27.06.2016 Zivilrecht

OGH: Gewährleistung iZm Neuwagenkauf (hier: nach wenigen Wochen Auftreten von Flecken auf (lösungsmittelfreiem) Lack aufgrund Vogelkots)

Es gehört zu den gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften eines fabriksneuen Kfz des mittelklassigen Preissegments, dass seine Lackierung - unter der Voraussetzung regelmäßiger, sorgfältiger Pflege - länger als nur zwei oder drei Wochen ab Übergabe gegen alltäglich vorkommende Umwelteinflüsse beständig ist; selbst wenn man annehmen wollte, dass ein durchschnittlicher Fahrzeugkäufer über die chemische Aggressivität von Vogelkot auf Autolacken Bescheid weiß, entspricht es nicht der allgemeinen Erfahrung, dass solche Verschmutzungen trotz umgehender Entfernung auf einem fabriksneuen Fahrzeug unvermeidlich grobe Lackschäden bewirken; ein Lackmangel, der nicht nur eine optische Beeinträchtigung bewirkt, sondern bereits nach drei bis vier Jahren zu Roststellen und insgesamt zu einer verkürzten Nutzungsdauer führt, kann nicht mehr als geringfügig angesehen werden


Schlagworte: Gewährleistungsrecht, Neuwagen, Lackmangel, Vogelkot, Wandlung, Wertverlust, Vorteilsausgleich
Gesetze:

 

§§ 922 ff ABGB

 

GZ 8 Ob 126/15k, 27.04.2016

 

OGH: Gem § 922 Abs 1 ABGB leistet, wer einem anderen eine Sache gegen Entgelt überlässt, Gewähr dafür, dass sie dem Vertrag entspricht. Er haftet also dafür, dass die Sache die bedungenen oder gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften hat, dass sie seiner Beschreibung, einer Probe oder einem Muster entspricht und dass sie der Natur des Geschäfts oder der getroffenen Verabredung gemäß verwendet werden kann.

 

Ob eine Eigenschaft iSd Gesetzes als gewöhnlich vorausgesetzt anzusehen ist, ist an der Verkehrsauffassung zu messen. Der Kaufgegenstand muss der Natur des Geschäfts oder der geschlossenen Verabredung entsprechend benützt und verwendet werden können.

 

Bei üblichem, bestimmungsgemäßem Gebrauch eines Kfz ist eine Verschmutzung des Lacks durch Vogelkot früher oder später unvermeidlich. Es gehört zu den gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften eines fabriksneuen Kfz des mittelklassigen Preissegments, dass seine Lackierung - unter der Voraussetzung regelmäßiger, sorgfältiger Pflege - länger als nur zwei oder drei Wochen ab Übergabe gegen alltäglich vorkommende Umwelteinflüsse beständig ist. Selbst wenn man annehmen wollte, dass ein durchschnittlicher Fahrzeugkäufer über die chemische Aggressivität von Vogelkot auf Autolacken Bescheid weiß, entspricht es nicht der allgemeinen Erfahrung, dass solche Verschmutzungen trotz umgehender Entfernung auf einem fabriksneuen Fahrzeug unvermeidlich grobe Lackschäden bewirken.

 

Der OGH ist an die Feststellung der Tatsacheninstanzen, dass die Klägerin ihr neues Fahrzeug regelmäßig gereinigt hat und Vogelkot nicht eintrocknen ließ, gebunden. Die Klägerin hat also die einem Käufer zumutbaren Vorbeugungsmaßnahmen gegen Schäden durch diese aggressiven Substanzen eingehalten. Wenn nun die Lackierung des ***** dennoch schon innerhalb der ersten drei Wochen des Gebrauchs dauerhaft beschädigt werden konnte, entsprach sie nicht den gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften einer Neuwagenlackierung.

 

Der Revisionswerberin ist überdies auch beizupflichten, dass die festgestellten Werbeaussagen der Beklagten beim potentiellen Erwerber die berechtigte Erwartung einer qualitativ besonders hochwertigen Lackierung wecken mussten. Auch wenn darin konkret auf den Korrosionsschutz Bezug genommen wird, dürfen die verwendeten Ausdrücke wie „aufwendiges Lackierverfahren“, „allerhöchste Ansprüche“ und „Basis für einen perfekten Lackauftrag“ nicht übersehen werden. Selbst bei äußerster Reduktion der Werbeaussage kann sie keinesfalls dahin verstanden werden, dass der über dem galvanischen Rostschutz „perfekt“ aufgetragene Lack nicht einmal alltäglichen Umwelteinflüssen standhält.

 

Entgegen der Argumentation der Beklagten geht es im vorliegenden Fall nicht um eine überzogene Käufererwartung, dass ätzende Verschmutzungen den Lack überhaupt nie beschädigen könnten, sondern um die berechtigte Erwartung, dass es nicht praktisch unabwendbar schon in kürzester Zeit zu solchen Beschädigungen kommt.

 

Das vom Berufungsgericht hervorgehobene Argument, die Lackierung des ***** habe der geltenden ÖNORM entsprochen und es seien seit 2010 alle Neufahrzeuge mit lösungsmittelfreiem Lack versehen, vermag zur Lösung der Rechtsfrage nichts beizutragen.

 

Auch wenn fest steht, dass lösungsmittelfreie Lacke allgemein weniger gegen Umwelteinflüsse beständig sind als lösungsmittelhältige, besagt dies nicht, dass alle auf dem Markt befindlichen lösungsmittelfreien Autolacke durchwegs von gleicher (konkret: gleich minderer) Qualität sind, und dass qualitativ bessere Lacke als der beim Klagsfahrzeug verwendete innerhalb des Sortiments nicht erhältlich wären. Derartiges hat die Beklagte auch nicht vorgebracht.

 

Fest steht auch, dass die Beständigkeit eines Fahrzeuglacks nicht nur von der chemischen Zusammensetzung, sondern auch von der Dicke des Auftrags abhängt. Die ÖNORM V 5051, auf die sich die Vorinstanzen bezogen haben, sieht für Originallackierungen an den Außenflächen eine Bandbreite zwischen 70 und 300 ?m vor.

 

Das Klagsfahrzeug weist unstrittig eine Lackschichtdicke im Bereich von 120 ?m bis maximal 129 ?m auf, womit es im unteren Drittel der nach der ÖNORM zulässigen Bandbreite liegt. Daraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass Neufahrzeuge mit einer dickeren und dadurch auch widerstandsfähigeren Lackierung nicht auf dem Markt erhältlich wären.

 

Nach § 932 Abs 2 ABGB kann der Übernehmer wegen eines Mangels von den in § 932 Abs 1 ABGB genannten Gewährleistungsbehelfen (Verbesserung, Austausch der Sache, angemessene Minderung des Entgelts oder Aufhebung des Vertrags) zunächst nur die Verbesserung oder den Austausch der Sache verlangen, es sei denn, dass die Verbesserung oder der Austausch unmöglich oder für den Übergeber, verglichen mit der anderen Abhilfe, mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden wäre, oder wenn der Gewährleistungspflichtige die Verbesserung verweigert.

 

Eine Verbesserung des Fahrzeugs durch Behebung der Lackschäden hat die Klägerin von der Beklagten, die jeglichen Sachmangel in Abrede stellt, vor Klagseinbringung vergeblich verlangt.

 

Sind sowohl die Verbesserung als auch der Austausch unmöglich, dann hat der Übernehmer nach § 932 Abs 4 ABGB das Recht auf Preisminderung oder, sofern es sich nicht um einen geringfügigen Mangel handelt, das Recht auf Wandlung.

 

Bei der Prüfung, ob allenfalls ein die Wandlung ausschließender geringfügiger Mangel iSd § 932 Abs 4 ABGB vorliegt, ist eine auf den konkreten Vertrag und die Umstände des Einzelfalls bezogene objektive Abwägung der Interessen der Vertragspartner vorzunehmen. Es sind dabei die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit der Aufhebung des Vertrags im Hinblick auf die damit verbundenen Folgen für die Parteien, aber auch die „Schwere“ des Mangels zu berücksichtigen. Die Behebbarkeit des Mangels und ein allfälliger geringer Behebungsaufwand sind für die Beurteilung der Geringfügigkeit des Mangels nicht allein ausschlaggebend.

 

Der Revisionswerberin ist hier zuzustimmen, dass ein Lackmangel, der nicht nur eine optische Beeinträchtigung bewirkt, sondern bereits nach drei bis vier Jahren zu Roststellen und insgesamt zu einer verkürzten Nutzungsdauer führt, nicht mehr als geringfügig angesehen werden kann. Selbst wenn - was nicht fest steht - beim Klagsfahrzeug ein Auspolieren der Flecken technisch noch möglich wäre, könnte damit kein auf Dauer befriedigender Zustand hergestellt werden, weil beim nächsten Kontakt mit Vogelkot wieder mit Beschädigungen zu rechnen wäre.

 

Das von der Klägerin erhobene Wandlungsbegehren erweist sich daher dem Grunde nach als berechtigt.

 

Auf die von den Vorinstanzen eingehend behandelte Irrtumsproblematik muss bei diesem Ergebnis nicht mehr weiter eingegangen werden.

 

Ob die geringe Widerstandsfähigkeit des Lacks des Klagsfahrzeugs eine Eigenschaft ist, die allen Fahrzeugen dieser Marke (bzw Modellreihe, Farbe) anhaftete, sodass die Beklagte in Kenntnis dieser Eigenschaft Aufklärungspflichten getroffen hätten, oder ob allenfalls nur ein kleiner Teil der Produktion betroffen war und die Beklagte mangels Kenntnis des Problems gar nicht darüber aufklären hätte können, bedarf daher keiner näheren Erörterung.

 

Der Revision ist lediglich in Bezug auf die (mit 3.000 EUR im Rechtsmittelverfahren aufrecht erhaltene) Gegenforderung der beklagten Partei keine Folge zu geben.

 

Es entspricht der stRsp des OGH, dass die Interessenabwägung bei einem berechtigten Wandlungsbegehren nur jenen Wertverlust zu berücksichtigen hat, der bis zu dem Zeitpunkt entstanden ist, zu dem der Kläger erstmals berechtigt Wandlung begehrt hat. Der Verkäufer kann sich bei verzögerter Abwicklung auf eine bloß theoretische Gebrauchsmöglichkeit ebenso wenig berufen wie auf den rein infolge Zeitablaufs eingetretenen Wertverlust.

 

Diese Einschränkung gilt aber nicht für die Anrechnung jenes tatsächlichen Nutzens, den der Kläger durch eine fortgesetzte Verwendung der Sache lukriert hat, indem er sich den Aufwand für eine Ersatzbeschaffung erspart hat. Die Klägerin hat sich durch die weitere Benützung des Klagsfahrzeugs bis zum Ende des erstinstanzlichen Verfahrens Kosten erspart, die sie für ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug oder eine alternative Beförderungsmöglichkeit aufwenden hätte müssen.

 

Nach dem Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 5. 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter können die Mitgliedstaaten - im hier vorliegenden Fall einer Vertragsauflösung (EuGH 17. 4. 2008, C-404/06 Quelle AG Rz 39) - vorsehen, dass eine dem Verbraucher zu leistende Erstattung gemindert werden kann, um der Benutzung der Ware Rechnung zu tragen, die durch den Verbraucher seit ihrer Lieferung erfolgt ist.

 

Die pauschale Bemessung dieser Ersparnis durch das Erstgericht mit 3.000 EUR blieb der Höhe nach von beiden Streitteilen unbekämpft. Eine lediglich aliquote Anrechnung dieses Betrags nur für den Zeitraum bis zum ersten außergerichtlichen Wandlungsbegehren würde dem Zweck des Vorteilsausgleichs widersprechen und ist nicht vorzunehmen.