06.10.2015 Zivilrecht

OGH: Haftung der Aufsichtsperson nach § 1309 ABGB

Die Gefährlichkeit der Situation und ein allfälliges wiederholtes früheres Fehlverhalten des Kindes sind zu berücksichtigen; bestimmte Eigenschaften des Pflegebefohlenen können höhere Anforderungen rechtfertigen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Aufsichtsperson, Haftung, Zündhölzer, Feuer
Gesetze:

 

§ 1309 ABGB

 

GZ 5 Ob 145/15g, 25.08.2015

 

Die Beklagten sind 2004 bzw 2006 geboren. Im Revisionsverfahren ist nur mehr strittig, ob die Großmutter der Beklagten am 10. 4. 2012 deshalb ihre Aufsichtspflicht verletzt hat, weil sie Zündhölzer auf dem Küchentisch liegen ließ, mit denen die Beklagten dann am Heuboden ein Feuer entfachten.

 

OGH: Das Maß der zu leistenden Aufsichtspflicht bestimmt sich nach dem, was nach Alter und Entwicklung des Kindes von verständigen Aufsichtspflichtigen in Berücksichtigung ihrer eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse sowie ihrer Geschäfts- und Berufspflichten erwartet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern (hier: ein Großelternteil) nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen müssen (muss), um eine Schädigung zu verhindern und welchen Anlass sie zu bestimmten Aufsichtsmaßnahmen hatten. Die Gefährlichkeit der Situation und ein allfälliges wiederholtes früheres Fehlverhalten des Kindes sind zu berücksichtigen. Bestimmte Eigenschaften des Pflegebefohlenen können höhere Anforderungen rechtfertigen. Die Frage, ob eine Aufsichtspflichtverletzung vorliegt, hängt jedenfalls stets von den Umständen des Einzelfalls ab.

 

Der OGH hat sich bereits mehrfach mit - in tatsächlicher Hinsicht allerdings nicht direkt vergleichbaren - Fällen befasst, in denen Kinder an Zündhölzer bzw Feuerzeuge gelangt sind und damit Brände ausgelöst haben; dennoch wurde in diesen Entscheidungen aus näher dargestellten Gründen eine Aufsichtspflichtverletzung verneint.

 

Das Berufungsgericht war hier der Ansicht, die Großmutter der Beklagten habe am 10. 4. 2012, als sie Zündhölzer auf dem Küchentisch liegen ließ, noch nicht gewusst, dass sie die Beklagten zu beaufsichtigen haben werde. Ob dieser Ablauf, den Feststellungen des Erstgerichts tatsächlich so entnommen werden kann, was die Beklagten in ihrer Revision bestreiten, kann als nicht entscheidungswesentlich dahin stehen. Maßgeblich ist vielmehr, dass die beiden Beklagten die meiste Zeit - wie vereinbart, also durchaus folgsam - im Hof mit ihren Fahrrädern unterwegs waren und später dann - ebenfalls wie besprochen - Ball spielten. Die Beklagten waren vor dem Vorfall auch noch nie dahin auffällig geworden, dass sie mit Streichhölzern gespielt haben oder spielen wollten. Schließlich befanden sich die Streichhölzer auf einem Tisch in der Küche, in der sich die Großmutter praktisch durchwegs aufhielt und insofern laufend Kontrolle ausüben konnte, während die Beklagten die Küche offenbar nur sporadisch aufsuchten. Die Beklagten haben dann offenbar während eines solchen kurzzeitigen Aufenthalts in der Küche einen unbeobachteten Moment dazu genutzt, die auf dem Küchentisch liegenden Streichhölzer unbemerkt an sich zu bringen. Wenn das Berufungsgericht unter diesen Umständen eine Aufsichtspflichtverletzung der Großmutter verneinte, dann liegt darin jedenfalls noch keine als unvertretbar aufzugreifende Einzelfallbeurteilung.