14.10.2013 Zivilrecht

OGH: Sturz einer Segway-Fahrerin durch ausfahrenden Poller

Grundsätzlich ist das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt iSd § 1319 ABGB nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen; wenn das Fahren mit einem „Segway“ ein erhöhtes Gefahrenpotential in sich birgt, muss der Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten besonders achtsam wählen; dieser „erhöhte Unsicherheitsfaktor“ löst aber keine weitergehende Verkehrssicherungspflicht der Beklagten aus


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Bauwerkehaftung, ausfahrender Poller, Segway, erhöhtes Gefahrenpotential, Sturz, Verkehrssicherungspflicht
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1319 ABGB

GZ 1 Ob 142/13h, 29.08.2013

 

OGH: Die Klägerin geht ebenso wie die Vorinstanzen davon aus, dass der hier zu beurteilende, am Anfang der Fußgängerzone aufgestellte versenkbare Poller ein Werk iSd § 1319 ABGB ist (so auch 2 Ob 60/11d für einen sog Pilomat auf einer Privatstraße, der die Benutzung der Verkehrsfläche behindert und nicht fördert). § 1319 ABGB ist ein speziell geregelter Tatbestand der heute allgemein anerkannten Verkehrssicherungspflichten. Im Unterschied zu letzteren, bei denen der Geschädigte ihre Verletzung nach allgemeinen deliktischen Grundsätzen behaupten und beweisen muss, reicht für eine Haftung nach § 1319 ABGB die Feststellung, dass der Einsturz oder die Ablösung auf die mangelhafte Beschaffenheit des Gebäudes (Werks) zurückzuführen ist. Grundsätzlich ist das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt iSd § 1319 ABGB nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Vom Eigentümer des Bauwerks werden nach stRsp nur solche Sicherheitsvorkehrungen verlangt, die vernünftigerweise nach der Auffassung des Verkehrs zu erwarten sind.

 

Jedenfalls gut vertretbar ist, dass die Vorkehrungen im Hinblick auf die festgestellte Beschilderung ausreichend iSd § 1319 ABGB waren. Die Klägerin gestand schon in ihrer Klageschrift zu, dass sie die Stopptafel bemerkte. Sie blieb vor der Polleranlage wegen der Durchfahrt des Fiakers stehen und hatte genügend Zeit, den deutlichen Warnhinweis auf den versenkbaren Poller zu studieren, hatte sie doch aus ihrer Sichtposition direkten Blickkontakt zur Beschilderung. In der Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, dass die Klägerin die eindringliche Warnung durch Verkehrszeichen und akustische sowie optische Signale nicht wahrnehmen oder nicht beachten würde, damit liege keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor, sondern der Unfall sei auf die mangelnde Sorgfalt der Klägerin zurückzuführen, liegt keine im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmende Verkennung der Rechtslage. Wenn das Fahren mit einem „Segway“ - wie die Klägerin argumentiert - ein erhöhtes Gefahrenpotential in sich birgt, muss der Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten besonders achtsam wählen. Dieser „erhöhte Unsicherheitsfaktor“ löst aber keine weitergehende Verkehrssicherungspflicht der Beklagten aus.

 

Mangels Verstoßes der Beklagten gegen die Verkehrssicherungspflicht kommt es nicht mehr darauf an, ob die Klägerin in der konkreten Unfallsituation noch die Chance gehabt hätte, unfallvermeidend zu reagieren. Sie zeigt nicht auf, inwiefern das Verhalten des Fiakerfahrers, der mittels Fernbedienung das Herausfahren des Pollers bewirkte, der Beklagten zuzurechnen sein sollte. Dass die Beklagte nachträglich ein Gefahrenzeichen anbrachte und darauf der Poller graphisch dargestellt ist, dient der Verkehrssicherheit, zeigt aber nicht auf, dass die Beklagte im Unfallszeitpunkt ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht ausreichend nachgekommen wäre. Dass der Poller zu schnell in die Höhe gefahren wäre, ist eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO).