27.05.2013 Zivilrecht

OGH: Explodierende Mineralwasserflasche – Verletzung der Produktbeobachtungspflicht?

Die Produktbeobachtungspflicht kann nicht aus dem PHG abgeleitet werden; die Produkthaftung iSd PHG gilt grundsätzlich für Produktfehler bis zum Inverkehrbringen des Produkts, die Produktbeobachtungspflicht für den Zeitraum danach; bei Serienprodukten kann sich die Verletzung der Produktbeobachtungspflicht zu einem Verstoß gegen das PHG verwandeln; der Umfang der Produktbeobachtungspflicht richtet sich nach Art und Größe der möglicherweise eintretenden Gefahren, welche maßgeblich von den Eigenheiten des Produkts bestimmt werden; des Weiteren ist auf Möglichkeit und wirtschaftliche Zumutbarkeit von Beobachtungsmaßnahmen Rücksicht zu nehmen und auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu achten


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Produkthaftungsrecht, Produktbeobachtungspflicht
Gesetze:

§ 5 PHG, §§ 1295 ff ABGB, § 1 PHG

GZ 6 Ob 215/11b, 13.09.2012

 

Der damals vierjährige Kläger versuchte, eine von einem österreichischen Betrieb abgefüllte, zuvor bereits geöffnete Glasflasche, die mit Kohlensäure versetztes Tafelwasser enthielt, auf einen Schrank zu stellen, dessen Oberkante sich etwa in Augenhöhe des Klägers befand. Als er mit der Flasche (unbeabsichtigt) stark bzw kräftig an den Schrank stieß, zerbarst die Flasche explosionsartig, wodurch insbesondere kleinere Glasscherben bzw -splitter auf erhebliche Geschwindigkeit beschleunigt wurden. Ein oder mehrere Splitter bzw Scherben verletzten den Kläger am rechten Auge schwer.

 

Die Vorinstanzen wiesen das auf Schadenersatz und gegen den Abfüller gerichtete Klagebegehren ab. Jeder Benutzer von Glasflaschen wisse, dass diese zerbrechlich seien, wobei auch jeder Verbraucher von kohlesäurehaltigem Tafelwasser wisse, dass derartige Flaschen unter Druck stünden.

 

OGH: Dem Abfüller war bereits vor dem gegenständlichen Vorfall bekannt gewesen, dass unter Druck stehende Wasserflaschen explosionsartig zerbersten können, wenn sie an einen harten Gegenstand angeschlagen werden. Da ein explosionsartiges Zerbersten einer Tafelwasserflasche auch in einer solchen Situation nicht den berechtigten Sicherheitserwartungen entspricht, hat der Abfüller die ihm obliegende Produktbeobachtungspflicht verletzt.

 

Das Zerbersten der Flaschen birgt unweigerlich die große Gefahr in sich, dass dadurch Personen in ihrer körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt werden; ein Umstand, der durch zahlreiche Gerichtsverfahren in Österreich und Deutschland dokumentiert ist und bei entsprechender Produktbeobachtung leicht festzustellen gewesen wäre.

 

Der Abfüller wäre verpflichtet gewesen, aus den gewonnenen Erkenntnissen für die weitere Produktion der Flaschenserie Konsequenzen zu ziehen, also etwa die Konstruktion umzustellen (und alte Flaschen nicht mehr neu zu befüllen), seinen Fertigungsprozess zu ändern oder jedenfalls die Instruktion der Benutzer zu verbessern (also Warnhinweise anzubringen).