14.09.2011 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob eine im unmittelbaren Lebensumfeld identifizierende Fernsehberichterstattung über den Umstand, Mordverdächtiger gewesen zu sein, einen unzulässigen Eingriff in durch § 16 ABGB geschützte Persönlichkeitsrechte darstellt

Ob Angaben veröffentlicht wurden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität des Klägers zu führen, richtet sich nach den im Einzelfall verbreiteten Angaben; dass andere Personen als die Opfer, Verdächtigen oder Täter einer gerichtlichen strafbaren Handlung keinen (Schadenersatz-)Anspruch nach § 7a MedienG haben, bedeutet nicht, dass diesen Personen auch kein zivilrechtlicher Persönlichkeitsschutz gegen identifizierende Kriminalberichterstattung zukommt; hat der Betroffene der Namensnennung nicht zugestimmt und besteht weder ein gesetzliches Verbot noch eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung, so hängt die Frage der Rechtswidrigkeit der Namensnennung von einer vorzunehmenden Interessenabwägung ab


Schlagworte: Persönlichkeitsrechte, Namensanonymität, identifizierende Fernsehberichterstattung, Tatverdächtiger
Gesetze:

§ 16 ABGB, §§ 7a ff MedienG

GZ 6 Ob 147/10a, 16.06.2011

 

OGH: Das Persönlichkeitsrecht auf Namensanonymität leitet sich aus § 16 ABGB ab und ist mit Unterlassungsklage durchsetzbar. Das Recht auf Namensanonymität verbietet es, den Namen eines Dritten in einem Zusammenhang zu nennen, zu dem der Namensträger nicht sachlichen Anlass gegeben hat. Seine Verletzung setzt die Namensnennung bzw eine, eine bestimmte Person identifizierende Berichterstattung voraus. Ob nun Angaben veröffentlicht wurden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität des Klägers zu führen, richtet sich nach den im Einzelfall verbreiteten Angaben. Dieser Frage kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

 

Die gegen die vom Berufungsgericht bejahte Möglichkeit der Identifizierung des Klägers vorgetragenen Argumente der Revision vermögen eine Fehlbeurteilung nicht aufzuzeigen. Der Revisionswerber meint, sowohl die Berufsangabe als auch die Angabe des Vornamens und des abgekürzten Familiennamens sowie die Abbildung eines typischen Wiener Gemeindebaus seien derart allgemeiner Natur, dass tatsächlich nur die unmittelbaren Nachbarn des Klägers, die ebenfalls in dem Gemeindebau wohnten, diesen hätten identifizieren können. Was die persönlichen Freunde des Klägers betreffe, die auf den Bericht reagiert hätten, so sei davon auszugehen, dass diese mehrheitlich unmittelbar informierte Personen darstellten, denen die damaligen Verdächtigungen ohne die mediale Berichterstattung zur Kenntnis gelangt seien. Das überzeugt nicht. Das Erstgericht stellte nämlich fest, dass „die Nachbarn im Gemeindebau und im Schrebergarten“ den Kläger nach dem Bericht mieden. Von „unmittelbaren Wohnungsnachbarn“ ist in den Feststellungen nicht die Rede. Dass den persönlichen Freunden des Klägers „mehrheitlich“ schon vor dem Bericht durch persönliche Kontakte bekannt gewesen ist, dass der Kläger Verdächtiger im „Bleistiftmord“ war, steht nicht fest. Davon kann auch nicht ausgegangen werden. Das Erstgericht stellte fest, dass Freunde des Klägers ihn als den „Bleistiftmörder“ aufgrund des gezeigten Gemeindebaus und der erkennbaren Wohnungstür Nr 10 erkannten. Daraus lässt sich zwanglos schließen, dass sie nicht „unmittelbar“ (durch persönliche Kontakte) informiert waren, weil im Bericht, bevor die genannten Szenen gezeigt wurden, schon gesagt worden war, dass das Mädchen mit einem Bleistift ermordet worden war und eine Tageszeitung mit der Schlagzeile „Bleistiftmord“ in Großaufnahme gezeigt worden war. Die Rsp geht von einem „größeren Personenkreis“ - orientiert an § 69 StGB - ab etwa zehn Personen aus.

 

Dass andere Personen als die Opfer, Verdächtigen oder Täter einer gerichtlichen strafbaren Handlung keinen (Schadenersatz-)Anspruch nach § 7a MedienG haben, bedeutet entgegen der Ansicht des Revisionswerbers nicht, dass diesen Personen auch kein zivilrechtlicher Persönlichkeitsschutz gegen identifizierende Kriminalberichterstattung zukommt.

 

Das Berufungsgericht hat bei seiner sorgfältig und ausführlich begründeten Interessenabwägung die Grundsätze höchstgerichtlicher Rsp zum Recht auf Namensanonymität zutreffend auf den Einzelfall angewendet. Die Namensnennung ist jedenfalls dann nicht rechtswidrig, wenn sie ausdrücklich gesetzlich geboten oder erlaubt ist. Hat der Betroffene nicht zugestimmt und besteht weder ein gesetzliches Verbot noch eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung - wie im Anlassfall -, so hängt die Frage der Rechtswidrigkeit der Namensnennung von einer vorzunehmenden Interessenabwägung ab. Ob schutzwürdige Interessen des Klägers beeinträchtigt werden und zu wessen Gunsten die vorzunehmende Interessenabwägung ausschlägt, hängt im Allgemeinen von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Abzuwägen sind die jeweils berührten Persönlichkeitsinteressen und die Gegeninteressen, insbesondere die Informationsinteressen der Öffentlichkeit und die öffentliche Aufgabe der Medien.

 

Im Zusammenhang mit identifizierender Kriminalberichterstattung hat der OGH bereits ausgesprochen, dass die Wertungen der §§ 7a ff MedienG bei der Abwägung zwischen Meinungsäußerungsfreiheit (Art 10 EMRK) und Persönlichkeitsschutz einzubringen sind.

 

Nach § 7a Abs 1 Z 2 und Abs 2 Z 2 MedienG hat eine Person, die wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt wurde, ein schutzwürdiges Anonymitätsinteresse jedenfalls dann, wenn ihr Fortkommen durch die Veröffentlichung unverhältnismäßig beeinträchtigt werden kann. Dies ist va dann der Fall, wenn die Berichterstattung die Resozialisation eines Täters unmittelbar erschwert, etwa wenn der wegen eines Verbrechens Belangte nur zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde oder wenn seine Haftentlassung bevorsteht. Unter „Fortkommen“ fallen alle wirtschaftlichen oder persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten eines Menschen.

 

Es ist kein Grund ersichtlich, den Nichtverurteilten gegenüber dem Verurteilten schlechterzustellen. Wenn kein Schuldspruch erfolgt, ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein Fortwirken der gesetzlichen Unschuldsvermutung anzunehmen. Gegenüber dem gebotenen Sozialisationsschutz für einen Nichtverurteilten erscheint es als unverhältnismäßig schwerer Eingriff in das Recht auf Namensanonymität, auch über die unmittelbar aktuelle Berichterstattung zum Abschluss eines Strafverfahrens hinaus lebenslang die Verwicklung in dieses beendete Verfahren mit identifizierendem Hinweis in den Medien vorgehalten zu bekommen.

 

Nach den Wertungen des § 7a MedienG müssen sich die legitimen Veröffentlichungsinteressen ausdrücklich auf die Identität des Betroffenen beziehen. Der Revisionswerber meint er habe lediglich seine öffentliche Aufgabe als Medium wahrgenommen, indem er die Öffentlichkeit über die besondere Problematik der Thematik „DNA-Beweissicherung“ habe aufklären wollen. Der Kläger sei im Zuge der Berichterstattung keinerlei neuen Verdächtigungen ausgesetzt, sondern vielmehr als „Opfer“ einer gemeinhin als „wasserdicht“ geltenden Beweissicherungsmethode dargestellt worden. Ein gegenüber dem berechtigten Schutzinteresse des Klägers an seiner Anonymität ins Gewicht fallendes Interesse des Beklagten oder der Öffentlichkeit an der identifizierenden Berichterstattung Jahre nach Abschluss des Strafverfahrens wird damit nicht dargetan.