23.09.2013 Zivilrecht

OGH: Obsorgezuweisung neu – § 180 ABGB idF KindNamRÄG 2013

Auch wenn das Gesetz keine näheren Kriterien dafür aufstellt, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, kommt es doch darauf an, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern dem Wohl des Kindes besser entspricht; eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraus; um Entscheidungen gemeinsam iSd Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen


Schlagworte: Familienrecht, Obsorge bei Auflösung der Ehe und der häuslichen Gemeinschaft, Änderung der Obsorge, Obsorgezuweisung
Gesetze:

§ 179 ABGB, § 180 ABGB

GZ 4 Ob 32/13d, 23.05.2013

 

OGH: Nach der bis 31. Jänner 2013 geltenden Rechtslage (§ 1503 Abs 1 ABGB) war das Aufrechterhalten der Obsorge beider Eltern nach deren Trennung gegen den Willen eines Elternteils ausgeschlossen. Ein auf die Aufhebung dieser Obsorge gerichteter Antrag bedurfte keiner Begründung. Die Entscheidung, welcher Elternteil mit der alleinigen Obsorge zu betrauen war, hing allein vom Kindeswohl ab.

 

Diese Rechtslage wurde durch das KindNamRÄG 2013 grundlegend geändert. Nunmehr bleibt nach § 179 Abs 1 ABGB bei Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Eltern deren zuvor gemeinsam ausgeübte Obsorge aufrecht, sie haben aber nach § 179 Abs 2 ABGB vor Gericht eine Vereinbarung darüber zu schließen, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. Kommt es binnen angemessener Frist zu keiner solchen Vereinbarung, so hat das Gericht nach § 180 Abs 1 Satz 1 Z 1 ABGB von Amts wegen über eine allfällige Änderung der Obsorge zu entscheiden oder bei aufrecht bleibender Betrauung beider Elternteile mit der Obsorge jenen Elternteil zu bestimmen, in dessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut werden soll. Dies gilt im Hinblick auf § 180 Abs 1 Satz 1 Z 2 ABGB auch für jene Fälle, in denen ein Elternteil gegen den Willen des anderen die Betrauung mit der Alleinobsorge anstrebt oder beide Elternteile jeweils allein obsorgeberechtigt sein wollen.

 

Das Rekursgericht hat schon zur neuen Rechtslage Stellung genommen und auch auf dieser Grundlage die Alleinobsorge der Mutter als dem Kindeswohl am ehesten entsprechend angesehen. Seine Ausführungen treffen abstrakt gesehen zu: Auch wenn das Gesetz keine näheren Kriterien dafür aufstellt, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, kommt es doch darauf an, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern dem Wohl des Kindes besser entspricht. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider voraus. Um Entscheidungen gemeinsam iSd Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Daher ist von entscheidender Bedeutung, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder zumindest in absehbarer Zeit (wieder) hergestellt werden kann.

 

Im konkreten Fall steht zwar fest, das das Verhältnis zwischen den Eltern derzeit belastet ist. Das kann aber auch daran liegen, dass das erstgerichtliche Verfahren zwangsläufig zu einer Polarisierung führte, weil es für die Entscheidung des Gerichts nur die Alternative einer Zuweisung der alleinigen Obsorge an den Vater oder die Mutter gab. Dabei konnte die Mutter auf die gängige Praxis vertrauen, dass die Beziehungs- und Betreuungskontinuität zumal bei einem Kleinkind für sie sprechen würde, während der Vater gravierende Mängel dieser Betreuung aufzeigen musste, um eine alleinige Betrauung mit der Obsorge zu erwirken. Beides konnte zu Verhaltensweisen im und außerhalb des Verfahrens führen, die nicht nur die Beziehung zwischen den Eltern belasteten, sondern va auch dem Kindeswohl abträglich waren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Eltern ihre diesbezügliche Haltung aufgrund der geänderten Rechtslage überdenken. Die Möglichkeit einer solchen dem Kindeswohl dienenden Entwicklung ist auch im Revisionsrekursverfahren zu berücksichtigen. Weiters fehlen Feststellung zur für die Beurteilung nach neuem Recht maßgebenden Frage, ob und gegebenenfalls durch welche Maßnahmen eine Gesprächsbasis zwischen den Eltern wiederhergestellt werden könnte.

 

Diese Erwägungen führen zur Aufhebung in die erste Instanz. Das Erstgericht wird mit den Eltern die neue Rechtslage zu erörtern und die Möglichkeiten und Voraussetzungen für eine Verbesserung der für eine gemeinsame Obsorge erforderlichen Gesprächsbasis zu prüfen haben. Ob dafür eine weitere Einvernahme der Eltern genügt, eine ergänzende Begutachtung erforderlich ist oder Aufträge nach § 107 Abs 3 Z 2 oder 3 AußStrG zu erteilen sind, obliegt der am konkreten Kindeswohl orientierten Beurteilung der Vorinstanzen. Gleiches gilt für die Frage, ob eine Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung anzuordnen ist.