10.08.2015 Zivilrecht

OGH: Strafanzeige wegen Vergewaltigungsvorwürfen und Einstellung der Ermittlungsverfahren – Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gem § 74 EheG aufgrund dieser Anschuldigungen?

Da nicht einmal die objektive Unrichtigkeit des Vergewaltigungsvorwurfs feststeht, führt auch die Tatsache, dass die Klägerin diese Anzeige nach den Feststellungen auch in Schädigungsabsicht erstattet hat, nicht zur Unterhaltsverwirkung; solange der Vorwurf nicht ausschließlich in Schädigungsabsicht erhoben wird und die Anzeigeerstattung nicht den Tatbestand der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB erfüllt, hat das Opfer einer (allenfalls auch nur vermeintlichen) Straftat nämlich zweifellos das Recht, eine Strafanzeige zu erstatten; umso weniger kann der Klägerin zum Vorwurf gemacht werden, dass sie den Vergewaltigungsvorwurf auch noch in ihrer Berufung wiederholt hat


Schlagworte: Eherecht, Unterhaltsanspruch, Verwirkung, Strafanzeige wegen Vergewaltigungsvorwürfen, Einstellung der Ermittlungsverfahren, Beweispflicht, Schädigungsabsicht
Gesetze:

 

§ 74 EheG, § 190 StPO, § 297 StGB

 

GZ 3 Ob 77/15t, 17.06.2015

 

OGH: Die Revision der Klägerin, in der sie ua darauf hinweist, dass die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft noch nicht bedeute, dass der Beklagte die angezeigte Tat nicht begangen habe, ist iSd Aufhebungsantrags berechtigt.

 

Der Berechtigte verwirkt seinen Unterhaltsanspruch gem § 74 EheG ua dann, wenn er sich nach der Scheidung einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen schuldig macht. Nach stRsp setzt die Unterhaltsverwirkung eine besonders schwerwiegende, das Maß schwerer Eheverfehlungen iSd § 49 EheG übersteigende Verfehlung gegen den früheren Ehegatten voraus, sodass dem Verpflichteten die Unterhaltsleistung nicht mehr zumutbar ist.

 

Bei Ehrverletzungen, falschen Anschuldigungen und Verstößen gegen ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse durch Verbreitung vertraulicher Tatsachen sind als Kriterien für die Erfüllung des Verwirkungstatbestands die dem Verhalten zugrundeliegende Gesinnung, die Art und das Gewicht der erhobenen Vorwürfe sowie die Art ihrer Weitergabe und deren Auswirkungen auf die Interessensphäre des Unterhaltspflichtigen anzusehen. Eine Unterhaltsverwirkung aufgrund falscher Anschuldigungen tritt allerdings nicht schon dann ein, wenn die Vorwürfe objektiv unrichtig sind, sondern setzt voraus, dass sie vom Unterhaltsberechtigten bewusst wahrheitswidrig erhoben werden.

 

Dass die Klägerin den Vergewaltigungsvorwurf bewusst wahrheitswidrig, also wissentlich falsch iSd § 297 Abs 1 StGB, erhoben hätte, lässt sich den Feststellungen, wonach (auch) das aufgrund dieser Anzeige der Klägerin eingeleitete Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft Graz gem § 190 Z 2 StPO eingestellt wurde und ein von der Klägerin gestellter Fortführungsantrag erfolglos blieb, nicht entnehmen. Die weitere (in der Beweiswürdigung dislozierte) Feststellung des Erstgerichts, wonach die tatsächliche Begehung der diversen von der Klägerin zur Anzeige gebrachten Taten des Beklagten nicht mit der im zivilgerichtlichen Verfahren erforderlichen Sicherheit feststellbar sei, bedeutet im Gegenteil, dass der für das Vorliegen eines Verwirkungstatbestands beweispflichtige Beklagte nicht nur keine bewusst wahrheitswidrige Anschuldigung der Klägerin, sondern nicht einmal die objektive Unrichtigkeit ihrer Anzeige nachweisen konnte.

 

Mit dieser Negativfeststellung steht im Übrigen auch die vom Erstgericht in der rechtlichen Beurteilung nachgetragene Feststellung in Einklang, wonach die Klägerin die Anzeigen „nicht nur zum Zwecke der Wahrheitsfindung, sondern auch in Schädigungsabsicht gegenüber dem Beklagten eingebracht“ habe: Hat die Klägerin nämlich einen strafrechtlich relevanten Vorwurf (nicht nur, aber eben auch) „zum Zweck der Wahrheitsfindung“ erhoben, verbietet sich geradezu die Annahme, sie habe diese Anzeige wissentlich falsch erstattet.

 

Da nicht einmal die objektive Unrichtigkeit des Vergewaltigungsvorwurfs feststeht, führt auch die Tatsache, dass die Klägerin diese Anzeige nach den Feststellungen auch in Schädigungsabsicht erstattet hat, nicht zur Unterhaltsverwirkung. Solange der Vorwurf nicht ausschließlich in Schädigungsabsicht erhoben wird und die Anzeigeerstattung nicht den Tatbestand der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB erfüllt, hat das Opfer einer (allenfalls auch nur vermeintlichen) Straftat nämlich zweifellos das Recht, eine Strafanzeige zu erstatten. Umso weniger kann der Klägerin zum Vorwurf gemacht werden, dass sie den Vergewaltigungsvorwurf auch noch in ihrer Berufung wiederholt hat.