13.05.2013 Zivilrecht

OGH: Scheinvaterregress – Höhe des Anspruchs, Anrechnung von Transferzahlungen, Verjährung und Zinsenanspruch

Ist der Aufwand des Scheinvaters höher als die Unterhaltspflicht, begründet er im übersteigenden Teil keinen Nutzen des wahren Vaters; ist der Aufwand geringer, wird dessen Unterhaltspflicht im Unterschreitungsbetrag nicht getilgt; die Familienbeihilfe ist grundsätzlich auf den Aufwand des Klägers anzurechnen


Schlagworte: Bereicherungsrecht, Familienrecht, Scheinvater, Regress, Aufwandersatz, Verjährung, Familienbeihilfe, Aufteilung, Zinsen, Naturalunterhalt
Gesetze:

§ 1042 ABGB, § 1478 ABGB, § 1480 ABGB, § 1000 ABGB, FLAG

GZ 4 Ob 46/13p, 17.04.2013

 

OGH: Erbringt ein vermeintlich selbst dazu Verpflichteter Unterhaltsleistungen, hat er nach Beseitigung des ihn als Vater feststellenden Rechtsakts oder der auf der Geburt in aufrechter Ehe gründenden Vaterschaftsvermutung gegen den in Wahrheit Unterhaltspflichtigen einen Ersatzanspruch nach § 1042 ABGB. Dabei hält der Senat an seiner in 4 Ob 201/07y vertretenen Auffassung fest, dass das Erheben der Klage nach § 1042 ABGB im Zweifel dahin zu verstehen ist, dass der Kläger seine Aufwendungen als Leistung auf die Unterhaltspflicht des Beklagten gelten lässt und so auf allenfalls bestehende Kondiktionsansprüche gegen das Kind (§ 1431 ABGB) verzichtet. Damit wird der wahre Unterhaltspflichtige im Umfang der Leistungen des Scheinvaters von seiner Schuld befreit, was jedenfalls einen Vorteil im bereicherungsrechtlichen Sinn begründet. Daher kann offen bleiben, ob der bereicherungsrechtlich relevante Nutzen des wahren Vaters schon darin liegt, dass er im Ausmaß der Leistungen des Scheinvaters seine eigene Unterhaltspflicht vorerst nicht erfüllen musste, sodass der wahre Vater und das Kind in Bezug auf die Rückforderung (unechte) Solidarschuldner sind und die Annahme eines Verzichts auf Ansprüche gegen das Kind nicht erforderlich ist.

 

Nach inzwischen stRsp beginnt die Verjährung des hier strittigen Anspruchs mit der erstmaligen Möglichkeit, ihn geltend zu machen. Das setzt die Rechtskraft jener Entscheidung voraus, die das Vaterschaftsanerkenntnis des Scheinvaters oder die auf der Geburt in aufrechter Ehe beruhende Vaterschaftsvermutung beseitigt. Innerhalb der folgenden drei Jahre kann der Scheinvater seinen gesamten Regressanspruch - also ohne Beschränkung in Bezug auf die Dauer seiner Leistungen - geltend machen. Die damit möglicherweise verbundenen Härten mögen Anlass zu rechtspolitischen Erwägungen geben (vgl § 1613 Abs 3 BGB); sie sind aber aufgrund der geltenden Rechtslage unvermeidbar.

 

Zur Höhe des Anspruchs

 

Der Anspruch des Klägers beruht nach der oben dargelegten Rsp darauf, dass der Beklagte durch Aufwendungen des Klägers, die als Leistungen auf die Unterhaltspflicht des Beklagten zu qualifizieren sind, von dieser Unterhaltspflicht befreit wurde. Die Höhe ergibt sich folgerichtig aus dem jeweils geringeren Wert: Ist der Aufwand des Scheinvaters höher als die Unterhaltspflicht, begründet er im übersteigenden Teil keinen Nutzen des wahren Vaters. Ist der Aufwand geringer, wird dessen Unterhaltspflicht im Unterschreitungsbetrag nicht getilgt.

 

Als Aufwand des Scheinvaters kommt bei getrennter Haushaltsführung in erster Linie seine Geldunterhaltsleistung in Betracht. Wurde das Kind hingegen im gemeinsamen Haushalt betreut, ist der vom Scheinvater tatsächlich geleistete Naturalunterhalt maßgebend. Soweit insofern konkrete Feststellungen möglich sind, besteht kein Anlass, auf Berechnungsmethoden in Zusammenhang mit der Bemessung einer Unterhaltsrente nach § 1327 ABGB zurückzugreifen. Wenn dort - neben den anteiligen Fixkosten - auch eine anteilige „Konsumquote“ zugesprochen wird, dient das offenkundig dazu, tatsächliche Leistungen des getöteten Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen, die bei gemeinsamer Haushaltsführung im Einzelnen nur schwer nachweisbar sind. Ist dieser Nachweis - wie hier - ohnehin möglich, sind solche Pauschalierungen nicht erforderlich.

 

Zur Berücksichtigung der Familienbeihilfe bei den Aufwendungen des Klägers

 

Anspruch auf Familienbeihilfe hat nach § 2 Abs 2 FLAG jene Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Nach § 2 Abs 5 FLAG gilt ein Kind bei beiden Elternteilen als haushaltszugehörig, wenn diese einen gemeinsamen Haushalt führen, dem das Kind angehört. In diesem Fall geht der Anspruch jenes Elternteils, der den Haushalt überwiegend führt, nach § 2a Abs 1 FLAG dem Anspruch des anderen Elternteils vor; bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass die Mutter den Haushalt überwiegend führt. Nach § 2a Abs 2 FLAG kann jener Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteils darauf verzichten.

 

Zweck der zuletzt genannten „Vorrangregel“ ist es indes nicht, dem das Kind betreuenden Elternteil eine Abgeltung für seine Betreuungsleistung zu gewähren. Vielmehr ist die Familienbeihilfe für das Kind zu verwenden und soll letztlich denjenigen entlasten, der die finanziellen Mittel für den Unterhalt des Kindes aufbringt. Denn die Familienbeihilfe hat den Charakter einer Betreuungshilfe. Sie dient nach § 1 FLAG der Herbeiführung eines Lastenausgleichs im Interesse der Familie und soll die Pflege und Erziehung des Kindes als Zuschuss erleichtern sowie die mit dessen Betreuung verbundenen Mehrbelastungen - zumindest zum Teil - ausgleichen. Dieser Regelungszweck und die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen haben bei getrennter Haushaltsführung zur Folge, dass der Bezug der Familienbeihilfe durch den betreuenden Elternteil zu einer entsprechenden Kürzung des Geldunterhaltsanspruchs führt. Soweit die Familienbeihilfe nicht dieser steuerlichen Entlastung dient, ist sie jedoch weiterhin nicht frei verfügbares Einkommen des sie beziehenden Elternteils, sondern ausschließlich für das Kind zu verwenden.

 

Das hat Auswirkungen für den vorliegenden Fall. Da die Familienbeihilfe der Deckung des Unterhalts dient, muss sie sich der Kläger grundsätzlich auf seine Aufwendungen anrechnen lassen. Dies entspricht der Entscheidung 6 Ob 672/85, wonach ein Ersatzanspruch des Scheinvaters nur insofern in Betracht kommt, als seine Aufwendungen die von ihm bezogene Familienbeihilfe übersteigen. Dass im vorliegenden Fall die damalige Ehefrau des Klägers die Familienbeihilfe bezogen hat, ist daher unerheblich. Denn sie war verpflichtet, die Beihilfe für das Kind zu verwenden oder sie ihrem Mann zu Deckung von dessen Aufwendungen zu überlassen. Wenn sie das - etwa wegen einer Verrechnung mit einem Unterhaltsanspruch nach § 94 ABGB - unterließ, kann das den Beklagten nicht belasten. Vielmehr ist die Familienbeihilfe grundsätzlich auf den Aufwand des Klägers anzurechnen.

 

Fraglich ist allerdings, in welchem Ausmaß das zu erfolgen hat, wie also die Familienbeihilfe (fiktiv) zwischen dem Kläger und seiner damaligen Ehefrau aufzuteilen ist. Das Berufungsgericht nimmt eine Aufteilung nach den Beiträgen der Ehegatten zum Familieneinkommen an. Dabei übersieht es jedoch, dass die Ehefrau des Klägers nach § 140 Abs 2 Satz 1 ABGB aF (nun § 231 Abs 2 Satz 1 ABGB) ihren Unterhaltsbeitrag schon durch die Betreuung des Kindes leistete; ein Fall des § 140 Abs 2 Satz 2 ABGB (nun § 231 Abs 2 Satz 2 ABGB) lag angesichts der Einkommensverhältnisse offenkundig nicht vor. Damit ist aber nicht erkennbar, weshalb ihr Einkommen für die hier erörterte Frage bedeutsam sein soll. Maßgebend ist vielmehr das Verhältnis zwischen den tatsächlichen Aufwendungen des Klägers auf der einen und jenen seiner Frau auf der anderen Seite. Entsprechend wird auch die Entlastungswirkung der Familienbeihilfe aufzuteilen sein.

 

Während das Erstgericht konkrete Feststellungen zu den Aufwendungen des Klägers getroffen hat, hat es die Aufwendungen von dessen Frau ohne weitere Präzisierung als „geringfügig“ bezeichnet. Im fortgesetzten Verfahren wird dies - gegebenenfalls unter Heranziehung von § 273 ZPO - zu konkretisieren sein. Geht der von der Ehefrau gemachte Aufwand bei einer Durchschnittsbetrachtung über bloße Bagatellbeträge hinaus, wird die Familienbeihilfe (fiktiv) im Verhältnis der Aufwendungen aufzuteilen sein, sonst hat sich der Kläger die Familienbeihilfe zur Gänze anrechnen zu lassen. Ob das dazu führt, dass sein danach verbleibender Aufwand unter die von ihm begehrten Beträge fällt, bleibt der Berechnung durch das Erstgericht überlassen.

 

In anderer Weise ist die Familienbeihilfe bei der durch die Aufwendungen des Klägers getilgten Unterhaltspflicht des Beklagten zu berücksichtigen.

 

Da der Beklagte nur durch die Tilgung eines sonst bestehenden Unterhaltsanspruchs bereichert sein kann, ist dieser Unterhaltsanspruch (fiktiv) zu ermitteln. Dabei vermindert sich der nach seiner Leistungsfähigkeit bemessene Unterhalt durch die Berücksichtigung der von der Mutter bezogenen Familienbeihilfe nach den von der Rsp entwickelten Grundsätzen, und zwar auch dann, wenn - wie hier - die Prozentkomponente aufgrund des Unterhaltsstopps bei überdurchschnittlichem Einkommen nicht voll ausgeschöpft wird. Obergrenze für den Regressanspruch des Klägers ist daher nicht der zwei- bzw zweieinhalbfache Regelbedarf, sondern ein jeweils darunter liegender Betrag, der sich aus der unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung des Familienbeihilfenbezugs durch die Mutter ergibt. Anders gewendet: Der Beklagte muss dem Kläger jedenfalls nicht mehr zahlen, als er seiner Tochter hätte zahlen müssen. Die konkrete Berechnung obliegt wieder dem Erstgericht.

 

Anders als vom Berufungsgericht angenommen, ist die Familienbeihilfe bereits ab der Geburt des Kindes unterhaltsmindernd zu berücksichtigen. In der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 10 Ob 55/03s hatte der OGH nur ausgeführt, dass die Aufhebung der Wortfolge „und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch“ in § 12a FLAG (VfGH G 7/02) für den vor der Kundmachung des Erkenntnisses liegenden Zeitraum keinen Eingriff in die Rechtskraft einer Unterhaltsbemessung rechtfertige. Für gerichtshängige Verfahren hatte er demgegenüber die Berücksichtigung der Familienbeihilfe auch für davor liegende Unterhaltsperioden bejaht (6 Ob 94/03x mwN). Damit besteht kein Anlass, die (auch) im vorliegenden Verfahren verfassungsrechtlich gebotene Berücksichtigung der Familienbeihilfe zeitlich zu beschränken.

 

Das Zinsenbegehren des Klägers besteht entgegen der von den Vorinstanzen vertretenen Auffassung dem Grunde nach zu Recht.

 

Der Kläger begehrt 4 % Zinsen jeweils ab Fälligkeit der monatlichen Unterhaltsansprüche des Kindes, von denen der Beklagte durch die Aufwendungen des Klägers befreit wurde. Das Berufungsgericht hat zwar die insofern abweisende Entscheidung des Erstgerichts aufgehoben, in seiner Begründung allerdings dessen Auffassung bestätigt, dass der Bereicherungsanspruch des Klägers erst mit der Feststellung von dessen Nichtvaterschaft entstand, die Fälligkeit der Forderung daher frühestens mit diesem Zeitpunkt eintreten konnte und Zinsen für die Zeit davon nur aus dem Titel des Schadenersatzes in Betracht kämen. Der Kläger hält dem im Rekurs ua entgegen, dass er jahrelang Mittel für das vermeintlich eheliche Kind aufgewendet habe, die er anders hätte anlegen können. Hingegen habe sich der Beklagte eben diesen Aufwand erspart und sei nicht nur durch diese Ersparnis, sondern auch durch deren Erträge bereichert.

 

Diese Erwägungen treffen im Kern zu. Nach stRsp hat auch der redliche Bereicherungsschuldner - außer bei Vorliegen einer Gegenleistung - die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines vom ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Verzugs herauszugeben. Entscheidend ist, dass auch bei Redlichkeit des Bereicherten die Nutzungsmöglichkeit des Kapitals inter partes dem Bereicherungsgläubiger zugeordnet ist. Es wäre daher nicht zu rechtfertigen, wenn der Schuldner den Nutzungsvorteil bis zum Einlangen eines Rückzahlungsbegehrens behalten könnte. § 1000 ABGB ist in diesem Zusammenhang ganz generell als Pauschalierung des gewöhnlichen Nutzungsentgelts für Geld („Zinsen“) zu verstehen. Dass im konkreten Fall nicht ein verwendeter Geldbetrag zu erstatten, sondern eine monatlich eingetretene Ersparnis herauszugeben ist, begründet keinen tragfähigen Unterschied. Denn diese Ersparnis wurde durch entsprechende Aufwendungen des Klägers ermöglicht; die Nutzungsmöglichkeit des Beklagten, der ein entsprechender Nutzungsentgang beim Kläger gegenübersteht, ist inter partes dem Kläger zugewiesen. Sie ist nach § 1000 ABGB mit 4 % zu pauschalieren.

 

Die so zu berechnenden Zinsen verjähren nach § 1480 ABGB. Die Verjährung kann aber auch hier nicht vor der objektiven Möglichkeit zur Geltendmachung beginnen. Die Verjährung der auf bereicherungsrechtlicher Grundlage gebührenden Zinsen folgt daher jener des Kapitals.