsgericht zuzustimmen, dass der zweite Satz die Aussage des ersten aber verändert. Bei kundenfeindlichster Auslegung ist die Beklagte nämlich mangels Einschränkung im zweiten Satz der Klausel entgegen dem Gesetzeswortlaut berechtigt, den gesamten bisher gewährten Prämiennachlass nachzuverrechnen, ohne dass es darauf ankäme, ob der tatsächlichen Vertragsdauer nicht auch ein Prämiennachlass (gleicher oder geringerer Höhe) entsprochen hätte. Dies ist - was die Beklagte gar nicht bestreitet - gröblich benachteiligend.

 

Der Hinweis der Beklagten auf Beil ./3 (Antrag auf Abschluss einer Rechtsschutzversicherung, in dem sich eine Tabelle über die Höhe von Nachlässen findet) kann schon deshalb zu keiner anderen Beurteilung führen, weil in der Klausel auf diese Tabelle nicht hingewiesen wurde. Abgesehen davon verlangt es schon das Transparenzgebot, dass die Klausel die Regelung der rückforderbaren Beträge entweder vollständig selbst wiedergibt oder zumindest einen leicht verständlichen Hinweis enthält, der die Auffindung einer entsprechenden Darstellung auch dem Durchschnittsverbraucher ermöglicht.

 

 

Klausel 5:

„Art 15.3.2.

Der Versicherer kann zum Schutz der versicherten Gemeinschaft vor überdurchschnittlicher oder ungerechtfertigter Inanspruchnahme der Versicherung kündigen, wenn

- er den Versicherungsschutz bestätigt oder eine Leistung erbracht hat,

...

 

- die Kündigung ist innerhalb eines Monats vorzunehmen

- nach Bestätigung des Versicherungsschutzes,

- nach Erbringung einer Versicherungsleistung,

...“

 

OGH: Der OGH hat sich zwischenzeitig mit der Rechtsfrage, ob das Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers nach §§ 96, 113 und 158 VersVG analog auch in der Rechtsschutzversicherung bestehe, auseinandergesetzt (7 Ob 212/11v, 7 Ob 215/11k). Danach handelt es sich bei der Rechtsschutzversicherung nicht um eine Sachversicherung, sondern mangels einer „versicherten Sache“ um eine passive Schadensversicherung. Da die ARB schon vor den Gesetzesnovellen ein imparitätisches Kündigungsrecht zu Lasten des Versicherungsnehmers vorsahen (und noch immer vorsehen), hätten sie eine korrigierende Reaktion des Gesetzgebers hervorrufen müssen, als die §§ 158j ff VersVG geschaffen wurden, hätte er ein paritätisches Kündigungsrecht aus der Sach- und der Haftpflichtversicherung auch für die Rechtsschutzversicherung übernehmen wollen. Die Schadensfallkündigung ist aber in der Rechtsschutzversicherung weiterhin nur in den ARB und nicht (auch) im VersVG geregelt. Eine analoge Anwendung des gesetzlich geregelten Kündigungsrechts im Schadensfall auf die Rechtsschutzversicherung kommt nicht in Betracht, sodass die Kündigungsrechte in der Rechtsschutzversicherung imparitätisch gestaltet werden können. Zu bedenken ist nämlich, dass in der Rechtsschutzversicherung einerseits die Konfliktmöglichkeiten zwischen den Parteien des Versicherungsvertrags wesentlich geringer sind, andererseits als Besonderheit zum Teil auf die sog Verstoßtheorie abgestellt wird. Es gilt in Teilen der Rechtsschutzversicherung, dass der Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten und Rechtsvorschriften ist. Würde man die Schadensfallkündigung dem Versicherungsnehmer unbeschränkt zugestehen (insbesondere auch im Rahmen des Beratungsrechtsschutzes), würde das wegen der leichten Einflussmöglichkeit des Versicherungsnehmers auf den Versicherungsfall zur jederzeitigen Auflösbarkeit des Versicherungsvertrags durch den Versicherungsnehmer führen. Ein derartiges Bedürfnis besteht im Hinblick auf § 8 VersVG nicht.

 

Auch wenn das Kündigungsrecht in der Rechtsschutzversicherung nicht vollständig paritätisch sein muss, bedeutet dies nicht, dass sich der Versicherer ein unbeschränktes Kündigungsrecht einräumen und damit den Versicherungsnehmer, der nur eingeschränkte Kündigungsmöglichkeiten hat, gröblich benachteiligen darf.

 

Zur Sachversicherung wurde ausgesprochen, dass der Kündigungsgrund nach dem Versicherungsfall überwiegend dem Interesse des Versicherungsnehmers dient, der ihn auch häufiger in Anspruch nimmt als der Versicherer. Durch die strittige Klausel soll aber der Versicherer begünstigt werden.

 

In der Lehre wird die Ansicht vertreten, dass § 158 VersVG Leitbildfunktion zukomme. Nach Kriegner ist die Einräumung eines unbeschränkten Kündigungsrechts an den Versicherer nach § 879 Abs 3 ABGB nichtig. Gruber meint, dass ein einseitiger Ausschluss oder eine wesentliche Einschränkung des Kündigungsrechts für den Versicherungsnehmer einer Inhaltskontrolle nicht stand halte. Fenyves vertritt die Ansicht, der Grundsatz der Parität des Kündigungsrechts nach Eintritt des Versicherungsfalls werde zumindest im Wege der Inhaltskontrolle auf die AVB ausstrahlen.

 

Zur vergleichbaren alten Rechtslage in Deutschland hat der BGH (IV ZR 130/90) ausgesprochen, dass unabhängig davon, ob man aus den §§ 96, 113, 158 VVG einen allgemeinen Grundgedanken des Versicherungsrechts ableiten wolle oder nicht, die Vereinbarung eines unbeschränkten Kündigungsrechts im Schadensfall für den Versicherer unwirksam sei, wenn nicht dem Versicherungsnehmer unter gleichen Bedingungen das gleiche Recht eingeräumt werde. Das verschuldensunabhängige Kündigungsrecht könne nicht wirksam in AVB zu Lasten des Versicherungsnehmers eingeschränkt werden. Es sei nicht zulässig, dass sich der Versicherer, wie es seinen Wünschen und Vorstellungen entspreche, ein Kündigungsrecht einräume. Dies halte der Inhaltskontrolle nicht stand und widerspreche auch dem Gebot von Treu und Glauben, weil es den Versicherungsnehmer unangemessen benachteilige. Prölss vertritt, dass AVB nichtig seien, wenn sie dem Versicherungsnehmer anlässlich des Schadensfalls nicht unter gleichen Bedingungen ein Kündigungsrecht einräumten wie dem Versicherer.

 

Nach den vorliegenden ARB kann der Versicherer den Versicherungsvertrag kündigen, wenn er den Versicherungsschutz bestätigt oder eine Leistung erbracht hat, der Versicherungsnehmer einen Anspruch arglistig oder mutwillig erhoben oder den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Der Versicherungsnehmer kann den Versicherungsvertrag kündigen, wenn der Versicherer die Bestätigung des Versicherungsschutzes verzögert oder die Ablehnung des Versicherungsschutzes verspätet, ohne Begründung, zu Unrecht, ohne Angabe von Gründen und/oder ohne Hinweis auf die Möglichkeit eines Schiedsgutachterverfahrens ausgesprochen hat.

 

Nach der Klausel steht der Beklagten de facto ein uneingeschränktes Kündigungsrecht im Schadensfall zu, weil der Zusatz, dass die Kündigung (nur) „zum Schutz der versicherten Gemeinschaft vor überdurchschnittlicher oder ungerechtfertigter Inanspruchnahme der Versicherung“ erfolgen werde, keine objektivierbaren Kriterien festlegt. Die Kündigung wird damit in das freie Ermessen der Beklagten gestellt. Sie räumt sich die Möglichkeit ein, Prämien während eines beliebig langen Zeitraums zu lukrieren und beim ersten Schadensfall den Versicherungsvertrag zu kündigen. Dass dies gröblich benachteiligend ist, liegt auf der Hand. Eine sachliche Rechtfertigung dafür ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn dem Versicherungsnehmer - wie hier - nur ein beschränktes Kündigungsrecht im Schadensfall zusteht.

 

Dem Versicherungsnehmer wird nämlich durch die ARB nur ein sehr eingeschränktes Kündigungsrecht eingeräumt. Gerade dann, wenn ein imparitätisches Kündigungsrecht zu Lasten des Versicherungsnehmers zulässig ist, müssen die Voraussetzungen für das Kündigungsrecht des Versicherers besonders genau präzisiert und objektivierbar sein, um beurteilen zu können, ob es iSd § 879 Abs 3 ABGB auch sachlich gerechtfertigt ist. Die Klausel ist nach § 879 Abs 3 ABGB nichtig.