07.11.2016 Zivilrecht

OGH: Zur Rechtsmissbräuchlichkeit eines Pflichtteilsverzichtes

Haben sich die Eltern um eine ausgewogene Versorgung ihrer Kinder durch Schenkungen bemüht, kann der Pflichtteilsverzicht des beschenkten Kindes nicht als rechtsmissbräuchlich gewertet werden


Schlagworte: Erbrecht, Pflichtteilsrecht, Schenkungsanrechnung, Pflichtteilsverzicht, Rechtsmissbrauch, Verjährung
Gesetze:

 

§ 785 ABGB, § 1295 Abs 2 ABGB

 

GZ 2 Ob 220/15i, 29.09.2016

 

OGH: Auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes sind bei der Berechnung des Nachlasses Schenkungen des Erblassers in Anschlag zu bringen (§ 785 Abs 1 ABGB). Schenkungen, die der Erblasser früher als zwei Jahre vor dem Tod an nicht pflichtteilsberechtigte Personen gemacht hat, sind nicht zu berücksichtigen (§ 785 Abs 3 ABGB).

 

Unter den pflichtteilsberechtigten Personen iSd § 785 ABGB, die zur unbefristeten Schenkungsanrechnung verpflichtet sind, sind nur jene zu verstehen, die im konkreten Fall im Zeitpunkt des Erbanfalls tatsächlich pflichtteilsberechtigt sind und die im Schenkungszeitpunkt „abstrakt“ pflichtteilsberechtigt waren. Ein Pflichtteilsverzicht vor dem Erbanfall schließt somit eine fristenlose Anrechnung grundsätzlich aus. Eine Ausnahme ist nach stRsp aber dann geboten, wenn die Berufung auf § 785 Abs 3 ABGB als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist.

 

Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt. Der Schädigungszweck muss so augenscheinlich im Vordergrund stehen, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten. Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt.

 

Hier haben die Eltern den Kindern mehrere Eigentumswohnungen geschenkt und sich um eine ausgewogenen Versorgung ihrer Kinder durch Schenkungen bemüht, was auch den Kindern nicht verborgen geblieben sein kann. Unter diesen Umständen kann ein aus Anlass des Erhaltes einer Schenkung abgegebener Pflichtteilsverzicht nicht als rechtsmissbräuchlich gewertet und dem Geschenknehmer die Berufung auf die Zweijahresfrist des § 785 Abs 3 ABGB nicht versagt werden.