24.08.2011 Verfahrensrecht

OGH: § 19 JN – Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit

Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte; andererseits soll es durch die Regelungen über das Ablehnungsrecht nicht ermöglicht werden, sich nicht genehmer Richter entledigen zu können


Schlagworte: Ablehnung von Richtern, Befangenheit
Gesetze:

§ 19 JN

GZ 2 Ob 43/11d, 14.07.2011

 

Der Kläger führt aus, die Vorsitzende des Rechtsmittelsenats und der ebenfalls befasste Richter seien Vorsitzende bzw stellvertretender Vorsitzender im Disziplinarausschuss der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland (in der Folge: Architektenkammer). Durch diese aufgezeigte Doppelfunktion sei die Unabhängigkeit der abgelehnten Richter in einem Verfahren, bei dem es mittelbar oder unmittelbar um die Haftung eines Architekten gegenüber einem Konsumenten gehe, wegen ihrer immanenten Nahebeziehung zu Mitgliedern der Architektenkammer nicht gewährleistet. Diese Befürchtung habe sich auch in der Berufungsentscheidung manifestiert.

 

Der Kläger macht geltend, nach der Entscheidung 6 Ob 616/91 und laut Fasching (in Lehrbuch² Rz 164) dürfe ein Richter an einer im Gerichtsverfahren einschreitenden Kapitalgesellschaft oder einem Verein nicht beteiligt sein, wenn er daraus einen wirtschaftlichen Vorteil ziehe. Im vorliegenden Fall würden die abgelehnten Richter finanzielle Vorteile aus ihrer Tätigkeit bei der Architektenkammer ziehen. Selbst wenn ein Richter eine Funktion im Gemeinderat einer Streitpartei ausübe, liege Befangenheit vor.

 

OGH: Der OGH hat in seiner  Entscheidung 4 Ob 143/10y mit eingehender Begründung jüngst dargelegt, dass das Verfahren über die Ablehnung eines Richters sowohl in erster als auch in zweiter Instanz grundsätzlich zweiseitig ist. Die in der gegenständlichen Ablehnungssache erstatteten Rekursbeantwortungen der Beklagten sind demnach zulässig.

 

Ein Richter ist nach § 19 Z 2 JN befangen, wenn Umstände vorliegen, die es nach objektiver Prüfung und Beurteilung rechtfertigen, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Befangen ist ein Richter, der nicht unparteiisch entscheidet, sondern sich von unsachlichen psychologischen Motiven leiten lässt. Im Interesse des Ansehens der Justiz ist bei der Beurteilung, ob Befangenheit vorliegt, grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen, soll doch schon der Anschein, ein Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, jedenfalls vermieden werden. Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Andererseits soll es durch die Regelungen über das Ablehnungsrecht nicht ermöglicht werden, sich nicht genehmer Richter entledigen zu können.

 

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage hat der OGH auch schon die Befangenheit von Richtern bejaht, die in einer Streitschlichtungseinrichtung bzw einer Personengesellschaft tätig waren:

 

In 4 Ob 193/03s handelte es sich um einen an einer Rechtsmittelentscheidung mitwirkenden Richter, der auch Vorsitzender der bei einer am Verfahren beteiligten Partei eingerichteten Schlichtungsstelle für ärztliche Behandlungsfehler sowie stellvertretender Vorsitzender der bei derselben Partei eingerichteten gemeinsamen Schlichtungsstelle für Krankenanstalten war. Der 4. Senat führte aus, es komme nicht darauf an, welche Berufspflichten der abgelehnte Richter zu erfüllen habe, ob er als Mitglied der Schlichtungsstelle weisungsfrei handeln könne oder wie hoch die ihm für diese Tätigkeit zufließenden finanziellen Zuwendungen seien. Entscheidend sei allein, dass die zwischen dem abgelehnten Richter und der Verfahrenspartei bestehenden besonderen außerdienstlichen Beziehungen objektiv geeignet seien, den Eindruck zu erwecken, seine Erwägungen in diesem Verfahren könnten durch Rücksichtnahme auf die Partei beeinflusst werden.

 

In 17 Ob 30/08y ging es um einen fachkundigen Laienrichter (Patentanwalt), der Gesellschafter einer in der Rechtsform einer OEG betriebenen Patentanwaltskanzlei mit sieben Gesellschaftern war, von denen ein Mitgesellschafter in einem Parallelverfahren mit vergleichbarer Problemstellung die dort beklagte Partei gegen die (mit den im Anlassverfahren identen) klagenden Parteien vertrat. Die darauf gestützte Vermutung der klagenden Parteien als Verfahrensbeteiligte, der abgelehnte Richter könnte in seiner Willensbildung durch seinen am Verfahrensausgang interessierten Kanzleipartner beeinflusst werden, sei durch objektiv fassbare Umstände nicht widerlegbar.

 

Mit den diesen Entscheidungen zu Grunde gelegenen tatsächlichen Umständen ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Zu Recht betonte das OLG Wien, dass sich der Rechtsstreit auf die Prüfung der vom Kläger behaupteten schadensstiftenden Verletzung anwaltlicher Pflichten durch die Beklagten beschränkt. Die Architektenkammer, in deren Disziplinarausschuss die abgelehnten Richter tätig sind, ist in diesem Verfahren weder Partei, noch ist ersichtlich, welches sonstige Interesse Mitglieder dieses Gremiums am Ausgang des Rechtsstreits zwischen dem Kläger und seinen früheren Rechtsanwälten haben könnten. Ein solches vermag auch der Kläger in seinem Rechtsmittel nicht schlüssig darzutun:

 

Die Erwägungen der Entscheidung 6 Ob 616/91 bezogen sich auf die Mitgliedschaft abgelehnter Richter bei einem Verein, der als Prozessgegner des Ablehnungswerbers fungierte. Das vom Kläger gebrachte Beispiel einer Funktionsausübung betrifft den Gemeinderat einer Streitpartei. Schließlich nennt auch Fasching in der im Rekurs zitierten Belegstelle (aaO Rz 164) die Beteiligung des Richters an einer im Prozess einschreitenden Kapitalgesellschaft, Genossenschaft oder einem Verein als möglichen Befangenheitsgrund. Ein vergleichbarer Fall liegt hier aber nicht vor.