06.07.2015 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob eine gewisse Haltbarkeit und Funktionsfähigkeit eines Dichtrings, deren Fehlen schließlich zur vollständigen Beschädigung des Motors führt, als gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft einer solchen Sache iSd § 922 Abs 1 ABGB anzusehen sind

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass im Rechtsverkehr allgemein erwartet wird, dass ein fabriksneuer Kraftfahrzeugmotor, der nicht in exzessiver Weise beansprucht wird, mehr als zwei Jahre funktionstüchtig bleibt und zu diesem Zwecke auch mit Teilen, mögen es auch „Verschleißteile“ sein, ausgestattet ist, deren Qualität eine ausreichende Lebensdauer gewährleistet


Schlagworte: Gewährleistung, Motor, Haltbarkeit eines Dichtrings, gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft
Gesetze:

 

§§ 922 ff ABGB

 

GZ 1 Ob 71/15w, 23.04.2015

 

OGH: Zutreffend weist die Revisionswerberin auf einen grundsätzlichen Beurteilungsfehler der Vorinstanzen hin, die die getroffene Tatsachenfeststellung, der Dichtring sei zum Zeitpunkt der Übergabe nicht „mangelhaft“ gewesen, mit der rechtlichen Kategorie der Vertragsmäßigkeit iSd § 922 Abs 1 Satz 1 ABGB gleichgesetzt haben. Wie sich aus den Erwägungen in der erstgerichtlichen Beweiswürdigung ergibt, sollte mit der gewählten Formulierung lediglich ausgedrückt werden, dass der Dichtring bei Übergabe noch nicht akut schadhaft gewesen ist, also damals seine Dichtungsfunktion erfüllen konnte. Auch wenn das Erstgericht an sich zutreffend erkannt hat, dass Gewährleistungsansprüche auch dann bestehen können, wenn ein Mangel (im Rechtssinn) zum Übergabezeitpunkt - als „Anlagemangel“ - schon latent vorhanden war, hat es dennoch ohne Weiteres das Vorliegen eines vertragswidrigen Zustands verneint.

 

Im Verfahren haben sich nun keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das Nachlassen der vorgesehenen und notwendigen Wirkung des Dichtrings auf eine Ursache zurückgeführt werden könnte, die der Sphäre der Klägerin zuzuordnen wäre, wie etwa eine mit dem üblichen Gebrauch eines Kfz unvereinbare Überbeanspruchung oder sonstige Fehlbehandlung; auch die Revisionsgegnerin weist nur noch auf einen gebrauchsbedingten Verschleiß hin. Damit verbleibt allein die Möglichkeit, dass sich die Kurzlebigkeit des Dichtrings aus dessen Konstruktion, dessen Verarbeitung oder dem verwendeten Material ergeben hat.

 

Dies führt zur rechtlich relevanten Frage, ob ein neuer Motor, der nach weniger als zwei Jahren und ca 65.000 Kilometern Laufleistung - und bei regelmäßigem Service - seine Funktionsfähigkeit verliert, iSd § 922 Abs 1 Satz 2 ABGB die gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften hat.

 

Diese Frage ist entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen zu verneinen. Es kann nach Auffassung des erkennenden Senats keinem Zweifel unterliegen, dass im Rechtsverkehr allgemein erwartet wird, dass ein fabriksneuer Kraftfahrzeugmotor, der nicht in exzessiver Weise beansprucht wird, mehr als zwei Jahre funktionstüchtig bleibt und zu diesem Zwecke auch mit Teilen, mögen es auch „Verschleißteile“ sein, ausgestattet ist, deren Qualität eine ausreichende Lebensdauer gewährleistet. In diesem Sinne ist wohl auch die auf den Ausführungen des Sachverständigen beruhende Feststellung zu verstehen, die eingetretene Schadhaftigkeit sei aus technischer Sicht als eine vorzeitige Beschädigung anzusehen. Die gewöhnlich vorausgesetzte Funktionstüchtigkeit bestimmter Teile eines Kfz während dessen üblicher Lebensdauer ist idR nur dort nicht anzunehmen, wo schon nach allgemeinen Erfahrungswissen eines durchschnittlichen Autobesitzers mit vorzeitigem Verschleiß zu rechnen ist oder wo der Hersteller bestimmte Intervalle vorgibt, in denen die betreffenden Einzelteile ausgetauscht werden sollen. Dass eine solche Vorgabe bei dem hier entscheidenden Motorbestandteil, nämlich dem Dichtring der Nockenwelle, nicht existierte, ist gar nicht strittig. Ein durchschnittlicher Autobesitzer geht ohne Weiteres davon aus, dass derartige Teile nicht unbemerkt so frühzeitig verschleißen, dass es zu einem Weiterfressen bis zu einem gänzlichen Motorschaden kommen könnte, insbesondere wenn die empfohlenen Serviceintervalle eingehalten werden, was von der Revisionsgegnerin, die das Service jeweils selbst durchgeführt hat, auch nicht mehr bestritten wird. Soweit sie sich nunmehr darauf beruft, es entspreche dem Wesen eines Verschleißteils, dass „der Teil verschließen wird“, ist ihr die unbestrittene Prozessbehauptung der Klägerin entgegenzuhalten, dass sie auf die Möglichkeit eines derart raschen Verschleißes nicht hingewiesen worden ist. Mangels eines ausdrücklichen Hinweises muss ein Übernehmer aber keineswegs mit einem Unbrauchbarwerden des Motors innerhalb von 23 Monaten rechnen, sondern kann vielmehr als gewöhnlich voraussetzen, dass der erworbene Motor keine derartigen Verschleißteile aufweist oder dass zu den üblichen Serviceintervallen ein allfälliger Verschleiß rechtzeitig festgestellt werden kann.

 

Ist ein Kfz-Motor - entgegen der Verkehrserwartung - aufgrund des Einbaus eines nicht ausreichend haltbaren Dichtrings so konstruiert, dass er in dem hier festgestellten Zeitraum und bei der festgestellten Kilometerleistung unbrauchbar wird, fehlt es somit an einer gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaft einer solchen Sache, womit der Übernehmer die gesetzlichen Gewährleistungsrechte geltend machen kann. Da sich die Beklagte geweigert hat, den von der Klägerin begehrten unentgeltlichen Austausch bzw die Verbesserung der seinerzeit geschuldeten Reparaturmaßnahme vorzunehmen, kann die Klägerin das zur Behebung erforderliche Deckungskapital verlangen, was die Beklagte rechtlich auch gar nicht in Zweifel zieht.