13.07.2015 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob dem Wegehalter grobe Fahrlässigkeit anzulasten ist, wenn er die Verkehrsteilnehmer nicht durch Warnschilder oder sonstige Sicherheitsvorkehrungen auf die Gefahr der - bei außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen zuvor schon mehrfach aufgetretenen - Überschwemmung einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Unterführung hinweist

Die Auffassung, die Unterlassung der Anbringung von Warnhinweisen rechtfertige nicht die Annahme grober Fahrlässigkeit der Wegehalterin, weil die nur bei außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen auftretende Gefahrenstelle für einen Pkw-Lenker ohnedies deutlich erkennbar sei und der Gefahr bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt durch ein einfaches Fahrmanöver begegnet werden könne, lässt keine grobe Fehlbeurteilung erkennen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Wegehalterhaftung, grobe Fahrlässigkeit, Überschwemmung, außergewöhnliche Witterungsverhältnisse, Warnschilder
Gesetze:

 

§ 1319a ABGB

 

GZ 2 Ob 155/14d, 13.05.2015

 

OGH: Welche Maßnahmen ein Wegehalter konkret zu ergreifen hat, kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und begründet infolge dieser Einzelfallbezogenheit idR keine erhebliche Rechtsfrage. Dies trifft auch auf die Beurteilung der Frage zu, ob die Unterlassung einer zumutbaren Maßnahme dem Wegehalter bereits als grobes Verschulden vorgeworfen werden kann. Ermessensfragen, wie solchen über die Schwere des Verschuldens, kommt nämlich im Allgemeinen keine über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung zu.

 

Nach stRsp ist unter grober Fahrlässigkeit iSd § 1319a ABGB eine auffallende Sorglosigkeit zu verstehen, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlichem Maß verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist. Der objektiv besonders schwere Verstoß muss auch subjektiv schwer anzulasten sein.

 

In Fällen, in denen auf Hindernisse nicht aufmerksam gemacht wurde, die entweder gut sichtbar waren oder bei Einhaltung der Verkehrsvorschriften nicht zum Unfall geführt hätten, hat der OGH grobe Fahrlässigkeit des Wegehalters verneint oder die Verneinung durch die Vorinstanzen zumindest als vertretbar gebilligt, weil der Eintritt eines Schadens zwar möglich, aber nicht geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen war.

 

Angesichts der Feststellungen der Vorinstanzen zu den Sicht- und Reaktionsmöglichkeiten herannahender Fahrzeuglenker auf Wasseransammlungen in der Unterführung hält sich die Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Rahmen der erörterten Rsp. Seine (sinngemäß zum Ausdruck gebrachte) Auffassung, die Unterlassung der Anbringung von Warnhinweisen rechtfertige nicht die Annahme grober Fahrlässigkeit der Wegehalterin, weil die nur bei außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen auftretende Gefahrenstelle für einen Pkw-Lenker ohnedies deutlich erkennbar sei und der Gefahr bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt durch ein einfaches Fahrmanöver begegnet werden könne, lässt keine grobe Fehlbeurteilung erkennen, die aus Gründen der Rechtssicherheit iSd § 502 Abs 1 ZPO vom OGH korrigiert werden müsste.

 

Der Kläger hält eine abweichende Beurteilung für geboten, weil die zweitbeklagte Partei trotz der festgestellten Vorunfälle untätig blieb. Er beruft sich in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungen 8 Ob 229/79 und 2 Ob 293/98x, von denen das Berufungsgericht abgewichen sei.

 

Daran ist zwar richtig, dass die Rsp zur Annahme grober Fahrlässigkeit neigt, wenn einer sich aus dem Wegzustand ergebenden Gefahr durch lange bzw längere Zeit nicht begegnet wird. Im vorliegenden Fall sieht der Kläger die Pflichten der Wegehalterin nicht dadurch verletzt, dass sie den Grund für die auftretenden Überschwemmungen nicht beseitigte, sondern dadurch, dass sie das Aufstellen von „schlichten Schildern“ bzw die Anbringung von „Warnzeichen oder warnenden Lichtanlagen“, mittels derer für den Fall von Überschwemmungen vor dem Einfahren in die Unterführung gewarnt werden soll, unterließ.

 

Gerade auf den Aspekt fehlender Warnhinweise beziehen sich aber die Erwägungen der Vorinstanzen, mit denen sie die Verneinung grober Fahrlässigkeit begründeten. Auch in den vom Kläger genannten Entscheidungen hat der OGH bei der Prüfung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, auf die - dort nicht gegebene - Erkennbarkeit der Gefahr für die Verkehrsteilnehmer abgestellt (8 Ob 229/79: Höhendifferenzen zwischen Fahrzeugen und Durchlass; 2 Ob 293/98x: Schleudergefahr auf der Abfahrtsrampe einer Schnellstraße, die zu mindestens elf Unfällen allein im damals relevanten Unfallsjahr führte) und gefolgert, dass der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich vorhersehbar war.

 

Die Ablehnung einer analogen Beurteilung im konkreten Fall überschreitet jedoch auch angesichts der festgestellten Vorunfälle (die letzte Bergung lag nach den aktenkundigen Einsatzberichten der Feuerwehr knapp vier Jahre zurück) noch nicht den Ermessensspielraum, der den Vorinstanzen bei der Prüfung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, zuzubilligen ist.

 

Überlegungen zum Fahrverhalten der Pkw-Lenkerin können unter diesem Umständen auf sich beruhen.