10.08.2011 Zivilrecht

OGH: Unberechtigter Verkauf von Wertpapieren - Ersatz des gemeinen Werts (der mittlerweile im Kurs gefallenen Wertpapiere) zum Zeitpunkt der Schädigung bei gefälschtem Überweisungsauftrag und gefälschtem Verkaufsauftrag?

Der einem Geschädigten im Fall der Untunlichkeit der Naturalrestitution eingeräumte Anspruch auf Ersatz des gemeinen Werts/Schätzwerts zum Schädigungszeitpunkt ist auf die Fälle zugeschnitten, in denen es um die reale Beschädigung (oder Zerstörung) einer körperlichen Sache geht, aber nicht um den Verlust „volatiler“ Wertpapiere durch deren unberechtigten Verkauf; anderes gilt bei beabsichtigten, aber – auf Grund des Verkaufs der Wertpapiere - gescheiterten Verfügungen des Geschädigten über sein Wertpapierdepot


Schlagworte: Schadenersatzrecht, unberechtigter Verkauf von Wertpapieren, gefälschter Überweisungsauftrag, gefälschter Verkaufsauftrag, Ersatz des gemeinen Werts zum Zeitpunkt der Schädigung, Naturalrestitution
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 1 Ob 46/11p, 21.06.2011

 

OGH: Durch den Verkauf seiner Wertpapiere ist dem Kläger ein Schaden entstanden, der in deren Verlust lag, zumal er selbst von einem „rechtmäßigen“ Erwerb der Wertpapiere durch den Käufer ausgeht und einen Herausgabeanspruch gegen diesen ausdrücklich verneint. Dieser Schaden ist nach § 1323 ABGB vorrangig durch Naturalrestitution auszugleichen. Diese besteht ganz allgemein in der Schaffung einer gleichwertigen Ersatzlage. Der Kläger ist also so zu stellen, wie er ohne den Verkauf stünde. Bei hypothetischem Verlauf befänden sich die Wertpapiere noch in Verwahrung der Depotbank. Der Kläger stellt(e) nämlich nur auf eine hypothetische Dispositionsmöglichkeit ab. Eine konkrete Absicht, die Wertpapiere verkaufen zu wollen, hat er nie behauptet. Sonstige konkrete Pläne, über die Wertpapiere zu verfügen (wie etwa durch Verpfändung), die aufgrund des rechtswidrigen Verkaufs nicht realisiert werden konnten, wurden und werden nicht einmal angedeutet. Dem Kläger steht also der Anspruch auf Verschaffung derselben Anzahl der „abhandengekommenen“ Wertpapiere als von der beklagten Bank zu erbringende Naturalleistung zu, was der beklagten Partei auch keine besonderen Schwierigkeiten bereiten dürfte. Mit der Rückstellung der Wertpapiere in das Depot und Verbriefung der Anteilsrechte wird die Rechtsposition des Bankkunden so wiederhergestellt, wie sie vor dem Verkauf bestand.

 

Ähnliche Überlegungen liegen jener Rsp zugrunde, die einem Bankkunden im Fall einer rechtswidrigen Kontobelastung (nur) den Anspruch auf Wiedergutschrift / Rückbuchung (als Schadenersatzanspruch) zugesteht, weil damit mangels Behauptung anderer Umstände der durch die vertragswidrige Buchung bewirkte Nachteil restlos ausgeglichen wird. Ein durch den entgegengesetzten Buchungsvorgang nicht beseitigter Nachteil wird allenfalls darin gesehen, dass der Kunde wegen des unrichtigen Kontostands in seiner Verfügung beschränkt wird, etwa wenn die Bank Bargeldabhebungen nicht zulässt oder Überweisungen nicht durchführt. Wie schon erwähnt, gibt es hier keinen Anhaltspunkt für beabsichtigte, aber gescheiterte Verfügungen des Klägers über sein Wertpapierdepot.

 

Argumente des Klägers gegen die angeordnete Rückstellung (der mittlerweile im Kurs gefallenen Wertpapiere) sind deren Untunlichkeit und das dem Geschädigten grundsätzlich eingeräumte Wahlrecht zwischen der in seinem Interesse angeordneten Naturalleistung durch den Schädiger und dem Geldersatz. Aus diesem Wahlrecht leitet er seinen Anspruch auf Ersatz des gemeinen Werts der Wertpapiere zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses (§ 1332 ABGB) ab.

 

Richtig ist, dass eine Naturalherstellung schon dann als untunlich angesehen wird, wenn der Geschädigte sie nicht wünscht. Der einem Geschädigten im Fall der Untunlichkeit der Naturalrestitution eingeräumte Anspruch auf Ersatz des gemeinen Werts/Schätzwerts zum Schädigungszeitpunkt ist aber auf die Fälle zugeschnitten, in denen es um die reale Beschädigung (oder Zerstörung) einer körperlichen Sache geht, aber nicht um den Verlust „volatiler“ Wertpapiere durch deren unberechtigten Verkauf.

 

Das Wahlrecht des Geschädigten darf nicht in berechtigte Interessen des Schädigers eingreifen. Die Forderung des Klägers auf Ersatz des gemeinen Werts zum Zeitpunkt der Schädigung (iSd Wiederbeschaffungswerts/Austauschwerts) bedeutet nichts anderes als die Überwälzung seines (allgemeinen) wirtschaftlichen Risikos als Anleger auf die beklagte Bank, deren (hier) haftungsbegründendes Verhalten grundsätzlich nicht kausal für den finanziellen Nachteil ist, den der Kläger durch den gefallenen Kurs erlitten haben soll.

 

Aufgabe des Schadenersatzrechts ist es zudem, dem Geschädigten einen Ausgleich zu verschaffen, und nicht ihn zu bereichern. Dieser Ausgleichsfunktion trägt die in § 1323 ABGB enthaltene Anordnung, alles in den vorigen Stand zurückzuversetzen, vorrangig Rechnung. Der Geschädigte soll so gestellt werden, wie er ohne schädigendes Ereignis stünde. Bei hypothetischem Verlauf hätte der Kläger den jetzt geforderten Verkaufswert der Wertpapiere aber nicht lukriert. Dieser Gedanke, eine Bereicherung des Geschädigten zu vermeiden, liegt beispielsweise jener Judikatur zugrunde, die bei Anschaffung einer neuen anstelle der zerstörten Sache einen Abzug „neu für alt“ vornimmt. Auch darin zeigt sich, dass das Prinzip des objektiv-abstrakten Schadenersatzes auf Basis des gemeinen Werts zum Schädigungszeitpunkt nicht unbedingt gilt. Zum selben Ergebnis führt auch die Ansicht Reischauers, wonach dieser Wert nicht zusteht, wenn der Geschädigte wie hier mit der Ersatzbeschaffung zuwartet und inzwischen der Preis verfällt.

 

Die sehr volatilen Wertpapieren immanenten Kursschwankungen rechtfertigen es, hier die vom Kläger gewünschte objektiv-abstrakte Berechnung des Schadens auf Basis des gemeinen Werts abzulehnen und einer subjektiv-konkreten Schadensberechnung den Vorzug zu geben, wie sie auch in den Fällen der Schädigung von Anlegern aufgrund unrichtiger Beratung und/oder Irreführung bei Erwerb der Anlage vertreten wird.

 

Das Eventualfeststellungsbegehren, das der Kläger mit den Schäden als Folge der zwischen Verkauf und Naturalrestitution eingetretenen/eintretenden Kursverlusten rechtfertigt, scheitert daran, dass der Verkauf als haftungsbegründendes Verhalten nicht kausal für den (zukünftigen) Wertverfall ist, wenn keine konkrete Verkaufsabsicht in diesem Zeitraum besteht. Damit ist entgegen der Meinung des Revisionswerbers nicht relevant, ob die beklagte Partei bei Prüfung des Verkaufs- und Überweisungsauftrags schuldhaft handelte.