20.02.2018 Zivilrecht

OGH: Zur Meinungsfreiheit von Rechtsanwälten gegenüber Medien

Über die Medien verbreitete Vorwürfe eines Rechtsanwalts gegen einen Prozessgegner seines Klienten sind nur dann zulässig, wenn sie eine ausreichend substantiierte Tatsachengrundlage haben


Schlagworte: Persönlichkeitsrecht, Ehre, Unschuldsvermutung, Strafverfahren, Medienrecht, Unterlassung Rechtsanwalt, Pressemitteilung, Interview, Litigation-PR
Gesetze:

 

§ 16 ABGB, § 1330 ABGB, Art 6 EMRK, § 9 RAO

 

GZ 6 Ob 193/17a, 21.12.2017

 

OGH: Im Widerstreit zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte bestehen Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit eines Rechtsanwalts nur in Ausnahmefällen. Jedoch agiert ein Rechtsanwalt im Rahmen einer Pressekonferenz bei verbalen Angriffen gegen einen Prozessgegner seines Klienten nicht mehr im Rahmen der ihm als Rechtsvertreter zukommenden Aufgaben der Rechtspflege, weil dies zur Rechtsdurchsetzung oder Rechtsverteidigung nichts sachlich Zielführendes beiträgt; Pressekonferenzen wie überhaupt mediale Ereignisse sind regelmäßig kein geeignetes Forum, Rechtsstandpunkte gegenüber einem Verfahrensgegner durchzusetzen. Öffentliche ehrenbeleidigende Behauptungen über den Gegner können nur zu einer unsachlichen Emotionalisierung führen, die der ordnungsgemäßen Rechtspflege nicht nur nicht dienlich, sondern abträglich ist. Während dem Gegner vor Gericht rechtliches Gehör zu gewähren ist (Art 6 EMRK), hat der Betroffene, dessen Ehre anlässlich medialer Ereignisse angegriffen wird, in den meisten Fällen keine Möglichkeit, den Angriffen auf dieselbe Art und Weise entgegenzutreten; vielmehr ist er einer öffentlichen Herabwürdigung (regelmäßig) schutzlos ausgeliefert, weshalb herabwürdigende Äußerungen auf Pressekonferenzen auch nicht von § 9 RAO gedeckt sind.

 

Auch der EGMR differenziert zwischen anwaltlichen Äußerungen im Zuge des Verfahrens und Äußerungen außerhalb des Verfahrens (etwa in Pressemitteilungen oder Interviews): Maßgeblich ist, ob die Vorwürfe nur vor Gericht und strikt auf das Verhalten im Einzelnen, nicht jedoch gegen die Person als solche gerichtet wurden. So sind zB die Verhängung einer Kriminalstrafe für anwaltliche Kritik an einem Staatsanwalt im Gerichtssaal oder die Verhängung einer Haftstrafe wegen vermeintlicher Missachtung des Gerichts unverhältnismäßige Eingriffe in das Recht auf freie Meinungsäußerung. Anwaltliche Meinungsäußerungen außerhalb des Verfahrens (etwa in Pressekonferenzen oder Interviews) beurteilt der EGMR hingegen strenger: So liegt etwa eine Verletzung des Art 10 EMRK nicht vor, wenn ein nationales Gericht einen Rechtsanwalt, der Schriftsätze in der Presse verbreitet, die als Korruptionsvorwürfe gegen eine Richterin verstanden werden müssen, zur Leistung von Schadenersatz verurteilt oder eine Geldstrafe über eine Rechtsanwältin verhängt, die in einer Pressemitteilung den Justizbehörden Terrormethoden und Polizeibrutalität vorwirft, wenn es an einem entsprechenden Tatsachensubstrat fehlt. Über die Medien verbreitete Vorwürfe (auch) eines Rechtsanwalts sind daher nur dann zulässig, wenn sie eine ausreichend substantiierte Tatsachengrundlage haben.