14.09.2011 Zivilrecht

OGH: Anlegerhaftung – Aufklärungspflicht einer Depotbank (iZm Abwicklungsrichtlinien und fehlender Konzession der Emittentin)

Verwirklicht sich das Konkursrisiko, ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der unterlassenen Aufklärung über die fehlende (Bank-)Konzession und dem Eintritt der Insolvenz zu bejahen, weil das Risiko einer Insolvenz bei Vorhandensein einer Bankkonzession zweifellos geringer gewesen wäre, zumal Banken strengeren Geschäftsführungs- und Eigenkapitalvorschriften unterworfen sind als andere Unternehmen und zudem einer besonderen Aufsicht unterliegen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Depotbank, Anleger, Haftung, Aufklärungspflicht, Informationspflichten, Interessenkollision, Abwicklungsrichtlinien, fehlende Konzession der Emittentin, Insolvenz Kausalität, Rechtswidrigkeitszusammenhang
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, §§ 1002 ff ABGB, §§ 957 ff ABGB

GZ 4 Ob 50/11y, 09.08.2011

 

Der Kläger begehrt Schadenersatz wegen mangelnder Aufklärung über den Inhalt der Abwicklungsrichtlinien - wonach ein Verkauf der Genussscheine außerhalb der Börse „nur im Wege“ der Invest AG möglich ist - und über die fehlende Konzession der Emittentin.

 

OGH: Das (reine) Depotgeschäft, bei dem die Bank die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere übernimmt (§ 1 Abs 1 Z 5 BWG) ist nach hM mangels Nennung in § 11 Abs 1 WAG keine Dienstleistung, die den Wohlverhaltenspflichten des WAG 1997 unterliegt. Es handelt sich um ein aus Verwahrungs- und Auftragsvertrag kombiniertes Geschäft, bei dem keinem der beiden Elemente eine bloß untergeordnete Funktion zugemessen werden kann. Hauptpflicht des Verwahrers ist die Obsorge für die anvertraute Sache (6 Ob 253/07k). Die Depotbank hat die mit den Wertpapieren verbundenen Rechte (Zinsen, Dividenden) geltend zu machen und jährliche Depotaufstellung zu übermitteln. Bei Existenz eines externen Vermögensverwalters sind Banken nach Auffassung von Kalss/Oppitz/Zollner nur für die Aufbewahrung und technische Administration der bei ihr hinterlegten Werte zuständig und nur in Sonderkonstellationen (wie etwa bei Vorliegen von Kick-back-Vereinbarungen) auch zur Aufklärung und Warnung des Kunden verpflichtet. Auch Knobl/Grafenhofer stellen für die Beurteilung der Pflichten der Bank darauf ab, ob ihre Aufgaben (bloß) auf die Führung des Depots beschränkt sind oder ob sie auch die vom Anlageberater oder Vermittler übermittelten Orders (so zB Kauf- bzw Zeichnungsaufträge) ausführt.

 

Haftung aus § 1009 ABGB:

 

War das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen auf einen Depotvertrag beschränkt, so kommt nach dem bereits Gesagten ein Schadenersatzanspruch nach WAG 1997 nicht in Betracht. Allerdings ergibt sich eine Verpflichtung der Bank zur bestmöglichen Wahrung der Interessen des anderen Vertragspartners auch aus den zivilrechtlichen Bestimmungen über Rechte und Pflichten des Gewalthabers (§ 1009 ABGB). Als Verwalterin fremden Vermögens hat die Beklagte auch als (bloße) Depotbank die Pflicht, die Interessen des Auftraggebers bestmöglich zu wahren und ihn über wichtige Umstände aufzuklären. Die Kollision eigener Interessen mit jenen des Vertragspartners zählt zu wichtigen Umständen, über die aufzuklären ist. Bei der Vermögensverwaltung kann eine solche Interessenkollision etwa darin liegen, dass der Verwalter von einem Dritten Provisionen für bestimmte Anlageentscheidungen erhält (Kick-back-Zahlungen)

 

Interessenkollisionen, die erhöhte Informationspflichten auslösen, können aus einer Reihe von Gründen entstehen. So etwa auch aus der hier behaupteten engen wirtschaftlichen Verflechtung der Beklagten mit der Emittentin und der Invest AG beim Vertrieb der Genussscheine. Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte durch mit ihr vereinbarte Abwicklungsrichtlinien Teil eines Vertriebssystems wurde, es hinnahm, dass die A*****-Gruppe das Vertrauen in sie als seriöse Bank in der Werbung für sich verwendete, und als Hausbank der A*****-Gruppe und ausschließlich berechtigte Depotbank ein Eigeninteresse am Vertriebserfolg hatte. Trifft dies zu, so kollidierten ihre eigenen Interessen mit jenen des Anlegers als Depotkunden. Dieser Interessenkonflikt löste - als Ausfluss vertraglicher Sorgfalts- und Treuepflicht - eine erhöhte Aufklärungspflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger aus.

 

Diese Aufklärungspflicht bezöge sich nicht allein auf die Interessenkollision als solche (also insbesondere auf die nach dem Vorbringen des Klägers bestehenden „Abwicklungsrichtlinien“), sondern auch auf alle anderen Umstände der Vermögensanlage, die einen Einfluss auf die Anlageentscheidung der Kunden haben konnten und von denen die Beklagte redlicherweise annehmen musste, dass sie diesen Kunden aufgrund der für die Beklagte erkennbaren Vorgangsweise der Invest AG und der Emittentin unbekannt waren. Dazu zählte gegebenenfalls auch das Fehlen einer für das Kerngeschäft der Emittentin erforderlichen Konzession.

 

Sollte eine Verletzung von Aufklärungspflichten bejaht werden, sind Kausalität und Rechtswidrigkeitszusammenhang zu prüfen.

 

Die Kausalität wäre nach den Feststellungen des Erstgerichts im Grundsatz gegeben. Danach hätte der Kläger die Genussscheine nicht erworben, wenn die Beklagte ihre - allenfalls - bestehenden Informationspflichten erfüllt hätte. Hinzudenken des pflichtgemäßen Verhaltens führte daher zum Wegfall des Schadens.

 

Zu prüfen ist allerdings, ob dieser Schaden gerade von einer Art ist, wie ihn die verletzte Aufklärungspflicht von ihrem Schutzzweck her verhindern sollte. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang würde nämlich fehlen, wenn der Kunde bei ordnungsgemäßer Aufklärung zwar die fragliche Anlageentscheidung nicht getroffen hätte, sich dann aber eine Gefahr verwirklicht, die mit dieser Aufklärungspflicht in keinem Zusammenhang steht und über die entweder ohnehin aufgeklärt wurde oder nicht hätte aufgeklärt werden müssen.

 

Der Senat hat jüngst in der Entscheidung 4 Ob 62/11p ausgesprochen, dass es die bloße Beeinträchtigung der Willensfreiheit durch eine unrichtige Beratung für sich allein noch nicht rechtfertigen kann, dem Berater die Haftung für einen Schaden aufzuerlegen, der mit dem Beratungsmangel in keinem inhaltlichen Zusammenhang steht. Präventions- und Sanktionserwägungen in Bezug auf die unrichtige Beratung reichen für sich allein zur Begründung der Haftung nicht aus. Anders verhält es sich aber dann, wenn zwar bezüglich eines bestimmten Risikos keine Aufklärungspflicht bestand, die Verletzung anderer Informationspflichten aber dazu führte, dass sich die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung dieses (letztlich eingetretenen) Risikos bei objektiver Betrachtung nicht bloß unerheblich erhöhte. In solchen Fällen ist anzunehmen, dass sich der Schutzzweck der verletzten Informationspflicht auch auf diese wahrscheinlicher gewordenen Folgerisiken bezieht.

 

Im vorliegenden Fall wird daher - als Voraussetzung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs - zu untersuchen sein, ob die mangelnde Aufklärung über die (allenfalls) fehlende Konzession der Emittentin und den Inhalt der Abwicklungsrichtlinien die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung des tatsächlich eingetretenen Risikos nicht bloß unerheblich erhöhte.

 

Der bisher festgestellte Sachverhalt reicht für eine Beurteilung nicht aus. Es steht nämlich lediglich fest, dass die Emittentin ihrer Rückkaufsverpflichtung nicht nachgekommen ist und der Kläger die Genussscheine „derzeit“ nicht verkaufen kann. Welches Risiko sich tatsächlich verwirklichte (Konkurs der Emittentin oder anderes Risiko) ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Es kann daher noch nicht beurteilt werden, ob ein Rechtswidrigkeitszusammenhang iSd Ausführungen des Senats zu 4 Ob 62/11p besteht.

 

Für den Fall, dass sich das Konkursrisiko verwirklichte - wofür Anhaltspunkte bestehen -, wäre der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der unterlassenen Aufklärung über die (allenfalls) fehlende (Bank-)Konzession und dem Eintritt der Insolvenz zu bejahen, weil das Risiko einer Insolvenz bei Vorhandensein einer Bankkonzession zweifellos geringer gewesen wäre, zumal Banken strengeren Geschäftsführungs- und Eigenkapitalvorschriften unterworfen sind als andere Unternehmen und zudem einer besonderen Aufsicht unterliegen. Dass die Nichtaufklärung über die Abwicklungsrichtlinien die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Insolvenz erhöht hätte, ist hingegen nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens nicht anzunehmen. Der Kläger hat nicht behauptet, er habe verkaufen wollen, sei aber aufgrund der für ihn nachteiligen Abwicklungsrichtlinien daran gehindert worden.