03.06.2013 Zivilrecht

OGH: Haftet die Republik Österreich für Studienverzögerungen?

Ist für bestimmte Lehrveranstaltungen die Teilnehmerzahl beschränkt, so sind von der Universität ausreichende Parallellehrveranstaltungen anzubieten; die Republik Österreich ist verpflichtet, den Universitäten jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen; der Hinweis auf fehlende finanzielle und personelle Mittel entschuldigt nicht


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Amtshaftung, Verschulden, Studienverzögerungen, Parallellehrveranstaltungen
Gesetze:

§ 1 AHG, §§ 1295 ff ABGB, § 49 Abs 2 UG 2002, § 54 Abs 8 UG 2002

GZ 1 Ob 251/12m, 11.04.2013

 

Der Kläger studierte Medizin an einer österreichischen Universität. Da bei verpflichtenden Lehrveranstaltungen die Teilnehmerzahl beschränkt war und der Kläger aufgrund seines bisherigen Studienerfolgs nicht gut genug gereiht wurde, konnte er bestimmte Lehrveranstaltungsmodule nicht wie geplant absolvieren. Von der Universität wurden weder Parallel- noch Ersatzlehrveranstaltungen angeboten. Der Kläger konnte sein Studium daher nicht schon vor den Sommerferien, sondern frühestens im November abschließen. Er begehrte die Feststellung der Haftung der Republik Österreich für alle daraus resultierenden künftigen Schäden.

 

OGH: Der erkennende Senat geht - ebenso wie im Aufhebungsbeschluss des ersten Rechtsgangs - vom Bestehen eines Feststellungsinteresses aus, hat sich doch der Kläger von vornherein immer auch darauf berufen, er befürchte ua Vermögensnachteile durch den verspäteten Eintritt in das Berufsleben.

 

Nachdem bereits im ersten Rechtsgang die Rechtswidrigkeit der Unterlassungen der Nebenintervenientin festgestellt worden war (1 Ob 93/10y), geht es nur noch um die Frage, ob ihre Rechtsauffassung zutrifft, ihr sei kein Verschulden vorzuwerfen, weil rechtskonformes Verhalten unmöglich oder zumindest unzumutbar gewesen wäre.

 

Die Vorinstanzen haben in diesem Zusammenhang nicht ausreichend beachtet, dass sich das Feststellungsbegehren des Klägers allein auf die (regulär) zu Beginn des Wintersemesters 2005/2006 angebotenen Lehrveranstaltungen der Module 7 und 8 bezieht, wobei bereits feststeht, dass die Nichtaufnahme in diese Lehrveranstaltungen bzw das unterlassene Anbieten zeitlich entsprechend gelagerter „Parallellehrveranstaltungen“ Ursache für eine (nicht mehr einholbare) Studienverzögerung war. Weder aus den im Verfahren erhobenen Einwendungen der Beklagten und der Nebenintervenientin noch aus den Feststellungen der Vorinstanzen lässt sich aber ableiten, dass auch im Hinblick auf die Module 7 und 8 kein ausreichendes Personal für „Parallellehrveranstaltungen“ rekrutierbar gewesen wäre. Allfällige Schwierigkeiten, für die Module 10 bis 12 zusätzliches Lehrpersonal zu finden, vermögen die Nebenintervenientin somit schon grundsätzlich nicht hinsichtlich ihrer Versäumnisse bei den Modulen 7 und 8 zu entschuldigen.

 

Sollten die Einwendungen der Beklagten als Bestreiten der Kausalität des Fehlverhaltens der Nebenintervenientin im Hinblick auf die Module 7 und 8 zu verstehen sein, weil es auch bei pflichtgemäßem Verhalten später zu einer Studienverzögerung gleichen Ausmaßes gekommen wäre, könnte dem aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden. Auf rechtmäßiges Alternativverhalten könnte sich die Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil auch das fehlende Anbot von Parallellehrveranstaltungen zu den Modulen 10 bis 12 aus demselben Grund rechtswidrig war bzw gewesen wäre. Im Fall des Einwands rechtmäßigen Alternativverhaltens ist dem hypothetischen Kausalverlauf aber ein sonst gesetzeskonformes Verhalten des Schädigers zugrunde zu legen.

 

Mangelnde finanzielle Mittel - und auch allgemeiner Personalmangel - der Universität zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen im Rahmen des Lehrbetriebs könnten die Beklagte grundsätzlich schon deshalb nicht entschuldigen, weil sie als zuständiger - und auch im Rahmen der Amtshaftung verantwortlicher - Rechtsträger dazu verpflichtet war, den Universitäten jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen (auch bei einem Ansteigen der Studierendenzahlen) zu erfüllen. Die Vollziehung des Studienrechts ist auch nach der Vollrechtsfähigkeit der Universitäten weiterhin eine hoheitliche Aufgabe iSd § 49 Abs 2 UG 2002. Im Falle von Verletzungen von Bestimmungen des Studienrechts hat daher grundsätzlich die Amtshaftung des zuständigen Rechtsträgers Bund einzutreten. Es wäre sinnwidrig, wenn dieser Rechtsträger sich darauf berufen könnte, den Organen der Universität sei wegen fehlender finanzieller Mittel kein Verschuldensvorwurf zu machen, wenn dieser Mangel darauf zurückgeht, dass der betreffende Rechtsträger die Universität unzureichend finanziell ausgestattet hat. Ebenso wenig kommt eine Berufung auf mangelndes Verschulden von Universitätsorganen in Betracht, wenn - wie die Nebenintervenientin dies behauptet hat - Organe der Beklagten die zum damaligen Zeitpunkt gesetzwidrige Beschränkung auf eine bestimmte Studierendenzahl genehmigt haben, was auch die Beklagte selbst mit ihrem Vorbringen, eine „Platzzahl“ von 360 Medizinstudenten (davon 24 Studierende der Zahnmedizin) sei „seitens des Ministeriums anerkannt“ worden, wohl zugesteht.

 

Vor allem aber hat die Beklagte fehlendes Verschulden der Universitätsorgane an der Rekrutierung zusätzlichen Lehrpersonals (für die Module 10 bis 12) gar nicht ausreichend behauptet. Wie sich aus dem Vorbringen der Beklagten und der Nebenintervenientin klar ergibt, wurde allein die Heranziehung bereits an österreichischen Universitäten tätigen Lehrpersonals erwogen, was allerdings wegen der Belastung der in Betracht kommenden Personen als aussichtslos angesehen worden sei. Warum die Universitätsorgane nicht versucht haben, (deutschsprachige) Lehrende anderer europäischer Universitäten zu gewinnen oder geeignete Habilitierte außerhalb der Hochschulen anzusprechen, wurde nicht dargelegt. In diesem Zusammenhang kann auch auf die Zeugenaussage des Vizerektors verwiesen werden, der erklärte, man habe sich für die Bereiche Pathologie und Pharmakologie gar nicht auf die Suche nach potenziellen Lehrenden gemacht, weil es dafür (gemeint: in Österreich) keinen großen Markt gegeben habe. Dass es - bei entsprechendem Honorarangebot - nicht möglich gewesen wäre, andere Lehrende zu gewinnen als das Fachpersonal der österreichischen Medizinischen Universitäten, hat die Beklagte nicht behauptet; Derartiges wurde auch nicht festgestellt.