30.07.2018 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, wie weit bei gesundheitsschädlichen Immissionen das in § 364 Abs 1 ABGB normierte Rücksichtnahmegebot auch auf Seiten des Gestörten tatsächlich reicht (hier: Blendwirkung aufgrund niedrig installierter Solarpaneele)

Je mehr die schädlichen Immissionen auf ein Manko in der Sphäre des Störers zurückzuführen sind, umso weniger kann man Abhilfemaßnahmen durch den Gestörten im Rahmen der Prüfung der Beeinträchtigung auf ihre Wesentlichkeit als zumutbar ansehen


Schlagworte: Nachbarrecht, Immissionen, Ortsüblichkeit, Rücksichtnahmegebot, Abhilfemaßnahmen durch den Gestörten, Interessenabwägung, Solaranlage
Gesetze:

 

§ 364 ABGB

 

GZ 1 Ob 1/18f, 29.05.2018

 

OGH: Im Rekursverfahren ist nicht mehr strittig, dass die von der Solaranlage der Beklagten ausgehenden Einwirkungen auf das Grundstück des Klägers nicht als ortsüblich qualifiziert werden können. Dazu kann zudem auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden, wobei hervorzuheben ist, dass für die Frage der Ortsüblichkeit nicht auf die Immissionsquelle, sondern in erster Linie auf die den Nachbarn treffende nachteilige Einwirkung abzustellen ist. Dass andere Liegenschaftseigentümer in der Umgebung von vergleichbar gravierenden und aus ungewöhnlicher Richtung kommenden Blendwirkungen betroffen wären, haben die Beklagten nie konkret behauptet; dies wurde auch nicht festgestellt.

 

Die Vorinstanzen sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass ein Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB nur insoweit besteht, als die vorliegenden ortsunüblichen Immissionen die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen, und haben in diesem Zusammenhang in Auseinandersetzung mit den entsprechenden Einwendungen der Beklagten erörtert, ob die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung allenfalls deshalb zu verneinen ist, weil der Kläger diese durch einfache – und ihm daher zumutbare – Abwehrmaßnahmen hintanhalten könnte. Dabei haben sie sich auch mit dem zu 4 Ob 43/16a ergangenen Beschluss des OGH befasst, nach dessen Begründung bei der gebotenen Interessenabwägung ua auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Störer den beeinträchtigenden Zustand durch „unsachgemäßes Vorgehen“ geschaffen hat.

 

Vor allem letzterem Aspekt hat das Berufungsgericht nach Auffassung des erkennenden Senats keine ausreichende Beachtung geschenkt. Ebensowenig hat es sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit den Beklagten Mittel zur Verfügung stehen, die nachteiligen Auswirkungen ihrer Anlage selbst zu beseitigen oder zumindest erheblich zu verringern. Auch wenn es zutreffen mag, dass entgegen der erstgerichtlichen Auffassung den Beklagten nicht vorgehalten werden kann, ihre Solarpaneele „in unüblicher Weise“ nach Osten (und Westen) anstatt nach Süden ausgerichtet zu haben, liegt ein objektiver Fehler in ihrer Sphäre zweifellos darin, die Paneele in ungewöhnlich niedriger Höhe angebracht und damit die besonders unangenehme Art der Blendwirkung – insoweit weicht der Sachverhalt entgegen der Ansicht der Beklagten erheblich von dem zu 10 Ob 20/11f beurteilten ab – überhaupt erst herbeigeführt zu haben. Dass sie die Paneele nicht – wie an sich üblich und naheliegend – auf ihrem Hausdach, sondern auf dem (neu errichteten) Dach des erheblich niedrigeren Wintergartens positioniert haben, mag auf die damit verbundene Kostenersparnis zurückzuführen sein, kann aber nicht dazu führen, dass es nun ausschließlich an dem beeinträchtigten Nachbarn läge, sich um Abwehrmaßnahmen zu bemühen. Je mehr die schädlichen Immissionen auf ein Manko in der Sphäre des Störers zurückzuführen sind, umso weniger kann man Abhilfemaßnahmen durch den Gestörten im Rahmen der Prüfung der Beeinträchtigung auf ihre Wesentlichkeit als zumutbar ansehen. Warum es die Beklagten entlasten sollte, dass der Balkon auch der natürlichen Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist, erschließt sich dem Senat nicht, zumal diese von oben kommt und unwillkürliche Blicke in die Sonne regelmäßig vermieden werden können.

 

Im vorliegenden Fall vertreten die Beklagten (und das Berufungsgericht) die Auffassung, es wäre dem Kläger ohne weiteres zuzumuten, (zumindest) zwei Sonnenschirme (einen für den Balkon und einen für die Terrasse) anzuschaffen und während mehrerer Monate täglich vor Beginn der kritischen Tageszeiten in Funktion zu setzen, wobei allenfalls eine Sonnenbrille zu Hilfe zu nehmen wäre, um sich dem direkten Blick in das grelle Licht nicht aussetzen zu müssen. Abgesehen davon, dass die Beklagten nicht einmal angeboten haben, die Kosten solcher Abwehrmaßnahmen zu übernehmen, ist dem Erstgericht beizupflichten, dass ein derartiges Verhalten dem Kläger billigerweise nicht zugemutet werden kann. Erstaunlicherweise setzen sich die Beklagten mit (vergleichbaren) Abhilfemaßnahmen, die von ihnen selbst getroffen werden könnten, nicht einmal ansatzweise auseinander, obwohl nicht zu erkennen ist, warum solche nicht in Betracht kommen sollten. Ebenso wie sie dem Kläger zusinnen wollen, Sonnenschirme zu erwerben, diese an bestimmten Stellen seiner Liegenschaft zu platzieren und (täglich) vor Beginn der gesundheitsgefährdenden Blendwirkung in Funktion zu setzen, könnten sie ohne weiteres selbst auf ihrer Liegenschaft die Initiative zu einem vergleichbaren Schutz ergreifen. Abgesehen von der schon vom Erstgericht festgestellten Möglichkeit der Verringerung der Blendwirkung durch Aufbringen eines Anstrichs wäre etwa an die Montage eines Sonnensegels an der östlichen Kante des Wintergartendachs zu denken, das senkrecht montiert und in den kritischen Zeiten aufgespannt wird.

 

Da somit die gebotene nachbarrechtliche Interessenabwägung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zugunsten des Klägers ausfällt, ist das klagestattgebende erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.