29.03.2016 Zivilrecht

OGH: Unterhaltsbemessung – unter die „absolute Belastungsgrenze“, wenn die nunmehrige Ehegattin des Unterhaltsschuldners Kinderbetreuungsgeld - im Übrigen aber keine Einkünfte – bezieht?

Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen kann auch unter das - auch als „absolute Belastungsgrenze“ bezeichnete - niedrigste Existenzminimum iHv 75 % des allgemeinen Grundbetrags herabgegangen werden; als ein solcher Ausnahmefall wurde der Fall angesehen, dass der Unterhaltspflichtige einen geringeren Geldbedarf hat, wenn üblicherweise aus dem Existenzminimum abgedeckte Kosten für Verpflegung oder Unterkunft durch einen mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebenden und über eigene Einkünfte verfügenden Ehegatten oder Lebensgefährten anteilig getragen werden; es besteht keine Verpflichtung der Ehegattin des Vaters, sich aufgrund des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld „entsprechend“ an den Lebenshaltungskosten des gemeinsamen Haushalts zu beteiligen


Schlagworte: Familienrecht, Kindesunterhalt, Bemessung, unter die „absolute Belastungsgrenze“, Kinderbetreuungsgeld
Gesetze:

 

§ 231 ABGB, § 291a EO, § 292b EO, § 291b EO, § 42 KBGG

 

GZ 9 Ob 61/15h, 27.01.2016

 

OGH: Nach stRsp hat dem Unterhaltsschuldner ein Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit notwendig ist. Die Bestimmungen der EO können als Orientierungshilfe bei der Ermittlung der Belastungsgrenze im Rahmen der Unterhaltsbemessung dienen. Die Unterhaltsbemessung kann im Hinblick auf § 292b EO zwar über die Grenze des § 291b EO hinausgehen, jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Unterhaltspflichtige nicht so weit belastet wird, dass er in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre. Nur in ganz besonderen Ausnahmefällen kann daher auch unter das - auch als „absolute Belastungsgrenze“ bezeichnete - niedrigste Existenzminimum in Höhe von 75 % des allgemeinen Grundbetrags herabgegangen werden. Als ein solcher Ausnahmefall wurde der - hier auch von der Revisionsrekurswerberin geltend gemachte - Fall angesehen, dass der Unterhaltspflichtige einen geringeren Geldbedarf hat, wenn üblicherweise aus dem Existenzminimum abgedeckte Kosten für Verpflegung oder Unterkunft durch einen mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebenden und über eigene Einkünfte verfügenden Ehegatten oder Lebensgefährten anteilig getragen werden.

 

Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen nicht abgewichen. Die konkrete Festlegung des Mindestbetrags, der dem Unterhaltspflichtigen jeweils zu verbleiben hat, lässt sich immer nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantworten und bildet daher idR keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG. Eine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen, die im Anlassfall keinen besonderen Ausnahmefall im dargestellten Sinn erblickt haben, zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf. Nach dem insofern unstrittigen Sachverhalt lebt der gegenüber der Revisionsrekurswerberin, seiner minderjährigen Tochter aus einer früheren Beziehung, geldunterhaltspflichtige Vater mit seiner nunmehrigen Ehegattin und ihren drei gemeinsamen minderjährigen Kindern im gemeinsamen Haushalt. Die Ehegattin bezieht Kinderbetreuungsgeld, hat aber im Übrigen keine Einkünfte.

 

Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Kinderbetreuungsgeldanspruch der Ehegattin gem § 42 KBGG hier kein Einkommen darstellt und deren Unterhaltsanspruch gegenüber dem Vater nicht schmälert, stellt die Revisionsrekurswerberin nicht in Frage. Sie hält dem im Wesentlichen entgegen, dass das der Ehegattin zukommende Kinderbetreuungsgeld dennoch faktisch vorhanden sei, sodass nach der Erfahrung davon auszugehen sei, dass sich die Ehegattin anteilig an den Lebenshaltungskosten des Vaters beteilige. Dem hat der OGH in vergleichbaren Konstellationen jedoch bereits mehrfach entgegengehalten, dass der Gesetzgeber in § 42 KBGG eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, dass er im Bereich des Unterhaltsrechts das Kinderbetreuungsgeld nicht als Einkommen des Kindes oder eines Elternteils behandelt haben will. Dass die Regelung des § 42 KBGG im Einzelfall zu rechtspolitisch unbefriedigenden Ergebnissen führen mag, kann von den Gerichten nicht aufgegriffen werden, weil es nicht Aufgabe der Rsp ist, allenfalls unbefriedigende Regelungen zu korrigieren.

 

Zielsetzung des Kinderbetreuungsgeldes ist die finanzielle Unterstützung der Eltern während der Betreuung ihres Kindes in den ersten Lebensjahren iSe Abgeltung der Betreuungsleistung oder der Ermöglichung der Inanspruchnahme außerhäuslicher Betreuung. Das Kinderbetreuungsgeld soll nach der Intention des Gesetzgebers daher dem Haushalt des beziehenden Elternteils zukommen, ohne damit mittelbar eine Entlastung des Unterhaltspflichtigen herbeizuführen. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine von der Revisionsrekurswerberin behauptete Verpflichtung der Ehegattin des Vaters, sich aufgrund des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld „entsprechend“ an den Lebenshaltungskosten des gemeinsamen Haushalts zu beteiligen, nicht ableiten.