17.01.2017 Verfahrensrecht

OGH: Anordnung einer Elternberatung (losgelöst von einem konkret anhängigen Kontaktrechtsverfahren) gem § 107 Abs 3 AußStrG?

§ 107 Abs 3 AußStrG deckt nicht die Anordnung von Maßnahmen „losgelöst von einem konkret anhängigen Kontaktrechtsverfahren“; die nach § 107 Abs 3 AußStrG erforderlichen Maßnahmen müssen vielmehr mit einem Verfahren über die Ausübung der Obsorge oder des Kontaktrechts im Zusammenhang stehen; das Gericht hat die Maßnahmen auf Antrag oder auch amtswegig nach § 107 Abs 3 AußStrG somit entweder im Obsorge- oder Kontaktregelungsverfahren (Erkenntnisverfahren) oder im Verlauf der zwangsweisen Durchsetzung bestehender Obsorge- oder Kontaktregelungen (Vollzugsverfahren) anzuordnen


Schlagworte: Außerstreitverfahren, Familienrecht, Kontaktrechtsverfahren, Obsorge, Kindeswohl, Anordnungen, erforderliche Maßnahmen, Elternberatung
Gesetze:

 

§ 107 AußStrG, § 186 AGB, § 187 ABGB, §§ 177 ff ABGB

 

GZ 4 Ob 225/16s, 20.12.2016

 

OGH: Nach § 107 Abs 3 AußStrG hat das Gericht zur Sicherung des Kindeswohls die erforderlichen Maßnahmen (zB den verpflichtenden Besuch einer Familien-, Eltern- oder Erziehungsberatung) anzuordnen, soweit dadurch nicht Interessen einer Partei, deren Schutz das Verfahren dient, gefährdet oder Belange der übrigen Parteien unzumutbar beeinträchtigt werden.

 

Die Entscheidung, ob und welche Maßnahme zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Daher kommt ihr im Regelfall keine erhebliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu, sofern nicht leitende Grundsätze verletzt wurden.

 

Eine solche Fehlbeurteilung zeigt die Mutter in ihrem Rechtsmittel insoweit auf, als sie darauf hinweist, dass das Rekursgericht die gegenständliche Maßnahme außerhalb des Gerichtsverfahrens angeordnet habe, wofür keine Veranlassung bestehe.

 

Wenngleich § 107 Abs 3 AußStrG keine Einschränkung dahin enthält, dass die dort vorgesehenen Maßnahmen nur nach einem bestimmten Obsorge- oder Kontaktregelungsantrag zulässig sind, ergibt eine systematische Interpretation, dass die Maßnahme iZm einem Obsorge- oder Kontaktrechtsverfahren stehen muss. § 107 Abs 1 AußStrG regelt bestimmte Sondernormen „im Verfahren“ über die Obsorge oder den persönlichen Kontakt. Abs 4 leg cit spricht davon, dass das Gericht mit „dem Verfahren“ innehalten kann. Auch in Abs 3 wird auf die Interessen der Partei Bezug genommen, deren Schutz „das Verfahren“ dient.

 

Das korrespondiert auch mit den Gesetzesmaterialien zum KindNamRÄG 2013, in denen etwa vom zu erzielenden Einvernehmen „in Obsorge- und Besuchsrechtsverfahren“ die Rede ist. Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts deckt § 107 Abs 3 AußStrG nicht die Anordnung von Maßnahmen „losgelöst von einem konkret anhängigen Kontaktrechtsverfahren“. Die nach § 107 Abs 3 AußStrG erforderlichen Maßnahmen müssen vielmehr mit einem Verfahren über die Ausübung der Obsorge oder des Kontaktrechts im Zusammenhang stehen. Das Gericht hat die Maßnahmen auf Antrag oder auch amtswegig nach § 107 Abs 3 AußStrG somit entweder im Obsorge- oder Kontaktregelungsverfahren (Erkenntnisverfahren) oder im Verlauf der zwangsweisen Durchsetzung bestehender Obsorge- oder Kontaktregelungen (Vollzugsverfahren) anzuordnen. Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG sind als besondere Verfahrensregelungen zur Sicherung des Rechts auf Obsorge oder persönlichen Kontakt anzusehen. Wenn die verfahrensrechtliche Durchsetzung eines Kontaktrechts aber nicht in Betracht kommt, besteht auch keine Grundlage für eine Maßnahme nach § 107 Abs 3 AußStrG.

 

Die angeordnete gemeinsame Elternberatung kann im Anlassfall auch nicht auf § 181 ABGB gestützt werden, zumal die Ergebnisse des Verfahrens keinen Anhalt bieten, von einer (für § 181 ABGB erforderlichen) Gefährdung des Kindeswohls auszugehen, sollte die Beratung unterbleiben. Auch das Rekursgericht spricht nur allgemein davon, dass die von ihm angeordnete Maßnahme der Wahrung des Kindeswohls dient.

 

Wegen der zur Gänze abgelehnten Kontaktrechtsanträge fehlt den Sicherungsmaßnahmen des Rekursgerichts eine Rechtsgrundlage. Dem Revisionsrekurs der Mutter war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.