20.09.2011 Wirtschaftsrecht

OGH: Fehlende Feststellung der Vergabekontrollbehörde iSd § 341 Abs 2 BVergG 2006 – lauterkeitsrechtlicher Unterlassungsanspruch gem § 14 UWG iZm Verstoß gegen das Vergaberecht?

Auch wenn der Gesetzgeber wohl nur die Fallgruppe „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“ im Auge hatte, muss sich die Unzulässigkeit der Unterlassungsklage darüber hinaus auf alle Klagen erstrecken, deren Gegenstand ein vom Vergaberecht erfasstes Verhalten des Auftraggebers oder eines Mitbieters ist, dies unabhängig von der rechtlichen Begründung des konkret geltend gemachten Anspruchs; dazu gehören insbesondere die Wahl des Vergabeverfahrens, die Auswahl der einbezogenen Unternehmen und die Erteilung des Zuschlags; anders zu beurteilen wäre nur ein anlässlich eines Vergabeverfahrens gesetztes Verhalten, das aus ganz anderen Gründen - etwa wegen einer unzulässigen Übernahme fremder Leistungen - gegen das Lauterkeitsrecht verstößt


Schlagworte: Wettbewerbsrecht, Vergaberecht, Verstoß, fehlende Feststellung der Vergabekontrollbehörde, Unterlassung, Zulässigkeit, Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch
Gesetze:

§ 1 UWG, § 14 UWG, § 341 BVergG 2006, § 340 BVergG 2006, Verordnung Nr 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 10. 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße („Public Service Obligations Regulation“ - PSO-VO)

GZ 4 Ob 100/11a, 09.08.2011

 

OGH: Das BVergG 2006 lässt zwar nach § 340 BVergG 2006 Unterlassungsansprüche, die auf anderen Rechtsvorschriften beruhen, unberührt. Unlauteres Verhalten in einem Vergabeverfahren kann daher grundsätzlich auch Unterlassungsansprüche nach dem UWG begründen. Eine darauf gestützte Klage ist aber nach § 341 Abs 2 BVergG 2006 nur zulässig, wenn die zuständige Vergabekontrollbehörde zuvor eine der in dieser Bestimmung näher genannten Feststellungen getroffen hat. Dabei handelt es sich um eine Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs. Während es eine entsprechende Bestimmung für Schadenersatzansprüche schon im BVergG 2002 gegeben hatte, wurde das Erfordernis einer vorherigen Feststellung der Rechtswidrigkeit für Ansprüche nach dem UWG erst mit dem BVergG 2006 eingeführt. Die Materialien begründen es mit dem Interesse an der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen von Vergabebehörden und ordentlichen Gerichten. Eine Klage auf Unterlassung „vergaberechtswidrigen und zugleich auch wettbewerbswidrigen Verhaltens“ soll daher nur zulässig sein, wenn die zuständige Vergabekontrollbehörde einen Verstoß gegen das BVergG festgestellt hat.

 

Eine solche Feststellung ist hier nicht erfolgt. Damit ist der Rechtsweg jedenfalls für solche lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche unzulässig, die der Kläger - in der Fallgruppe „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“ - unmittelbar auf einen Verstoß gegen das Vergaberecht stützt.

 

Die Klägerin weist zwar an sich zutreffend darauf hin, dass sie ihr Begehren nicht (jedenfalls nicht ausschließlich) auf einen Verstoß gegen Vergabevorschriften gestützt hat, sondern (auch) auf einen Missbrauch der wirtschaftlichen Machtstellung der öffentlichen Hand und eine Behinderung im Wettbewerb durch Diskriminierung und mangelnde Transparenz bei der Auftragsvergabe. Das kann aber die Zulässigkeit des Rechtswegs nicht begründen. Denn das Vergaberecht dient gerade dazu, ein solches Verhalten durch konkrete Vorschriften für die Auftragsvergabe zu verhindern. Darin liegt eine abschließende Regelung, die als lex specialis eine parallele Beurteilung nach allgemeinem Lauterkeitsrecht ausschließt. Sähe man die Rechtslage anders, würde das Lauterkeitsrecht zu einem Vergaberecht höherer Ordnung: Mitbewerber könnten geltend machen, dass der Auftraggeber durch eine intransparente oder diskriminierende Vergabe seine Marktmacht zugunsten eines bestimmten Marktteilnehmers missbraucht und andere dadurch behindert habe. Auf die Feststellung einer konkreten Vergaberechtswidrigkeit durch die Vergabekontrollbehörden käme es dabei nicht an; vielmehr wäre es Sache der ordentlichen Gerichte, Kriterien für eine unsachliche Differenzierung oder die Intransparenz des Verfahrens herauszuarbeiten. Dies liefe der Zielsetzung von § 341 Abs 2 BVergG 2006 diametral zuwider. Auch wenn daher der Gesetzgeber wohl nur die Fallgruppe „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“ im Auge hatte, muss sich die Unzulässigkeit der Unterlassungsklage darüber hinaus auf alle Klagen erstrecken, deren Gegenstand ein vom Vergaberecht erfasstes Verhalten des Auftraggebers oder eines Mitbieters ist, dies unabhängig von der rechtlichen Begründung des konkret geltend gemachten Anspruchs. Dazu gehören insbesondere die Wahl des Vergabeverfahrens, die Auswahl der einbezogenen Unternehmen und die Erteilung des Zuschlags. Anders zu beurteilen wäre nur ein anlässlich eines Vergabeverfahrens gesetztes Verhalten, das aus ganz anderen Gründen - etwa wegen einer unzulässigen Übernahme fremder Leistungen - gegen das Lauterkeitsrecht verstößt.

 

Während bei der Direktvergabe im Allgemeinen nur die Wahl des Vergabeverfahrens gesondert anfechtbar ist (§ 2 Z 16 lit a sublit nn BVergG 2006), ordnet § 141 Abs 5 Satz 1 BVergG 2006 für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen im nicht prioritären Bereich an, dass „jede nach außen in Erscheinung tretende Festlegung des Auftraggebers“ als gesondert anfechtbare Entscheidung gilt. Darunter fällt bei der (beabsichtigten) Direktvergabe von Aufträgen iSv Art 5 Abs 6 PSO-VO nicht nur die Wahl des Vergabeverfahrens, sondern wohl auch die mangelhafte Erfüllung des Transparenzgebots nach Art 7 Abs 2 PSO-VO und die (hier behauptete) Ablehnung von Verhandlungen mit Unternehmen, die an solchen Aufträgen interessiert sind. Abweichend von anderen Direktvergaben ist daher die Auswahl der Unternehmen, mit denen Vertragsverhandlungen gepflogen werden, im Anwendungsbereich des § 141 BVergG 2006 nicht von vornherein der Nachprüfung entzogen. Damit sind aber auch Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 328 BVergG 2006 insofern nicht ausgeschlossen.

 

Materiell ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass zwar eine Direktvergabe bei den hier strittigen Aufträgen aufgrund des in § 141 Abs 3 BVergG 2006 angeordneten „Unberührtbleibens“ von Art 5 Abs 2 und 4 bis 6 PSO-VO auch über den Schwellenwert des § 141 Abs 3 BVergG 2006 hinaus zulässig ist; dennoch hat aber eine solche Vergabe nach § 141 Abs 2 BVergG 2006 (ua) unter Beachtung des Diskriminierungsverbots zu erfolgen. § 141 Abs 2 BVergG 2006 wird vom Vorbehalt zugunsten der Regelungen der PSO-VO in § 141 Abs 3 BVergG 2006 nicht erfasst und ist (war) daher auch im Anlassfall anwendbar.

 

Auch lauterkeitsrechtliche Ansprüche sind nicht von vornherein ausgeschlossen. Sie könnten insbesondere auf einer Feststellung nach § 341 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 beruhen, dass „die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung bzw ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb“ (also insbesondere eine Direktvergabe) rechtswidrig war.

 

Diese Bestimmung wurde mit der BVergG-Novelle 2009 neu gefasst. Sie erfasst - wie zuvor § 341 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 aF - jedenfalls die rechtswidrige Wahl eines solchen Verfahrens. Diese Rechtswidrigkeit könnte sich hier nicht aus der PSO-VO ergeben, weil diese eine Direktvergabe für die hier strittigen Fälle ausdrücklich zulässt. Zwar steht Art 5 Abs 6 PSO-VO unter dem Vorbehalt strengeren nationalen Rechts. Da aber in § 141 Abs 3 BVergG 2006 angeordnet wird, dass die Anwendung der einschlägigen Verordnungsbestimmungen „unberührt“ bleibt, steht auch der Schwellenwert des § 143 Abs 3 BVergG 2006 einer Direktvergabe nicht entgegen. Es ist indes nicht ausgeschlossen, dass diese Verschiedenbehandlung dem Gleichheitssatz des nationalen Rechts widerspricht oder dass sich die Unzulässigkeit der Direktvergabe im konkreten Fall aus § 141 Abs 2 BVergG 2006 ergeben könnte. Ob das zutrifft, ist von den Vergabekontrollbehörden und gegebenenfalls vom VfGH zu entscheiden; eine parallele Beurteilung durch die ordentlichen Gerichte ist nach der Wertung des § 341 Abs 2 BVergG 2006 ausgeschlossen.

 

§ 341 Abs 2 Z 2 BVergG ist zudem nicht - wie früher § 341 Abs 2 Z 2 BVergG 2006 aF - auf die rechtswidrige Wahl eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung bzw ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb beschränkt, sondern erfasst ganz allgemein dessen rechtswidrige Durchführung. Die Bedeutung dieser Neufassung ist zwischen den Parteien strittig; auch darüber werden die Vergabekontrollbehörden zu entscheiden haben.

 

Damit kann derzeit offen bleiben, wie eine Lücke im Rechtsschutz des Vergaberechts - wenn sie bestünde - zu schließen wäre. Die Klägerin ist der Auffassung, dass dies durch eine (unbeschränkte) Anwendung des UWG erfolgen müsste. Dem steht aber der vom Gesetzgeber in § 341 Abs 2 BVergG 2006 angeordnete Primat des Vergaberechts entgegen. Richtigerweise werden daher wohl eher die Rechtsschutzmöglichkeiten des Vergaberechts unionsrechtskonform dahin auszulegen sein, dass sie dem Gebot einer raschen und effizienten Überprüfung (Art 5 Abs 7 PSO-VO) entsprechen.