10.01.2014 Zivilrecht

OGH: Zur Frage des Beginns des Laufs der Fallfrist des § 95 EheG

Entscheidet sich erst mit Ablauf der Berufungsfrist, ob ein erfolgreicher Scheidungskläger von der Möglichkeit, gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel zu ergreifen, Gebrauch macht, kann die formelle Rechtskraft des Scheidungsausspruchs auch erst mit dem Ablauf der Berufungsfrist eintreten, auch wenn ein Rechtsmittel schließlich nicht - oder nur in anderer Richtung - erhoben wird


Schlagworte: Familienrecht, Eherecht, Scheidung, Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, Erlöschen des Aufteilungsanspruchs, Rechtskraft
Gesetze:

§ 95 EheG, §§ 81 ff EheG, § 411 ZPO, § 483a ZPO

GZ 1 Ob 207/13t, 21.11.2013

 

OGH: Nach § 95 EheG erlischt der Anspruch auf Vermögensaufteilung, wenn er nicht binnen einem Jahr nach Eintritt der Rechtskraft der Scheidung geltend gemacht wird. Unter Rechtskraft ist dabei die formelle Rechtskraft nach § 411 ZPO zu verstehen. Entscheidend ist also, ab welchem Zeitpunkt der Scheidungsausspruch selbst für die Parteien unabänderlich war, wogegen es nach der stRsp nicht darauf ankommt, ob die (endgültige) Entscheidung über die Verschuldensfrage noch aussteht, sofern beide Parteien den auf einen bestimmten Tatbestand gestützten Scheidungsausspruch selbst nicht bekämpfen.

 

Zutreffend hat nun das Rekursgericht auf § 483a ZPO hingewiesen, in dem der Gedanke des favor matrimonii zum Ausdruck kommt. Die Judikatur zieht daraus - in weitgehendem Einklang mit der Lehre -, den Schluss, dass auch die im Ehescheidungsverfahren voll obsiegende Partei die Möglichkeit hat, gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel zu ergreifen, weil sie bis zur Rechtskraft des Urteils die Klage zurücknehmen und so die Ehe aufrecht erhalten kann. Der Rechtsauffassung des Revisionsrekurswerbers, der Klägerin habe es an der für die Zulässigkeit einer Berufung gegen das Scheidungsurteil erforderlichen Beschwer gefehlt, steht somit die dargestellte Rsp entgegen. Entscheidet sich nun aber erst mit Ablauf der Berufungsfrist, ob ein erfolgreicher Scheidungskläger von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, kann die formelle Rechtskraft des Scheidungsausspruchs auch erst mit dem Ablauf der Berufungsfrist eintreten, auch wenn ein Rechtsmittel schließlich nicht - oder nur in anderer Richtung - erhoben wird.

 

Wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang weiter ausführt, Rechtskraft des Scheidungsausspruchs sei schon aufgrund der vom Antragsgegner eingebrachte Widerklage eingetreten, welche die Antragstellerin nicht zurückziehen könne, übersieht er, dass die Antragstellerin ja die Möglichkeit gehabt hätte, die Entscheidung über die Widerklage anzufechten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich bei der einheitlichen Urteilsfällung über Klage und Widerklage durch den Ausspruch, die Ehe werde (aus dem gleichteiligen Verschulden beider Ehegatten) geschieden, um eine Entscheidung handelt, die nicht jeden der beiden Scheidungsbegehren teilweise zugeordnet werden kann, muss eine Anfechtung des gesamten Ausspruchs jedenfalls zulässig sein, wenn dem erfolgreichen Kläger sogar bei Unterbleiben einer Widerklage ein Rechtsmittel gegen ein seinem Begehren zur Gänze Rechnung tragendes Urteil zusteht.

 

Da das Rekursgericht somit zutreffend davon ausgegangen ist, dass der Scheidungsausspruch erst mit Erhebung der Berufung der Antragstellerin - innerhalb der durch den Verfahrenshilfeantrag gem § 464 Abs 3 ZPO verlängerten Berufungsfrist - formell rechtskräftig wurde, war der am 18. 1. 2013 gerichtlich geltend gemachte Aufteilungsanspruch noch nicht erloschen.

 

Soweit der Revisionsrekurswerber „vorsorglich“ noch auf die Frage der Fristwahrung durch den innerhalb der ursprünglichen Berufungsfrist im Scheidungsverfahren gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts) zurückkommt, ist seinen Ausführungen - unter Zugrundelegung der erstgerichtlichen Feststellungen - nicht zu entnehmen, dass die Antragstellerin durch Versäumnisse im Verfahrenshilfeverfahren letztlich die Berufungsfrist versäumt haben könnte. Auch wenn sie allenfalls iZm der aufgetragenen Verbesserung einen Originalantrag nicht wieder vorgelegt haben sollte, konnte ihr dies schon deshalb nicht schaden, weil das Gericht ersichtlich durchaus in der Lage war, über ihr Verfahrenshilfebegehren inhaltlich abzusprechen. Es hat den Verfahrenshilfeantrag auch nicht aus formellen Gründen zurückgewiesen, sondern vielmehr inhaltlich behandelt und als nicht berechtigt erkannt. Letztlich behauptet der Revisionsrekurswerber auch nicht, die Antragstellerin hätte ihren Verfahrenshilfeantrag missbräuchlich gestellt, um durch notwendige Verbesserungsmaßnahmen den Fristbeginn für die Antragstellung im Aufteilungsverfahren hinauszuschieben. Ob sie den Verfahrenshilfeantrag in der Absicht gestellt hat, ihre Scheidungsklage zurückzuziehen, was nur mit Zustimmung des Antragsgegners möglich gewesen wäre (§ 483a Abs 1 ZPO), ist nicht von Bedeutung, kommt es doch für den Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung, wie schon dargelegt, nicht darauf an, ob die Parteien von den ihnen offenstehenden prozessualen Anfechtungsmöglichkeiten tatsächlich Gebrauch machen.