12.09.2016 Zivilrecht

OGH: Zum Ausweichen gem § 10 StVO

Rechtzeitig ist das Ausweichen nur dann, wenn es so frühzeitig erfolgt, dass der entgegenkommende Verkehrsteilnehmer bei Einhaltung der rechten Straßenseite auf eine größere Strecke freie Bahn hat


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, Mitverschulden, Begegnungsverkehr, Ausweichen, Fahren auf halbe Sicht, Rechtsfahrgebot, Anhalten
Gesetze:

 

§ 10 StVO, § 7 Abs 2 StVO, §§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB

 

GZ 2 Ob 68/16p, 05.08.2016

 

OGH: Gem § 10 Abs 1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeugs einem entgegenkommenden Fahrzeug rechtzeitig und ausreichend nach rechts auszuweichen. Nach Abs 2 der Bestimmung sind einander begegnende Fahrzeuge, wenn nicht oder nicht ausreichend ausgewichen werden kann, anzuhalten.

 

Die Frage der Anhaltepflicht hat grundsätzlich nichts mit der Frage zu tun, ob auf halbe Sicht zu fahren ist. Ein Fahren auf halbe Sicht ist zu fordern, wenn die zur Verfügung stehende Fahrbahn nicht nur unübersichtlich, sondern auch so schmal ist, dass eine Begegnung voraussichtlich kaum möglich sein wird. Während also bei der Beurteilung der Frage, ob auf halbe Sicht zu fahren ist, auf die abstrakte Möglichkeit der Begegnung mit einem Fahrzeug mit der höchst zulässigen Breite von 2,5 m abzustellen ist, hat die Beurteilung der Anhaltepflicht nach den konkreten Umständen zu erfolgen. Bei einem ausreichenden Zwischenraum zum konkret entgegenkommenden Fahrzeug besteht daher keine Verpflichtung zum Anhalten. Muss aber im Begegnungsverkehr angehalten werden, ist es für die Verschuldensfrage nach der Rsp unwesentlich oder zumindest in den Hintergrund tretend, ob das Fahrzeug ausreichend rechts fuhr.

 

Rechtzeitig ist das Ausweichen aber nur dann, wenn es so frühzeitig erfolgt, dass der entgegenkommende Verkehrsteilnehmer bei Einhaltung der rechten Straßenseite auf eine größere Strecke freie Bahn hat. Allein die Tatsache, dass im Augenblick des Zusammenstoßes eine hinlänglich breite Durchfahrtslücke bestand, ist nicht ausreichend, um dem diese nicht nutzenden Fahrzeuglenker das Alleinverschulden anzulasten, ohne nähere Anhaltspunkte dafür, wie und wann das ausweichende Fahrzeug in seine Position kam. Ab dem Zeitpunkt, in dem ein Fahrzeuglenker erkennen kann, dass das gegnerische Fahrzeug ausweicht, reicht daher der Umstand, dass er sein Fahrzeug innerhalb der halben Sichtstrecke anzuhalten vermochte, per se nicht mehr aus, ihn von jeglichem Mitverschulden zu entlasten.