09.06.2020 Zivilrecht

OGH: § 364 Abs 2 ABGB – zur Frage der Ortsüblichkeit einer Immission „bei möglicher Gesundheitsschädigung“ (hier: iZm Geruchsimmissionen)

So wie bereits bei der Beurteilung, ob die ortsübliche Nutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigt ist, nicht auf eine besondere Empfindlichkeit der betroffenen Person, sondern auf das Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners des betroffenen Grundstücks abzustellen ist, also auf das subjektive Empfinden eines Durchschnittsmenschen in der Lage des Gestörten, ist auch iZm der Haftung für gesundheitsschädigende Immissionen nicht auf eine besondere Sensibilität der Nachbarn Bedacht zu nehmen; eine solche Sensibilität kann für sich allein nicht zum Anlass genommen werden, die Einwirkung gänzlich zu untersagen; vielmehr kommt es darauf an, dass die Immission überhaupt – und nicht nur für übersensible Menschen – gesundheitsgefährdend bzw gesundheitsbeeinträchtigend ist; dafür trifft die betroffenen Nachbarn die Beweislast


Schlagworte: Nachbarrecht, Immissionen, Geruchsimmissionen, mögliche Gesundheitsschädigung
Gesetze:

 

§ 364 ABGB

 

GZ 1 Ob 62/20d, 28.04.2020

 

OGH: Unstrittig ist, dass die Geruchsimmissionen von keiner behördlich genehmigten Anlage der Beklagten iSd § 364a ABGB ausgehen.

 

Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliches insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Beide Kriterien müssen kumulativ vorliegen, weshalb auch übermäßige Immissionen zu dulden sind, wenn sie die ortsübliche Nutzung nicht wesentlich beeinträchtigen, aber auch, wenn sie das ortsübliche Maß nicht übersteigen, obwohl die ortsübliche Nutzung des Grundstücks dadurch wesentlich beeinträchtigt wird.

 

Für die – sowohl hinsichtlich des Ausmaßes der Immissionen als auch der Beeinträchtigung des dadurch betroffenen Grundstücks – zu berücksichtigenden örtlichen Verhältnisse kommt es neben Dauer und Intensität ua auch auf die Art der Einwirkung, den Grad ihrer Störungseignung sowie auf den „Charakter der Gegend“ an. Die Ortsüblichkeit ist nach den tatsächlichen Verhältnissen in der maßgebenden Umgebung zu beurteilen, die sich im Regelfall nicht auf das emittierende und das beeinträchtigte Grundstück reduzieren lässt, sondern Gebiets- bzw Stadtteile („Viertel“) mit annähernd gleichen Lebens- und Umweltbedingungen umfasst. Erforderlich ist ein Vergleich der Benützung des störenden (nicht des betroffenen) Grundstücks mit anderen Grundstücken des betreffenden Gebiets, wobei die Ortsüblichkeit einer Immission im zu betrachtenden Raum idR davon abhängt, ob schon eine größere Anzahl von dort gelegenen Grundstücken so genützt wird, dass von ihnen den zu beurteilenden Immissionen entsprechende Einwirkungen ausgehen. Flächenwidmungspläne haben in diesem Zusammenhang eine Indizfunktion für die im betreffenden Raum tatsächlich bestehenden Verhältnisse.

 

Zutreffend legt das Berufungsgericht dar, dass das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren Feststellungen zu den örtlichen Verhältnissen im Gemeindegebiet zu treffen haben wird, insbesondere ob die Liegenschaften der Parteien in einem Siedlungsgebiet liegen oder von landwirtschaftlich genutzten Liegenschaften umgeben sind. Entgegen der Ansicht der Kläger ist die einzig vom Erstgericht dazu getroffene Feststellung, dass die konkret auf ihre Liegenschaft einwirkenden Geruchsimmissionen lediglich vom Grundstück der Beklagten herrührten, für die rechtliche Beurteilung der – weiter zu verstehenden – örtlichen Verhältnisse nicht ausreichend.

 

Bei der Beurteilung, ob eine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung der Liegenschaft der Kläger vorliegt, ist nicht auf die besondere Empfindlichkeit der betroffenen Personen, sondern auf das Empfinden eines „Durchschnittsmenschen“ in der Lage des Beeinträchtigten abzustellen. Der nach dem Nachbarrecht gebotene sozialrelevante Interessenausgleich erfordert, die Frage nach der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung vom Standpunkt eines verständigen Durchschnittsmenschen aus zu beantworten, der auf die allgemeinen Interessen und gesellschaftlich bedeutsamen Gesichtspunkte wenigstens auch Bedacht nimmt. Es kommt also nicht auf die individuelle Person des mehr oder minder sensiblen Nachbarn, sondern auf das Empfinden des Durchschnittsmenschen an, der sich in der Lage des Gestörten befindet.

 

Nach der Rsp zu § 364 Abs 2 ABGB findet die Ortsüblichkeit aber dort ihre Grenzen, wo die Benutzung der Nachbarliegenschaft so weit beeinträchtigt ist, dass es zu Personenschäden kommt. Derartige Immissionen müssen grundsätzlich immer untersagbar sein. So wie aber bereits bei der Beurteilung, ob die ortsübliche Nutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigt ist, nicht auf eine besondere Empfindlichkeit der betroffenen Person, sondern auf das Empfinden eines durchschnittlichen Bewohners des betroffenen Grundstücks abzustellen ist, also auf das subjektive Empfinden eines Durchschnittsmenschen in der Lage des Gestörten, ist auch iZm der Haftung für gesundheitsschädigende Immissionen nicht auf eine besondere Sensibilität der Nachbarn Bedacht zu nehmen. Eine solche Sensibilität kann für sich allein nicht zum Anlass genommen werden, die Einwirkung gänzlich zu untersagen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Immission überhaupt – und nicht nur für übersensible Menschen – gesundheitsgefährdend bzw gesundheitsbeeinträchtigend ist. Dafür trifft die betroffenen Nachbarn die Beweislast.

 

Auch bei Geruchsimmissionen ist auf das Empfinden eines „Durchschnittsmenschen“ abzustellen.

 

Von diesen Grundsätzen ging das Berufungsgericht im Ergebnis aus, auch wenn es meint, es könne die Ansicht, wonach eine Einwirkung nicht als ortsüblich beurteilt werden könne, wenn sie die Gesundheit der davon betroffenen Menschen ganz allgemein gefährde, in dieser Allgemeinheit nicht teilen. Die höchstgerichtliche Rsp geht aber davon aus, dass eine Einwirkung, die die Gesundheit davon betroffener Menschen ganz allgemein gefährdet, nicht als ortsüblich beurteilt werden kann. Das Berufungsgericht legte dieser Rsp in seiner Beurteilung ein verfehltes Verständnis zugrunde. Zutreffend zeigt es aber auf, dass die erstinstanzliche Feststellung, die Immissionen seien „abstrakt gesundheitsschädigend“ für die abschließende rechtliche Beurteilung nicht ausreichend aussagekräftig ist. Aus dieser Feststellung ergibt sich nicht, ob lediglich die Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung für besonders anfällige oder sensible Personen besteht oder ob darunter – wie maßgeblich – eine allgemeine, jedermann treffende Gefährdung seiner Gesundheit zu verstehen ist und wie sich diese auswirkt; es ist auch nicht ausreichend klar, ob physische oder psychische Schäden zu befürchten sind. Dass in diesem Zusammenhang Feststellungen fehlen, zeigen die Kläger selbst auf, wenn sie dazu im Rekurs ergänzende Feststellungen verlangen. Steht aber eine konkret drohende Gesundheitsschädigung weder dem Grunde noch der Art nach fest, kann die Sache entgegen der Auffassung der Rekurswerber auch nicht deshalb spruchreif sein, weil durch § 16 ABGB und Art 2 EMRK ein absolutes Persönlichkeitsrecht auf körperliche Integrität und Gesundheit begründet werde.

 

Die Klage nach § 364 Abs 2 ABGB ist ein Anwendungsfall der negatorischen Eigentumsklage. Das Begehren geht auf Unterlassung des Eingriffs. Der eigentliche Inhalt des nachbarrechtlichen Untersagungsanspruchs ist, dass der Beklagte dafür zu sorgen hat, dass sein Nachbar nicht durch Immissionen beeinträchtigt wird, wobei die Art, wie dies zu geschehen hat, dem Beklagten überlassen bleibt. Ein Unterlassungsbegehren betreffend Immissionen durch Geruch bzw Gestank muss nicht quantifiziert werden. In der E 9 Ob 48/12t erkannte der OGH das Unterlassungsbegehren, die Beklagten seien schuldig, jegliche von ihrer Liegenschaft ausgehenden und auf die Liegenschaft der Kläger einwirkenden Geruchsimmissionen zu unterlassen, soweit dadurch das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten und die ortsübliche Nutzung der Liegenschaft wesentlich beeinträchtigt werde, als ausreichend konkret.

 

Im fortzusetzenden Verfahren wird mit den Klägern zu erörtern sein, dass ihr Unterlassungsbegehren nicht ausreichend bestimmt formuliert ist. Der erste Teil des Begehrens, wonach die Beklagten Geruchsimmissionen unterlassen sollen, „soweit dadurch das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß an Geruchsimmissionen überschritten wird“, ist insofern unzureichend, als der Anspruch nach § 364 Abs 2 ABGB auch noch die unzumutbare Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung voraussetzt. Darauf nimmt dieser Teil des Unterlassungsbegehrens nicht Bedacht.