20.07.2015 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob die Betreuung von Kindern im Rahmen eines Dienstverhältnisses einer angestellten Tagesmutter in ihrer Eigentumswohnung eine Widmungsänderung nach § 16 Abs 2 WEG 2002 darstellt

Die Überschreitung der behördlich genehmigten maximalen Anzahl der betreuten Kinder führt nicht zwingend zu einer überwiegenden Nutzung zu beruflichen Zwecken und damit einer Widmungsänderung; im konkreten Fall betreut die Tagesmutter neben ihrem eigenen Kind insgesamt sechs Pflegekinder, also um zwei Kinder mehr als behördlich erlaubt; dies ändert aber nichts am nach wie vor gegebenen grundsätzlichen Charakter der Nutzung zu Wohnzwecken


Schlagworte: Wohnungseigentumsrecht, Widmungsänderung, Tagesmutter, Lärmbelästigung
Gesetze:

 

§ 16 WEG 2002, § 523 ABGB

 

GZ 5 Ob 53/15b, 19.05.2015

 

Thema in dritter Instanz ist weder die Frage, ob eine unzumutbare (insbesondere weil bestimmte Dezibel-Werte übersteigende) Lärmbelästigung durch die Tätigkeit der Zweitbeklagten als Tagesmutter das Unterlassungsbegehren eines benachbarten Wohnungseigentümers rechtfertigt, noch eine - vom Berufungsgericht verneinte - konkludente Zustimmung aller Wohnungseigentümer zur Nutzung des Wohnungseigentumsobjekts auf diese Weise. Ausschließlich zu beurteilen ist die Genehmigungsbedürftigkeit dieser Berufsausübung iSd § 16 Abs 2 WEG 2002.

 

OGH: Der in § 16 Abs 2 WEG 2002 verwendete Begriff „Änderungen“ ist weit auszulegen und umfasst insbesondere auch die im Gesetz ausdrücklich genannten Widmungsänderungen. Jede solche Änderung, die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte (wofür also schon die Möglichkeit einer Beeinträchtigung genügt), bedarf der Zustimmung aller Wohnungseigentümer oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG 2002.

 

Gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig solche Änderungen vornimmt, kann jeder einzelne Wohnungseigentümer nach stRsp mit Unterlassungs- oder Beseitigungsklage nach § 523 ABGB im streitigen Rechtsweg vorgehen. Der Streitrichter hat in einem solchen Fall nur die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung sowie die eigenmächtige Rechtsanmaßung als Vorfragen über die Berechtigung des Unterlassungs- und Wiederherstellungsbegehrens zu prüfen, nicht jedoch die Genehmigungsfähigkeit.

 

Für die Frage der Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts ist auf die privatrechtliche Einigung der Wohnungseigentümer (idR im Wohnungseigentumsvertrag) abzustellen. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass alle 24 Wohnungen, einschließlich jener der Beklagten, ausdrücklich als Wohnung gewidmet wurden.

 

Zu 5 Ob 277/04b entschied der OGH in einem Unterlassungsprozess gegen einen Wohnungseigentümer und dessen Mieter, der in dem als Wohnung gewidmeten Objekt ohne Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer sein angemeldetes Gewerbe als Heilmasseur ausübte. Er verglich diese Tätigkeit mit dem Betrieb einer Arztpraxis, der eine genehmigungsbedürftige Widmungsänderung darstelle. Die angebliche Geringfügigkeit und Zumutbarkeit der Ausübung des Gewerbes durch den Heilmasseur, der aufgrund seiner schweren Sehbehinderung nur wenige Klienten betreuen könne, erachtete er als nicht relevant.

 

In den bereits vom Berufungsgericht angesprochenen Fällen der Vermietung von als Wohnung gewidmeten Objekten als Ferienappartments (3 Ob 158/11y [10 Wohnungen mit insgesamt 34 Betten]; 5 Ob 59/14h [1 Wohnung]) ging der OGH von einer genehmigungspflichtigen Widmungsänderung aus. Er verwies in beiden Fällen auf die Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der übrigen Wohnungseigentümer infolge der erhöhten Frequentierung des Hauses durch ständig wechselnde hausfremde Personen. In der Entscheidung 3 Ob 158/11y zeigte er den Unterschied zwischen solchen Beherbergungsverträgen und einem reinen Mietvertrag, zu dessen Abschluss jeder Wohnungseigentümer idR auch ohne Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer berechtigt sei, auf. Neugebauer-Herl sieht in ihrer Kritik an der Entscheidung 3 Ob 158/11y auch in der Nutzung als Ferienwohnung eine Nutzung zu Wohnzwecken, die von der Wohnungswidmung gedeckt sei. Beeinträchtigungen anderer Wohnungseigentümer könnten sowohl bei Vermietung als Ferienwohnung als bei einer längerfristigen, nicht genehmigungspflichtigen Vermietung durch ungebührliches Verhalten der Mieter auftreten. Die sich gestört fühlenden Wohnungseigentümer könnten mit Unterlassungsklage gegen diese konkrete Beeinträchtigung vorgehen.

 

Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die Tätigkeit als Tagesmutter nicht nach dem der bisherigen Jud zugrunde gelegten Verständnis einer Änderung der Widmung von Wohn- auf Geschäftszwecke zu beurteilen.

 

Wohnen bedeutet nach dem allgemeinen Sprachverständnis, dass jemand seine Wohnung (sein Zuhause) an einem bestimmten Ort hat. Gerade dieses Kriterium erfüllt eine Tagesmutter, die (allenfalls) mit einem Lebenspartner und „eigenen“ Kindern als Kernfamilie in einer Eigentumswohnung lebt. Dass die zusätzlich betreuten Kinder ihren Lebensmittelpunkt (ihr Zuhause) - auch bei einer ganztägigen Betreuung - nicht bei der Tagesmutter haben und nicht so wie die Kernfamilie im Wohnungseigentumsobjekt wohnen (ein Schüler, der eine Ganztagsschule besucht, wohnt auch nicht in der Schule), führt nicht per se zum Wechsel der Widmung.

 

Die Tätigkeit als Tagesmutter erfolgt zwar idR nicht gratis. So sieht § 3 Abs 1 des Mindestlohntarifs für Arbeitnehmer/innen in privaten Kinderbetreuungseinrichtungen, BGBl II 2014/305 (Entgeltbestimmungen für Tagesmütter, die von Vereinen oder Privatkindergärten beschäftigt werden und im eigenen Haushalt Kinder betreuen), ein monatliches Grundgehalt von 428 EUR pro Kind - mit Zulagen bei besonderen Qualifikationen - vor. Eine Tagesmutter, die in einem Wohnungseigentumsobjekt fremde Kinder betreut, übt also einen bezahlten Beruf aus. Entscheidend ist, ob die berufliche Nutzung jene zu Wohnzwecken derartig überwiegt, dass nicht einmal mehr im Kern von einem Wohnen gesprochen werden kann. Erst dann liegt eine genehmigungspflichtige Änderung der Widmung „Wohnen“ vor.

 

Die behördlich erlaubte maximale Anzahl der betreuten Kinder berücksichtigt in aller Regel die persönlichen Verhältnisse (wie Belastung durch Kinder der Kernfamilie) sowie die örtlichen Gegebenheiten (wie Größe und Ausstattung der Wohnung) und soll die Qualität der Betreuung sicherstellen. Dass diese dem Landesgesetzgeber ein besonderes Anliegen war, zeigt die Bestimmung des § 13a Abs 3 lit e Vorarlberger KindergartenG, LGBl 2008/52: Danach kann der verpflichtende Besuch eines Kindergartens entfallen, wenn mit der Betreuung durch eine Tagesmutter Bildungsaufgaben vergleichbar der halbtägig kostenlosen und verpflichtenden frühen Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen wahrgenommen werden. Werden regelmäßig zuviele Kinder betreut, kann eine qualitätsvolle Betreuung durch eine Tagesmutter, der viele Eltern gerade wegen des individuelleren Eingehens auf die Bedürfnisse ihrer Kinder den Vorzug geben, nicht mehr gewährleistet werden. Der vorrangige Zweck der zahlenmäßigen Begrenzung liegt in der Berücksichtigung kinderpädagogischer Erwägungen und nicht im Schutz von Nachbarn vor Kinderlärm, auch wenn ein - aus der Sicht von benachbarten Wohnungseigentümern durchaus begrüßenswerter - Nebeneffekt dieser Beschränkung darin liegen kann, dass Lärmbelästigungen in erträglicheren Grenzen gehalten werden.

 

Zu befürchtender Kinderlärm ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ohnehin nicht das entscheidende Argument für die Genehmigungsbedürftigkeit. Lärmbelästigungen gibt es auch in jenen Fällen, in denen die Wohnung vom Wohnungseigentümer mit mehreren Kindern selbst oder von dessen Mieter mit seiner Kinderschar bewohnt wird. Beides ist Wohnen: es liegt keine genehmigungspflichtige Widmungsänderung vor. Das Argument des Berufungsgerichts, dass im Gegensatz zu betreuten Kindern eigene Kinder des Wohnungseigentümers dem Kindes- oder (vielfach zumindest genauso lärmenden) Teenageralter entwachsen, überzeugt nicht, weil es die Möglichkeit der wiederholten Vermietung an jeweils kinderreiche Familien außer Acht lässt.

 

Die Überschreitung der behördlich genehmigten maximalen Anzahl der betreuten Kinder führt demnach nicht zwingend zu einer überwiegenden Nutzung zu beruflichen Zwecken und damit einer Widmungsänderung. Im konkreten Fall betreut die Tagesmutter neben ihrem eigenen Kind insgesamt sechs Pflegekinder, also um zwei Kinder mehr als behördlich erlaubt. Dies ändert aber nichts am nach wie vor gegebenen grundsätzlichen Charakter der Nutzung zu Wohnzwecken.

 

Da keine genehmigungspflichtige Widmungsänderung vorliegt, ist das Unterlassungsbegehren des Klägers abzuweisen.