10.08.2011 Verfahrensrecht

OGH: Einvernehmensrechtsanwalt gem § 5 EIRAG – schriftlicher Nachweis und Widerruf

In der Lehre wird zum schriftlichen Nachweis des Einvernehmens ausgeführt, dass zweckmäßiger als die Vorlage eines möglicherweise umfassenden Vertragswerks, wenn auch nicht unbedingt in dieser Form vorgeschrieben, ein gemeinsam eingebrachter Schriftsatz sein wird, in dessen Rubrum sich Kanzleistempel und Unterschriften beider Anwälte befinden, mit dem auf das hergestellte Einvernehmen hingewiesen wird oder gegebenenfalls prozessrelevantes Vorbringen erstattet wird; mag auch der Widerruf der Vollmacht nicht zwingend den Widerruf des Einvernehmens bedeuten, so weist jedoch die Bestellung eines neuen Einvernehmensrechtsanwalts in diese Richtung


Schlagworte: Europäisches Rechtsanwaltsrecht, Einvernehmensrechtsanwalt, schriftlicher Nachweis, Widerruf
Gesetze:

§ 5 EIRAG, § 6 EIRAG

GZ 2 Ob 100/11m, 22.06.2011

 

OGH: Gem § 5 Abs 1 Europäisches Rechtsanwaltsgesetz (EIRAG) dürfen in Verfahren, in denen sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen oder ein Verteidiger beigezogen werden muss, dienstleistende europäische Rechtsanwälte als Vertreter oder Verteidiger einer Partei nur im Einvernehmen mit einem in die Liste der Rechtsanwälte einer österreichischen Rechtsanwaltskammer eingetragenen Rechtsanwalt (Einvernehmensrechtsanwalt) handeln. Diesem obliegt es, beim dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt darauf hinzuwirken, dass er bei der Vertretung oder Verteidigung die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beachtet. Zwischen dem Einvernehmensrechtsanwalt und der Partei kommt kein Vertragsverhältnis zustande, sofern die Beteiligten nichts anderes bestimmt haben. Gem Abs 2 ist das Einvernehmen bei der ersten Verfahrenshandlung gegenüber dem Gericht schriftlich nachzuweisen. Ein Widerruf des Einvernehmens ist dem Gericht schriftlich mitzuteilen. Er hat Wirkung nur für die Zukunft.

 

Gem § 6 EIRAG haben Zustellungen in gerichtlichen und behördlichen Verfahren dienstleistende europäische Rechtsanwälte bei ihrer ersten Verfahrenshandlung einen im Inland wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten namhaft zu machen. Wurde kein Zustellungsbevollmächtigter namhaft gemacht, so gilt in den im § 5 Abs 1 angeführten Verfahren der Einvernehmensrechtsanwalt als Zustellungsbevollmächtigter. In allen anderen Fällen ist in sinngemäßer Anwendung des § 10 ZustellG vorzugehen und die Zustellung nach erfolgloser Aufforderung an den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt durch Hinterlegung beim Gericht oder bei der Behörde vorzunehmen.

 

Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob das Vorbringen im Schriftsatz vom 9. 3. 2006 - der sowohl von der deutschen Anwaltskanzlei als auch von Dr Br gefertigt wurde - „Aus Gründen prozessualer Vorsicht wird neuerlich mitgeteilt, dass die klagende Partei sowohl durch Dr Br als auch durch die Anwaltskanzlei Braunstein und Kollegen vertreten wird, deren Handeln stets im Einvernehmen mit Dr Br erfolgt“ als Nachweis des Einvernehmens iSv § 5 Abs 2 EIRAG zu werten ist.

 

Bei der Auslegung von Prozesshandlungen sind objektive Maßstäbe anzulegen und nicht die Auslegungsregeln für Rechtsgeschäfte (§§ 914 ff ABGB) heranzuziehen. Es ist also insbesondere nicht der Parteiwille zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesshandlungen kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der dem Gericht und Gegner bekannten Prozesslage und Aktenlage objektiv verstanden werden muss.

 

In der Lehre wird zum schriftlichen Nachweis des Einvernehmens ausgeführt, dass zweckmäßiger als die Vorlage eines möglicherweise umfassenden Vertragswerks, wenn auch nicht unbedingt in dieser Form vorgeschrieben, ein gemeinsam eingebrachter Schriftsatz sein wird, in dessen Rubrum sich Kanzleistempel und Unterschriften beider Anwälte befinden, mit dem auf das hergestellte Einvernehmen hingewiesen wird oder gegebenenfalls prozessrelevantes Vorbringen erstattet wird.

 

Diesen Anforderungen wird der fragliche Schriftsatz gerecht. Unter Berücksichtigung der Gesetzes- und Aktenlage ist er objektiv dahingehend zu verstehen, dass die deutsche Anwaltskanzlei als dienstleistender europäischer Rechtsanwalt im Einvernehmen mit Dr Br handelt und der Schriftsatz ua dem Nachweis dieses Einvernehmens dient.

 

Sodann bleibt zu klären, ob der Schriftsatz vom 17. 9. 2009 - mit dem Dr Br dem Erstgericht bekannt gab, dass „das bestehende Vollmachtsverhältnis zur klagenden Partei aufgelöst wurde“ - iZm dem späteren Einschreiten des Dr Be als Einvernehmensrechtsanwalt als Widerruf des Einvernehmens zu werten ist. Diese Frage wurde vom Berufungsgericht verneint, weil die Auflösung der Vollmacht nicht zwingend den Widerruf des Einvernehmens bedeute, zumal sich eine Partei durchaus durch mehrere (Einvernehmens-) Rechtsanwälte vertreten lassen könne.

 

Diese Auffassung ist im vorliegenden Fall nicht zu teilen. Mag auch der Widerruf der Vollmacht nicht zwingend den Widerruf des Einvernehmens bedeuten, so weist jedoch die Bestellung eines neuen Einvernehmensrechtsanwalts in diese Richtung. Allfällige Zweifel des Erstgerichts wären durch Erörterung in der Verhandlung auszuräumen gewesen. Derartige Zweifel bestanden aber für das Erstgericht ohnehin nicht, hielt es doch die (neuen) Vertretungsverhältnisse im Protokoll fest, führte es (allein) den neuen Einvernehmensrechtsanwalt Dr Be im Kopf seines Urteils als Klagevertreter an und gab es dem Antrag auf Urteilszustellung an Dr Be Folge. Im Zusammenhang damit stellt sich dem erkennenden Senat die Zustellung des erstgerichtlichen Urteils an Dr Br anstelle von Dr Be als Versehen der Geschäftsabteilung des Erstgerichts dar, zumal (bloß) verfügt wurde: „ZV: KV, BV“.

 

In Gesamtwürdigung dieser Umstände ist daher von einem Wechsel des Einvernehmensrechtsanwalts auszugehen, sodass die Zustellung des Urteils an Dr Br wirkungslos war und erst die Zustellung an den (neuen) Einvernehmensrechtsanwalt Dr Be am 9. 11. 2010 die Berufungsfrist auslöste.