09.08.2016 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob durch Teilnichtigkeit des Vertrags eine Vertragsanpassung wegen Wuchers – nach teleologischer Reduktion des § 7 Abs 1 WuchG – möglich ist

Der Gesetzgeber ordnete für wucherische Rechtsgeschäfte die Rechtsfolge der gesamten Nichtigkeit weiter an und hielt auch trotz des neu angefügten Abs 2 des § 7 WuchG an diesem Grundsatz fest; es ist nicht zulässig, sich über den eindeutigen Wortlaut des § 7 Abs 1 WuchG und die Absicht des Gesetzgebers hinwegzusetzen und für alle wucherischen Verträge die Rechtsfolge der Teilnichtigkeit anzunehmen


Schlagworte: Wucher, Teilnichtigkeit
Gesetze:

 

§ 879 ABGB, § 7 WuchG

 

GZ 7 Ob 115/16m, 06.07.2016

 

OGH: Gem § 879 Abs 2 Z 4 ABGB ist ein Vertrag – wegen Wuchers – nichtig, wenn jemand den Leichtsinn, die Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich oder einen Dritten für eine Leistung eine Gegenleistung versprechen oder gewähren lässt, deren Vermögenswert zu dem Wert der Leistung in auffallendem Missverhältnis steht. Für die Annahme eines Wuchergeschäfts (samt Nichtigkeitssanktion) sind drei kumulative und zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu beurteilende Voraussetzungen erforderlich: Auffallendes Missverhältnis zwischen Wert und Leistung/Gegenleistung; der durch das Geschäft Begünstigte muss dieses Missverhältnis gekannt haben; es müssen bei dem durch das Geschäft Benachteiligten gewisse Verhältnisse und Eigenschaften vorhanden gewesen sein, die ihn hinderten, seine Interessen gehörig zu wahren. Wenn nur eine dieser Voraussetzungen fehlt, unterliegt ein Rechtsgeschäft nicht der Beurteilung als wucherisch.

 

Das Berufungsgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zwangslage der Klägerin iSd § 879 Abs 2 Z 4 ABGB im Zeitpunkt des Abschlusses des Vorvertrags und auch des Hauptvertrags bejaht, zur Frage eines auffallenden Missverhältnisses zwischen dem Wert der Leistung und der Gegenleistung sowie zur Ausbeutung, für deren Beurteilung es darauf ankommt, ob dem Wucherer die Zwangslage und das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bewusst ist oder hätte bewusst sein müssen, fehlten noch Feststellungen.

 

Trotz des von den Beklagten erhobenen Einwands der Unschlüssigkeit der Klagebegehren im Hinblick auf die Gesamtnichtigkeit des Vertrags infolge Wuchers, macht die Klägerin eine solche nicht geltend, sondern begehrt vielmehr die Anpassung des Vertrags auf das angemessene Entgelt und stützt sich damit auf eine bloße Teilnichtigkeit. Sie strebt ausdrücklich nicht die Nichtigkeit des gesamten Baurechts- und Dienstbarkeitsvertrags vom 3. 1. 2005 an.

 

Nach der Rsp gelten die Bestimmungen des § 877 ABGB für alle nichtigen Verträge, also auch für solche, die wegen Wuchers nichtig sind. Wucher macht den ganzen Vertrag nichtig, nicht bloß dessen verbotenen Teil. Die Frage, ob nicht nur eine Teilnichtigkeit vorliegt, wird durch § 7 Abs 1 WuchG eindeutig dahin beantwortet, dass bei Vorliegen einer Nichtigkeit wegen Wuchers jeder Teil alles zurückzustellen hat, was er aus dem nichtigen Geschäft zu seinem Vorteil erhalten hat. Das Gesetz beseitigt also den ganzen Vertrag und nicht nur dessen wucherische Bestimmungen. Der wucherische Vertrag ist zwar gem § 7 Abs 1 WuchG zur Gänze nichtig, doch wird durch den durch § 35 KSchG angefügten Abs 2 dieser Gesetzesstelle in Ansehung von Darlehens- oder Kreditverträgen – ohne dies ausdrücklich auszusprechen – im Ergebnis bloße Teilnichtigkeit normiert. Der Bewucherte kann die vertraglichen Rückzahlungsfristen in Anspruch nehmen, er schuldet aber nur geminderte Zinsen in der Höhe des doppelten Basiszinssatzes. Die Rsp gab auch bei Wucher der Teilnichtigkeit den Vorzug, soweit festgelegte Höchstpreise überschritten werden.

 

Nach der hL führt die Anfechtung wegen Wuchers zur Gesamtnichtigkeit der angefochtenen Vereinbarung. Alles aus dem nichtigen Geschäft Empfangene sei zurückzustellen, der wucherische Vertrag sei also – abgesehen von den Fällen des § 7 Abs 2 WuchG – zur Gänze nichtig. In § 7 Abs 2 WuchG werde trotz prinzipieller Gesamtnichtigkeit ein Katalog einzelner Rechtspositionen in Ansehung von Darlehens- oder Kreditverträgen aufgestellt, die dem Bewucherten verbleiben sollen. Im Ergebnis entspreche dies einer präzisierten Teilnichtigkeitsregelung.

 

Demgegenüber vertritt Koziol die Rechtsansicht, dass die nach dem Wortlaut für Gesamtnichtigkeit sprechende Bestimmung des § 7 Abs 1 WuchG als Teilnichtigkeitsregel zu verstehen sei, weil seiner Ansicht nach die unterschiedliche Behandlung wucherischer Kreditgeschäfte und sonstiger wucherischer Rechtsgeschäfte sachlich nicht zu rechtfertigen sei, und die krasse Widersprüchlichkeit nur auf diese Weise verhindert werden könne.

 

In den Gesetzesmaterialien zum KSchG wird aber festgehalten, der Wortlaut des § 7 Abs 1 WuchG schließe es aus, den wucherischen Vertrag nur hinsichtlich der Entgeltvereinbarung als (teil-)nichtig zu betrachten. Der Gesetzgeber ordnete für wucherische Rechtsgeschäfte die Rechtsfolge der gesamten Nichtigkeit weiter an und hielt auch trotz des neu angefügten Abs 2 des § 7 WuchG an diesem Grundsatz fest. Zutreffend verweist Joeinig darauf, dass es nicht zulässig sei, sich über den eindeutigen Wortlaut des § 7 Abs 1 WuchG und die Absicht des Gesetzgebers hinwegzusetzen und für alle wucherischen Verträge die Rechtsfolge der Teilnichtigkeit anzunehmen. Der erkennende Senat teilt daher die Rechtsmeinung von Koziol nicht.

 

Der Baurechts- und Dienstbarkeitsvertrag, dessen Teilnichtigkeit und Anpassung des Entgelts die Klägerin anstrebt, fällt weder unter § 7 Abs 2 WuchG noch besteht hinsichtlich des Entgelts ein festgesetzter Höchstpreis. Aus den vorstehend dargelegten Gründen ist ein wucherischer Vertrag gem § 7 Abs 1 WuchG als ganzer nichtig. Diese Rechtsfolge macht die Klägerin ausdrücklich nicht geltend und will das auch nicht. Sie begehrt (auch im Rekursverfahren) nur Vertragsanpassung auf das vom außergerichtlich beigezogenen Sachverständigen ermittelte Entgelt sowie die Rückzahlung der über das angemessene Entgelt hinaus bezahlten Beträge. Da aber der geltend gemachte Tatbestand des Wuchers den ganzen Vertrag, nicht bloß den verbotenen Teil nichtig machen könnte, ist damit das Klagebegehren unschlüssig und daher abzuweisen.