18.09.2017 Zivilrecht

OGH: Verbandsklage iZm in Mietwagen-AGB vorgesehenen Kosten für das Nachtanken (3,80 EUR/Liter) bei – vereinbarungswidriger - nicht vollgetankter Rückgabe

Eine gröbliche Benachteiligung liegt nicht schon darin, dass (nur) jene Mieter, die ihrer Pflicht zur Rückstellung des Mietgegenstands im übernommenen Zustand in ungleich größerem Maß nicht nachkommen, verhältnismäßig stärker belastet werden als Personen, bei denen der fehlende Tankinhalt nur zwei oder drei Liter beträgt; auch wenn für eine (fast verschwindende) Minderheit der Mieter, die das Fahrzeug entgegen der Vorgaben im Mietvertrag nicht vollgetankt zurückbringen, gegenüber anderen Mietern eine deutliche Mehrbelastung besteht, lastet die Klausel auch diesen Kunden kein nicht von vornherein abschätzbares Zahlungsrisiko auf; es wäre verfehlt, bei der Beurteilung der groben Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB (nur) auf jene kleine Minderheit von nur wenigen Mietern abzustellen, die gegen die vertraglichen Verpflichtungen (Rückgabe eines vollgetankten Fahrzeugs) besonders krass verstoßen; die drohende unverhältnismäßig höhere Belastung eines Mieters, dessen Abweichung zum Geschuldeten größer ausfällt, ist zudem auch geeignet, vertragliche Pflichten zu verstärken


Schlagworte: Konsumentenschutzrecht, Mietwagen, vollständige Betankung, Aufwandersatz, Geltungskontrolle, Inhaltskontrolle
Gesetze:

 

§ 864a ABGB, § 879 ABGB

 

GZ 4 Ob 143/17h, 24.08.2017

 

Die beklagte Partei betreibt ein Mietwagenunternehmen. In Punkt A.4. der AGB heißt es:

 

„A.Fahrzeugstand, Reparaturen, Betriebsmittel

 

4. Dem Mieter wird das Fahrzeug mit vollem Tank übergeben. Im Gegenzug hat der Mieter das Fahrzeug bei Beendigung des Mietverhältnisses ebenso mit einem vollen Kraftstofftank zurückzugeben. Wird das Fahrzeug nicht vollständig betankt zurückgestellt, wird S***** die Betankung durch eigene Mitarbeiter durchführen und dem Mieter dafür Kosten in Höhe von 3,80 EUR/Liter fehlenden Kraftstoffs in Rechnung stellen. ...“

 

 

OGH: Die Vorinstanzen haben übereinstimmend die zutreffende Rechtsansicht vertreten, dass der Unterlassungsanspruch nicht auf § 864a ABGB gestützt werden kann. Objektiv ungewöhnlich ist nur eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte; der Klausel muss also ein Überrumpelungseffekt oder Übertölpelungseffekt innewohnen. Ein solcher Überraschungseffekt liegt hier schon deshalb nicht vor, weil Treibstoff unter den Begriff „Betriebsmittel“ zu subsumieren ist. Die Bestimmung über die Folgen eines Fehlbestands kann einen durchschnittlichen Konsumenten weder wegen des Inhalts der Klausel noch wegen ihrer Stellung im Vertragsgefüge überraschen oder überrumpeln, weil der Treibstoff nicht im Mietpreis inkludiert ist und sich die Klausel im Abschnitt über „Betriebsmittel“ findet.

 

Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass die Klausel inhaltlich nach § 879 Abs 3 ABGB zu prüfen ist, weil kein Fall der Festlegung einer beiderseitigen Hauptleistung iS dieser Bestimmung vorliegt. Nicht schon jede die Hauptleistung betreffende Vertragsbestimmung ist der Kontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB entzogen. Als Hauptleistungspflicht werden nur jene Vertragsbestandteile verstanden, die die individuelle zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen festlegen, es sind dies jene Bestandteile eines Vertrags, die die Parteien vereinbaren müssen, damit ein hinreichend bestimmter Vertrag zustande kommt. Bestimmungen, die die Preisberechnung in allgemeiner Form regeln oder die die vertragstypische Leistung in allgemeiner Form näher umschreiben, sind aber nicht von der die Hauptleistungspflicht betreffenden Ausnahme umfasst. Weder die Pauschalierung von Entgelten noch die Vereinbarung einer Konventionalstrafe oder die vertragliche Festlegung, in welchem Zustand ein Bestandobjekt zurückzustellen ist, entziehen sich der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ZPO. Die Vorinstanzen sind bei der Beurteilung nach § 879 Abs 3 ZPO daher zutreffend davon ausgegangen, dass die Klausel nicht die Hauptleistungspflicht des Mieters betrifft, zumal der Begriff der Hauptleistung möglichst eng zu ziehen ist.

 

Eine gröbliche Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB liegt nicht vor.

 

Durch die Bestimmung des § 879 Abs 3 ABGB wurde ein eine objektive Äquivalenzstörung und „verdünnte Willensfreiheit“ berücksichtigendes bewegliches System geschaffen. Eine Einschränkung des Willensentschlusses eines Mieters durch die Bestimmung liegt hier nicht vor, weil dieser jedenfalls frei wählen kann, ob er das Fahrzeug nicht vollgetankt zurückstellt und das mühevolle Nachtanken dem beklagten Vermieter überlässt, oder ob er es selbst auftankt. Damit ist seine Willensfreiheit aber auch nicht in besonderem Maß „verdünnt“. Es kann dabei dahinstehen, ob es sich bei der Klausel um eine Wahlschuld oder um eine pauschalierte Konventionalstrafe handelt, weil diese Frage für die Beurteilung der gröblichen Benachteiligung hier irrelevant ist.

 

Bei der Abweichung einer Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften liegt gröbliche Benachteiligung eines Vertragspartners dann vor, wenn sie unangemessen ist bzw für die Abweichung keine sachliche Rechtfertigung vorliegt. Das Berufungsgericht hat die gröbliche Benachteiligung (nur) deshalb bejaht, weil die Klausel wegen des fixen Pauschalbetrags pro fehlendem Liter die Mieter mit einem großen Fehlbestand besonders hoch belastet.

 

Die Pauschalierung eines Aufwandersatzes ist nicht von vornherein unzulässig, so lange damit „die konkreten Kosten nicht grob überschritten“ werden. Bei der iZm einer zulässigen Pauschalierung vorzunehmenden Durchschnittsbetrachtung ist im Anlassfall eine grobe Überschreitung der „konkreten“ Kosten zu verneinen. Der Senat hat zu einer pauschalen Aufwandsentschädigung von Telefonkosten bei einem Gewinnspiel jüngst festgehalten, die Pauschalierung sei deswegen zulässig gewesen, weil es der Beklagten nicht möglich war, die Kosten ex ante genauer zu kalkulieren oder sie jedem Teilnehmer ex post in der exakten Höhe vorzuschreiben. Daran ist auch hier anzuknüpfen.

 

Bei der weitaus überwiegenden Anzahl jener Kunden, die das Fahrzeug mit weniger Kraftstoff zurückstellen als vereinbart, stellt die beklagte Partei ohnedies nur Beträge in Rechnung, die unter dem ihr entstandenen Aufwand liegen. Die von den Fahrzeugmietern dabei zu bezahlende Summe ist exakt berechenbar und trotz der Pauschalierung keineswegs exzessiv. Nur eine verschwindende Anzahl von Kunden (im Promillebereich!) wird mit mehr als dem durchschnittlichen Aufwand der beklagten Partei belastet. Ebenso wie es nicht erforderlich ist, dass die Höhe einer pauschalen Gebühr exakt mit dem tatsächlichen Aufwand korrelieren muss, führt auch das Bestehen einzelner Härtefälle nicht stets zur Unwirksamkeit der Klausel nach § 879 Abs 3 ABGB. Die gegenteilige Ansicht würde jede Pauschalierung unmöglich machen.

 

Eine gröbliche Benachteiligung liegt nämlich nicht schon darin, dass (nur) jene Mieter, die ihrer Pflicht zur Rückstellung des Mietgegenstands im übernommenen Zustand in ungleich größerem Maß nicht nachkommen, verhältnismäßig stärker belastet werden als Personen, bei denen der fehlende Tankinhalt nur zwei oder drei Liter beträgt. Auch wenn für eine (fast verschwindende) Minderheit der Mieter, die das Fahrzeug entgegen der Vorgaben im Mietvertrag nicht vollgetankt zurückbringen, gegenüber anderen Mietern eine deutliche Mehrbelastung besteht, lastet die Klausel auch diesen Kunden kein nicht von vornherein abschätzbares Zahlungsrisiko auf. Es wäre verfehlt, bei der Beurteilung der groben Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB (nur) auf jene kleine Minderheit von nur wenigen Mietern abzustellen, die gegen die vertraglichen Verpflichtungen (Rückgabe eines vollgetankten Fahrzeugs) besonders krass verstoßen.

 

Die drohende unverhältnismäßig höhere Belastung eines Mieters, dessen Abweichung zum Geschuldeten größer ausfällt, ist zudem auch geeignet, vertragliche Pflichten zu verstärken. Darin liegt auch ein relevanter Unterschied zur vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidung 3 Ob 268/09x. Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass die dort zu prüfende Räumungspauschale gerade solche Heimbewohner überdurchschnittlich belastete, die nur wenige Gegenstände (Kleidungsstücke und Toiletteartikel) zurückgelassen hatten, deren Abweichung vom Geschuldeten somit kleiner war.

 

Schließlich erfordert die Beurteilung, ob die Abweichung von der für den Durchschnittsfall getroffenen Norm sachlich gerechtfertigt ist, eine umfassende, die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Interessensabwägung. Bei der erforderlichen Interessensabwägung hat sich das Berufungsgericht aber allein auf die überproportionale Belastung der Kunden mit großem Tankfehlbestand gestützt.

 

Hingegen wurden vom Erstgericht zutreffend auch die fehlenden Alternativen für die beklagte Partei hervorgehoben und zu Recht festgehalten, dass eine exakte Bezugnahme auf den tatsächlich entstandenen Schaden für den Vermieter schwierig zu kalkulieren und für den Mieter völlig unvorhersehbar ist. Soweit die klagende Partei postuliert, dass der Mehraufwand in den Mietpreis einzukalkulieren sei, wies das Erstgericht zu Recht darauf hin, dies würde auch jene Mieter belasten, die ihr Fahrzeug vertragskonform zurückstellen, und sei deshalb noch weitaus weniger sachgerecht.

 

Die Unwirksamkeit der Klausel kann somit weder auf § 864a ABGB noch auf § 879 Abs 3 ABGB gestützt werden.