03.09.2018 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob der Linksabbieger nach einem kurzen Stillstand bzw bei Überholtwerden durch mehrere Fahrzeuge vor dem eigentlichen Linksabbiegevorgang einen zweiten Kontrollblick machen muss

Hier bestand zwar keine Unklarheit über den Abbiegeort und die Abbiegerichtung, weil nur eine Straße T-förmig von der Bundesstraße abzweigte; der Kläger war aber in Annäherung an die Unfallstelle, an der Spitze einer Kolonne fahrend, von mehreren Fahrzeugen überholt worden und blieb überdies vor dem Einbiegen kurz stehen; in dieser Situation war von ihm – selbst wenn man die Ausführung des Erstgerichts in seiner rechtlichen Beurteilung, dass die Einbiegestelle gut einsichtig ist, als dislozierte Feststellung wertet (die diesbezüglichen eigentlichen Feststellungen sind unklar) – ein zusätzlicher Kontrollblick unmittelbar vor dem Abbiegen zu fordern; dem Berufungsgericht ist daher darin zuzustimmen, dass in der Unterlassung dieses Kontrollblicks ein Mitverschulden begründender Umstand zu erblicken ist


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, Linksabbieger, zweiter Kontrollblick, Mitverschulden
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 11 StVO, § 12 StVO, § 15 StVO, § 16 StVO, § 3 StVO, § 1304 ABGB

 

GZ 2 Ob 121/18k, 30.07.2018

 

OGH: Hat der Lenker eines Fahrzeugs seine Absicht, nach links abzubiegen, rechtzeitig angezeigt und sich davon überzeugt, dass niemand zum Überholen angesetzt hat, dann ist er nicht verpflichtet, unmittelbar vor dem Abbiegen nach links noch einmal den nachfolgenden Verkehr zu beobachten. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass ein nachfolgender Fahrzeuglenker dieses Manöver wahrnehmen, sich vorschriftsmäßig verhalten und ihn rechts überholen werde. In diesem Falle braucht er auch an Kreuzungen nicht damit zu rechnen, links überholt zu werden. Dieser Grundsatz gilt allerdings nur mit der Einschränkung, dass nicht besondere Gründe den Linksabbieger eine Gefahr erkennen lassen und damit besondere Vorsicht erforderlich machen bzw der Einbiegende damit rechnen muss, dass hinter ihm eine unklare Verkehrslage besteht. Ob somit die Unterlassung eines weiteren Rückblicks unmittelbar vor dem Linksabbiegen ein Verschulden begründet, hängt letztlich von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab.

 

Ein weiterer Kontrollblick wurde etwa verlangt, wenn die Einmündung, in die abzubiegen beabsichtigt ist, für nachkommende Verkehrsteilnehmer schwer erkennbar ist, bei einer Grundstücks-, Betriebs- oder Hofzufahrt, bei einer erst aus der Nähe wahrnehmbaren Nebenstraße, oder wenn der Lenker zwar blinkte, aber nicht zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet war oder sich nicht einordnen konnte, oder so lange blinkte, dass die genaue Abbiegestelle unklar wurde.

 

Eine unklare Lage für den Nachfolgeverkehr und daher die Notwendigkeit eines Kontrollblicks unmittelbar vor dem Abbiegen erzeugt auch ein Kraftfahrzeuglenker, der an der Spitze einer Kolonne fährt und in einen unbedeutenden, erst im letzten Augenblick erkennbaren Seitenweg einbiegen will. Ähnliches wurde für einen Kraftfahrer ausgesprochen, der zwar seine Absicht, nach links abzubiegen rechtzeitig und ordnungsgemäß anzeigte, sich aber vor dem Einbiegen von zwei nachkommenden Personenkraftwagen links überholen ließ und für einen Kraftfahrer, der zwar links blinkte, dann aber stehen blieb und schließlich doch links einbog, ohne die nachfahrenden Verkehrsteilnehmer zu beachten. Auch ein erheblicher Geschwindigkeitsunterschied, bei dem mit einem möglichen Überholmanöver zu rechnen ist, kann ein Grund für die Notwendigkeit eines solchen weiteren Kontrollblicks sein.

 

Hier bestand zwar keine Unklarheit über den Abbiegeort und die Abbiegerichtung, weil nur eine Straße T-förmig von der Bundesstraße abzweigte. Der Kläger war aber in Annäherung an die Unfallstelle, an der Spitze einer Kolonne fahrend, von mehreren Fahrzeugen überholt worden und blieb überdies vor dem Einbiegen kurz stehen. In dieser Situation war von ihm – selbst wenn man die Ausführung des Erstgerichts in seiner rechtlichen Beurteilung, dass die Einbiegestelle gut einsichtig ist, als dislozierte Feststellung wertet (die diesbezüglichen eigentlichen Feststellungen sind unklar) – ein zusätzlicher Kontrollblick unmittelbar vor dem Abbiegen zu fordern. Dem Berufungsgericht ist daher darin zuzustimmen, dass in der Unterlassung dieses Kontrollblicks ein Mitverschulden begründender Umstand zu erblicken ist.

 

Bei der Gewichtung dieses Mitverschuldens ist aber zu bedenken, dass die Geschwindigkeitsdifferenz bzw das Langsamerwerden des Traktors auf der Bundesstraße auch für die nachfolgende Erstbeklagte einen besonderen Auffälligkeitswert haben und sie zu besonderer Aufmerksamkeit und Vorsicht veranlassen musste. Überdies war der Kläger mit dem Traktor zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet und blinkte seit längerem ordnungsgemäß und wahrnehmbar.

 

Das Verschulden der Klägerin ist daher zu Recht unstrittig, wobei nach der Rsp das Übersehen eines in Tätigkeit befindlichen Blinkers stets als schwerwiegend anzusehen ist. Insgesamt ist ihr Fehlverhalten daher gegenüber dem unterlassenen Kontrollblick des Klägers als wesentlich schwerer einzustufen und mit 3 : 1 zu ihren Lasten zu gewichten.